Islamischer Staat: "Fliegerfäuste" gegen US-Tiefflieger

A-10s, hier über Afghanistan
A-10s, hier über AfghanistanUS Air Force (Senior Airman Matthew Bruch)
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Berichten zufolge brachten die Islamisten zuletzt US-Schlachtflieger vom Typ A-10 mit tragbaren Fliegerabwehrraketen in Bedrängnis. Verluste blieben zwar aus, aber das Problem könnte größer werden.

Einigermaßen unangenehme Neuigkeiten kommen aus dem Krieg der internationalen Allianz gegen den islamischen Staat (IS) in Syrien und im Nordirak: Zunächst hatte das US-Verteidigungsministerium Ende voriger Woche zugeben müssen, dass die seit rund einem halben Jahr anhaltende, seit September intensivierte Luftoffensive offenkundig von übersehbarem Erfolg ist: Zusammen mit dadurch unterstützten Operationen vor allem irakischer und kurdischer Bodentruppen habe man dem IS insgesamt nur etwas mehr als ein Prozent des von ihm kontrollierten Gebietes abnehmen können - die Rede ist von etwa 700 Quadratkilometer (Wien: 415 km2), das IS-Gebiet umfasst aber in etwa immer noch rund 55.000 Quadratkilometer. Immerhin wurden die islamisten am Montag nach mehrmonatiger Schlacht offenbar aus der Kurdenstadt Kobane an der syrisch-türkischen Grenze vertrieben.

Nun hieß es zwar auch, dass immer klar gewesen sei, dass der Krieg Zeit brauche und man erst am Anfang stehe. Allerdings dürften nun auch die alliierten Luftangriffe für die Angreifer riskanter werden: Berichten militärischer Fachmedien unter Berufung auf Quellen im Irak zufolge wurden tieffliegende amerikanische Schlachtflugzeuge vom Typ A-10 "Thunderbolt II", die jüngst in die Kämpfe um Mossul eingriffen, von mindestens vier tragbaren Luftabwehrraketen angegriffen. Die selbstlenkenden Geschosse, angeblich vom russischen Modell SA-7 "Strela" (Pfeil), hätten zwar ihre Ziele verfehlt. Sie offenbaren aber eine sehr ernste Bedrohung und Behinderung künftiger Luftoperationen in niedrigen Höhen, wie sie zur Zeit primär von A-10 durchgeführt werden, nämlich in Höhen von weit unter 1000, ja unter 500 Meter, und die deswegen auch besonders wirkungsvoll, sprich zerstörerisch sind.

Die anderen Kampfjets der Koalition, etwa F-18, F-15, Tornados und Mirages, greifen hingegen meist in Höhen von mehreren Kilometern an, um für Waffen wie die SA-7, für Luftabwehrkanonen und MGs unerreichbar zu sein.

IS-Kämpfer mit Fliegerfaust (SA-7) im Irak
IS-Kämpfer mit Fliegerfaust (SA-7) im Iraklongwarjournal.org

Die Strela wird in mehreren Versionen seit den 1960ern gebaut, gilt aber heute als veraltet und hat eine vergleichsweise kleine Trefferwahrscheinlichkeit von (die Zahlen variieren deutlich) etwa 18 bis 35 Prozent. Das hängt etwa auch vom Verhalten des Ziels ab, ob es Defensivmaßnahmen (z. B. Täuschkörper, Hitzefackeln, siehe Foto am Ende der Geschichte) ausstößt und so fort. Angesichts nicht-militärischer Flugzeuge kann die Trefferchance der SA-7 durchaus auf weit mehr als 50 Prozent steigen. Die infrarotgesteuerte Rakete - sie fliegt auf die heißeste Stelle in ihrem "Sichtbereich" zu, in der Regel sind das Triebwerke von Flugzeugen und Hubschraubern - hat eine Reichweite von etwa vier Kilometern bei einer maximalen Flughöhe von 1500 bis 2300 Meter.

