Griechenland: Die große Koalition der Extremisten

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Alexis Tsipras schließt einen Regierungspakt mit der rechtspopulistischen Anel – und zeigt, dass ihm Machtpolitik wichtiger ist als Ideologie.

Athen. Es war eine Regierungsbildung im Eiltempo: Noch Sonntagnacht ließ sich Alexis Tsipras, Chef des Radikalen Linksbündnisses (Syriza), von seinen Anhängern für den klaren Sieg der Linken gegen die konservative Nea Dimokratia unter Premier Antonis Samaras feiern. Da flossen Freudentränen, Revolutionslieder wie „Bella Ciao“ wurden angestimmt. Und einen Tag später stand bereits die neue Regierung. Syriza wird mit den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen von Panos Kammenos zusammenarbeiten. Bereits Montagnachmittag wurde Tsipras vom scheidenden Staatspräsidenten Karolos Papoulias als Ministerpräsident angelobt. Die neue Regierung wird im Lauf des Dienstags angelobt werden.

Kaum Berührungspunkte

Von einer möglichen Zusammenarbeit sprechen sowohl der neue Ministerpräsident als auch Panos Kammenos bereits seit 2012. Doch erst der Einzug von Anel ins Parlament und die Tatsache, dass Syriza mit 149 Sitzen um zwei Sitze die absolute Mehrheit im 300-köpfigen Parlament verpasste, ebnete den Weg für die Kooperation. Anel und ihr Chef, Panos Kammenos, haben stets gegen die Sparpakete der vorhergehenden Regierungen agitiert. Das ist aber der einzige Berührungspunkt mit Syriza. In der Ausländerpolitik, in Fragen der Trennung von Staat und Kirche und anderen gesellschaftspolitische Fragen – Rolle und Größe der Streitkräfte, um nur einige Punkte zu nennen – vertreten die Parteien aber diametral entgegengesetzte Auffassungen. Die Kooperation ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass Tsipras ideologische Bedenken mit Leichtigkeit zur Seite wischt, wenn dies dem unmittelbaren politischen Interesse seiner Partei dient.

Bemerkenswerterweise hat Tsipras die Rechtspopulisten der gemäßigten Reformpartei Potami, die der linken Mitte zuzuordnen ist, vorgezogen. Die erst 2014 gegründete Partei stellt 17 Abgeordnete im neuen Parlament. Potami ist EU-freundlich und warnt vor „Abenteuern“ bei den bevorstehenden Verhandlungen zur Schuldenfrage, ist Syriza aber in gesellschaftspolitischen Fragen um vieles näher als Anel. Potami-Gründer Stavros Theodorakis schloss eine Duldung der Regierung Tsipras nicht aus, will aber vor einer Entscheidung zunächst das Programm der neuen Koalition sehen. Er bezeichnete Anel als „rechtsextreme und anti-europäische“ Partei. Eine Koalition mit Syriza schloss Theodorakis wegen der Beteiligung von Anel aus: „Mit europafeindlichen Parteien kooperieren wir nicht.“

Bereits bei der Angelobung setzte Tsipras ein politisches Zeichen. Er schwor keinen kirchlichen, sondern einen zivilen Eid, was in Griechenland ungewöhnlich ist. Im orthodoxen Mittelmeerstaat ist die Trennung von Staat und Kirche noch nicht weit fortgeschritten. Auch auf eine Krawatte verzichtete der neue Regierungschef. Nach der Angelobung ließ er es sich nicht nehmen, das Mahnmal einer Exekution von Widerstandskämpfern durch die Deutschen während der Besatzungszeit zu besuchen. Syriza sieht seine Wurzeln in der Widerstandsbewegung des Zweiten Weltkriegs und im Kampf gegen die Obristendiktatur 1967–1974.

Als der neue Premier am Sitz des Regierungschefs eintrat, empfing ihn kein Vertreter der scheidenden Koalitionsregierung – ein Affront. Tsipras' Vorgänger Antonis Samaras hatte schon Sonntagabend begonnen, seine Niederlage zu relativieren. Er betonte, dass es den Konservativen trotz der schwierigen Sparprogramme gelang, „aufrecht“ aus der Wahlauseinandersetzung hervorzugehen. Seine Partei kam auf 27,8 Prozent der Stimmen, etwa zwei Prozent weniger als 2012. Mit Blick auf die sozialistische Pasok, die andere ehemalige Massenpartei, die nur auf 4,7 Prozent gekommen war, ist das verständlich.

Wundenlecken bei den Konservativen

Ob dies die innerparteilichen Kritiker, die dem Ex-Premier vorwerfen, Nea Dimokratia aus der Mitte an den rechten Rand geführt zu haben, besänftigen wird, ist zweifelhaft. Der misslungene Wahlkampf, aber viel mehr noch die strategischen Missgriffe der Regierung nach den Europawahl-Verlusten vom Mai 2014 – damals stoppte Samaras die Reformpolitik und konnte keine Einigung mehr mit den Gläubigern finden – dürften die Konservativen noch einige Zeit beschäftigen.

Auch Pasok-Chef Evangelos Venizelos hat begonnen, die Wahlniederlage der Sozialdemokraten zu verarbeiten: Er gab dem ehemaligen Pasok-Ministerpräsidenten Giorgios Papandreou, der erst Anfang Jänner 2015 eine neue Partei gegründet hatte, die Schuld. Papandreou schaffte zwar mit 2,5 Prozent der Stimmen nicht den Einzug ins Parlament, schwächte die Pasok jedoch empfindlich. Die Sozialisten wollen in naher Zukunft einen „offenen“ Parteitag abhalten – Papandreou will Venizelos dazu aber nicht einladen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2015)

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