Griechenland: Frischer Wind für die linke Mitte in Athen

Leader of the newly-founded centrist To Potami party Theodorakis smiles during interview with Reuters at party´s election headquarters in Athens
Leader of the newly-founded centrist To Potami party Theodorakis smiles during interview with Reuters at party´s election headquarters in Athens(c) REUTERS (ALKIS KONSTANTINIDIS)
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Die neue, proeuropäische Partei Potami des Journalisten Theodorakis könnte auf Anhieb den Sprung in eine Koalition schaffen.

Sehr passend zur Lage des in Auflösung befindlichen griechischen Parteiensystems lautet der Name einer Partei, die angetreten ist, um für grundlegende Erneuerung zu sorgen: Potami, auf Deutsch: Fluss. Der Name spielt auf den klassischen Spruch von Heraklit an, nach dem „alles fließt“.

Gesicht und Aushängeschild der Partei ist der 51-jährige Journalist Stavros Theodorakis, der vor allem durch seine seit dem Jahr 2000 laufende Sendung „Protagonisten“ bekannt wurde, in der er sich, mitunter recht plakativ, mit den Menschen dieses Landes und ihren Geschichten auseinandersetzte. Erst im Februar 2014 entschloss er sich, Hauptdarsteller einer eigenen Partei zu werden. Auf Anhieb kam Potami, die sich als Erneuerungsbewegung der Bürgergesellschaft versteht, bei den Europawahlen im Mai 2014 auf 6,6 Prozent der Stimmen und hat sich seither mit politischen Profis anderer Parteien verstärkt. Bei den Umfragen zu den Parlamentswahlen am heutigen Sonntag liegt Potami zwischen fünf und sieben Prozent, und damit an dritter Stelle hinter dem Linksbündnis Syriza und der bisher regierenden Nea Dimokratia. Schafft keine der anderen Parteien die absolute Mehrheit im Parlament, könnte Theodorakis somit bereits bei seiner ersten Parlamentswahl den Sprung in eine Regierungskoalition schaffen.

Doch wofür steht die Partei? Das Personal der „Bewegung“ ist äußerst heterogen. Vertreter von Basisbewegungen der Bürgergesellschaft, Politiker der gemäßigten Linkspartei der „Demokratischen Linken“ fühlten sich angezogen, aber auch Mitglieder liberaler Gruppen wie der „Aktion“, ja selbst der Bürgermeister von Saloniki, Giannis Boutaris, bekannte sich zum „Fluss“. Verstärkt werden sie durch fähige Beamte, etwa den ehemaligen höchsten Steuereintreiber des Finanzministeriums Charis Theocharis, den Ministerpräsident Andonis Samaras von den Konservativen erst im Mai 2014 nach den verlorenen Europawahlen als Sündenbock für die Sparpolitik der Regierung zum Rückzug zwang.

Bescheiden, antisystemisch. Der Wahlkampf von Potami ist ganz auf den Protagonisten Stavros zugeschnitten, der meist zu Fuß in Nato-Jacke mit Rucksack im Gespräch mit dem „Mann von der Straße“ gezeigt wird. Der Auftritt ist bewusst bescheiden und antisystemisch – keine Limousinen, keine Krawatten. In den ersten Monaten ihres Bestehens weigerte sich die Partei von Theodorakis auch, ein konkretes Programm vorzulegen. Als Basisbewegung bestand sie darauf, erst die Meinungen und Beiträge der Unterstützer zu sammeln und am Gründungsparteitag Ende Juni 2014 auszudiskutieren, bevor ein 99-Punkte-Programm verabschiedet wurde. Da saßen bereits zwei Potami-Vertreter im Europaparlament.

Inzwischen hat Potami Positionen entwickelt, die durchaus kontrovers sind. Der Verwaltungsexperte und Spitzenbeamte Panagiotis Karkatsoulis etwa, der die nationale Kandidatenlise für den Wahlkampf anführt, nimmt das Wort „Entlassungen“ im öffentlichen Dienst in den Mund. Allgemein steht die Partei für Reform, nicht für eine völlige Demontage des Systems – eine wohltuende Alternative etwa zur Konkurrenz aus dem rechtsextremen Lager der Goldenen Morgenröte.

Frischer Wind. Das Programm erinnert insgesamt stark an das klassische Modell der sozialen Marktwirtschaft in ihrer sozialdemokratischen Ausprägung. Die Partei ist eindeutig proeuropäisch, tritt für eine moderne, straffe Verwaltung ein und spricht sich für eine geplante, geregelte Einbürgerungspolitik aus. Mit diesem Programm fischt Potami in den Gewässern der alten sozialistischen Massenpartei Pasok, deren Chef Evangelos Venizelos denn auch höchst sensibel auf die neue Konkurrenz reagiert hat. Vielleicht trifft es zu, dass die Partei ein beliebiges Programm hat und ihr Stern schnell wieder verblasst. Und doch trifft sie Venizelos an seinem empfindlichsten Punkt: Im Gegensatz zu ihm und der Pasok insgesamt kann sie für sich in Anspruch nehmen, eine unverbrauchte Kraft zu sein, die in der Lage ist, frischen Wind in das morsche Staatsgerüst zu bringen.

Viele sagen Potami allerdings nach, dass der ehemalige Reformflügel der Pasok unter dem Ex- Ministerpräsidenten Kostas Simitis hinter der Partei steht. Theodorakis selbst weist das stets forsch zurück und hat Simitis für sein Scheitern im Kampf gegen die Korruption während seiner Amtszeit heftig kritisiert.

Wählerschaft hat sich radikalisiert. Der Spielraum für die linke Mitte ist in den fünf Jahren der Schuldenkrise eng geworden. Die Wählerschaft hat sich radikalisiert, ein Teil ist nach links zum Radikalen Linksbündnis (Syriza) von Alexis Tsipras übergelaufen oder nach rechts abgewandert. Um ein Reservoir von etwa 15 Prozent der Wählerschaft kämpfen mittlerweile die Pasok, Potami und die neue Partei des ehemaligen Pasok-Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou. Pasok-Chef Venizelos glaubt, dass die Wähler wieder in die Mitte schwenken werden, wenn sie erkennen, dass das Wahlprogramm von Tsipras an der Realität scheitert. Profitieren könnten davon aber andere – etwa Stavros Theodorakis und sein „Fluss“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2015)

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