Gefahr für den Luftverkehr

Modernere russische Modelle solcher "Fliegerfäuste" wie jene der "Igla"-Serie (Igla bedeutet "Nadel") haben die Strela großteils abgelöst, diese befindet (oder befand) sich aber zu Tausenden in Arsenalen von Ländern wie Libyen, Syrien, dem Irak und dem Jemen und dürfte von dort aus in Besitz des IS gekommen sein.

Schon seit Jahrzehnten gelten Fliegerfäuste in Händen von Terroristen als enorme Bedrohung auch des zivilen Flugverkehrs (jedenfalls in der Start- und Landephase) - geschehen ist diesbezüglich aber, auch wenn es zynisch klingen mag, vergleichsweise wenig: Seit den 1970ern soll es mindestens 40 solcher Angriffe gegeben haben, bei denen 28 oft eher kleine Flugzeuge bzw. Hubschrauber abstürzten und mehr als 800 Menschen starben.

Auffallend häufig gab es solche Angriffe über Afrika: etwa über Angola, dem Kongo, Simbabwe und der Westsahara. Im September 1993 schossen abchasische Separatisten über Georgien zwei Tupolews der Fluggesellschaft Transair Georgia ab, es gab etwa 135 Tote. Näheres zu Fliegerfäusten, ihrer Geschichte, Technik und heutigen Verbreitung, siehe unter diesem Link.

IS-Kämpfer mit SA-7, vermutlich aus syrischen Depots
IS-Kämpfer mit SA-7, vermutlich aus syrischen Depotsreddit.com

Auch wenn die meisten Kampfjets der Koalition weiter von tragbaren Fla-Raketen unerreichbar in mittleren und großen Höhen operieren, so bedeutet das doch, dass ihre taktische Nützlichkeit eingeschränkt ist: Schließlich sind Ziele am Boden mit zunehmender Höhe schwerer zu identifizieren und zu "bearbeiten". Umgekehrt gilt der Schlachtflieger A-10 (auch "Warzenschein" genannt) als entsprechend wirksam und extrem robust: Er konnte schon bei bisherigen Einsätzen, vor allem in den Kriegen im bzw. gegen den Irak, schwere Beschädigungen überstehen und sicher landen. Sollte der IS aber plötzlich Fliegerfäuste in größerer Zahl aufbieten, würde das Risiko für die Tiefflieger dramatisch steigen und Verluste würden unausweichlich. Siehe eine Geschichte über die Premiere der A-10 im Krieg gegen das "Kalifat" unter diesem Link.

Minimale Verluste der Koalition

Im Luftkrieg gegen den IS sind die Verluste der Koalition durch Feindeinwirkung (mehr als ein Dutzend Staaten setzen Kampfflugzeuge ein, von den USA über Frankreich und Belgien bis hin zu Jordanien und Saudiarabien) bisher minimal: Eine F-15 der USA wurde von Kanonenbeschuss beschädigt, konnte aber landen. Ob eine jordanische F-16, die am 24. Dezember über dem Kalifat abstürzte und deren Pilot gefangen wurde, abgeschossen wurde, und wenn ja, womit, ist unklar. Der IS soll umgekehrt laut US-Angaben bisher mindestens 6000 Mann verloren haben, dazu etwa 85 Panzer und gepanzerte Fahrzeuge und mehr als 850 andere Fahrzeuge.

Mit einem Sieg über die Islamisten ist so aber auch langfristig nur bedingt zu rechnen: Auch wenn Flugzeuge einen Gegner am Boden strategisch und taktisch entscheidend schwächen und lokal brechen können, wurde aus der Luft allein eigentlich noch kein Krieg militärisch gewonnen. Einen Sieg zu Lande im Sinne einer effektiven Kontrolle von Raum zu erringen ist daher vorerst weiterhin Sache kurdischer, irakischer, syrischer und anderer lokaler Streitkräfte und Milizen, die gegen den IS kämpfen. Und das macht die Sache nicht weniger kompliziert. (WG)

A-10 wirft Hitzefackeln
A-10 wirft HitzefackelnUS Air Force (Senior Airman Matthew Bruch)

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