Reality-Check: Ist Skepsis wegen US-Abkommens berechtigt?

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Mit dem Handelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) werden eine Aufweichung des Konsumentenschutzes, die Liberalisierung öffentlicher Dienste und eine neue Konzernvormacht verbunden.

Wien/Brüssel. Die Skepsis gegenüber dem Handelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP) wächst. Das wurde zuletzt bei der öffentlichen Anhörung der EU-Kommission deutlich, bei der 97 Prozent der Rückmeldungen negativ waren. Besonders groß ist die Skepsis in Österreich und Deutschland, wo sich linke und rechte Gruppen gegen TTIP engagieren. „Die Presse“ führte zu den verbreitetsten Ängsten einen Reality-Check (Überprüfung der Fakten) durch:

1 Wird das Abkommen die Standards bei Lebensmitteln senken?

Noch ist nicht einmal sicher, ob ein freier Handel zwischen den USA und der EU für Agrarprodukte und Lebensmittel zustande kommt. Wenn ja, so haben sich beide Seiten darauf festgelegt, dass sie ihre Standards beibehalten wollen. Mit Hormonen behandeltes Fleisch wird also in Europa verboten bleiben. So wie im Falle des Handelsabkommens mit Kanada, müssen sich auch US-Exporteure darauf einstellen, hormonfreies Fleisch nach Europa zu liefern. Die Ängste sind hier nicht einseitig gegen die USA gerichtet. Auch Amerikaner haben Ängste vor EU-Lebensmittelstandards. So gibt es in den USA die Befürchtung, dass aus der EU Fleisch von Tieren importiert wird, denen Antibiotika in das Futter gemischt wurde. Insgesamt wird es, wie die EU-Kommission betont, darum gehen, bei Standards im Gesundheits- oder Umweltbereich mehr Kompatibilität zu erreichen. Da am Ende der Verhandlungen das konsumentenfreundliche EU-Parlament über den Vertrag abstimmen wird, ist aber mit keiner spürbaren Reduzierung des Niveaus zu rechnen.

2 Wird der Investorenschutz unser staatliches Recht unterwandern?

Zum zentralen Kritikpunkt an TTIP wurde der noch nicht ausgehandelte, aber vorgesehene Investorenschutz. Er ist nach Ansicht vieler Unternehmen notwendig, um Sicherheit für ihre Investitionen im jeweils anderen Markt zu gewährleisten. Die Schutzklausel sah in den meisten bisherigen Handelsabkommen Klagerechte vor einem nicht staatlichen Schiedsgericht vor. Bisher gibt es zwar spektakuläre Klagen wie jene des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall gegen den deutschen Atomausstieg. Doch in den meisten Fällen wurde bisher den Staaten und nicht den klagenden Unternehmen Recht zugesprochen. Letztlich wird es auf die genaue Ausformulierung der Schutzklausel ankommen, ob eine Unterwanderung staatlichen Rechts möglich wird.

3 Wird TTIP zu einer Privatisierung der Wasserversorgung führen?

Der angeblich drohende Zwangsverkauf der Wasserversorgung an US-Investoren gehört zu den Ängsten der TTIP-Gegner. In der Tat gehört dieser Aspekt zum Themenbereich öffentliche Auftragsvergabe, bei dem die Europäer in der Angriffsposition sind. Denn der EU sind die sogenannten Buy-American-Klauseln, die US-Behörden dazu verpflichten, bei der Auftragsvergabe heimische Anbieter zu bevorzugen, ein Dorn im Auge. Laut Schätzungen sind europäische Firmen von zwei Dritteln des öffentlichen US-Beschaffungswesens ausgeschlossen. Die Kehrseite der Medaille: Setzt sich die EU durch, wird sie im Gegenzug US-Unternehmen nicht von öffentlichen Aufträgen in Europa ausschließen können. Allerdings ist derzeit keine EU-Hauptstadt dazu verpflichtet, die Wasserversorgung zu privatisieren. Sollte sie sich dazu entschließen, fordert Brüssel lediglich die Chancengleichheit für alle Bewerber ein.

4 Werden die Verhandlungen tatsächlich geheim geführt?

Dass der Widerstand gegen TTIP dermaßen heftig ausgefallen ist, hat auch mit der mangelnden Transparenz der bisherigen Verhandlungen zu tun. Aus der Perspektive der EU-Kommission, die mit den USA die Gespräche führt, ist die Angelegenheit eindeutig: Analog zu einem Pokerspiel ist Transparenz in diesem Fall schlecht, weil man dem Gegenüber seine Karten nicht zeigen darf. Soll heißen: Wenn Brüssel zu viel preisgibt, weiß Washington, wo die empfindlichen Punkte der Europäer sind. Daher weigerte sich die Brüsseler Behörde zunächst konsequent, die Details der eigenen Verhandlungsunterlagen offenzulegen. Nachdem es Kritik hagelte, ruderte die Kommission zurück und publizierte einen Teil der Dossiers. Kritiker der Heimlichtuerei weisen darauf hin, dass TTIP – anders als „normale“ Handelsabkommen – weit mehr Aspekte des öffentlichen Lebens umfasst und daher transparenter gehandhabt werden muss.

5 Wird durch das Abkommen die europäische Identität zerstört?

Der Kulturbereich war die erste Front, die von der französischen Regierung bei den Verhandlungen mit den USA eröffnet wurde. Da Paris seine Medien und Kulturschaffenden stark subventioniert und eine Niederlage gegen die US-Unterhaltungsbranche fürchtet, forderte Kulturministerin Aurelie Filipetti im Juni 2013 ein, den Aspekt Kultur und audiovisuelle Medien aus den Verhandlungen auszuklammern – mit Erfolg. Hier wird es also keine Änderung gegenüber dem Status quo geben.

Lexikon

TTIP. Das Freihandelsabkommen EU-USA soll die beiden größten Märkte der Welt eng verknüpfen. Da es zwischen den beiden kaum noch Zölle gibt, wird es vor allem um den Abbau von Handelshemmnissen durch unterschiedliche Normen und Standards gehen. Kommt es zum Durchbruch, könnten die USA und die EU globale Standards für Produkte und Dienstleistungen vorgeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2015)

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