Libyen: Der Friedhof des Arabischen Frühlings

The scene on a street after clashes, between Libyan pro-government forces and the Shura Council of Libyan Revolutionaries, who have joined forces with Islamist group Ansar al-Sharia, in Benghazi
The scene on a street after clashes, between Libyan pro-government forces and the Shura Council of Libyan Revolutionaries, who have joined forces with Islamist group Ansar al-Sharia, in Benghazi(c) REUTERS (ESAM OMRAN AL-FETORI)
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Gewalt und Gesetzlosigkeit herrschen in den Straßen der Stadt Bengasi.
Amnesty International drängt nun die Weltgemeinschaft zum Handeln.

Wien/Bengasi. Einige der Vermissten tauchen wieder auf. Auf Bildern im Internet. Mit einer Kugel im Kopf. Manchmal gibt es dazu auch eine Botschaft: „Die Zeit für Vergeltung ist gekommen“, meinte etwa im Herbst eine islamistische Organisation namens Wächter des Blutes, wie nun Amnesty International (AI) berichtet. Diese „Wächter“ sind angeblich mit der Terrororganisation Ansar al-Sharia verbündet, die wiederum unter dem Schirm des „Revolutionären Schurarats von Bengasi“ steht. Es fällt schwer, im Extremisten-Gewirr der ostlibyschen Stadt den Überblick zu behalten.


Mitte Oktober erklärte Ex-General Khalifa Haftar den Islamisten den Krieg, mit der Operation Karama (Würde). Seither wird in der Hafenstadt geschlachtet. In der Abwesenheit jeglicher staatlicher Kontrolle – das nationale Parlament etwa verschanzt sich derzeit in Tobruk nahe Ägyptens Grenze – verüben beide Seiten „grausame Menschenrechtsverletzungen“, schreibt nun AI. Die Menschenrechtsorganisation dokumentiert in einem neu erschienenen Bericht Folter, Entführungen und Massenerschießungen auf beiden Seiten. Ibrahim K. (44) etwa musste nach der Folter ein Auge entfernt werden. Sein Bruder – oder besser: dessen Leiche – tauchte auf einem Foto auf Facebook auf. Haftars Gefolgsleute sollen die Brüder verschleppt haben.

Outlaws beherrschen die Stadt

In den ersten drei Monaten seit Beginn der Offensive starben rund 600 Menschen. 90.000 sind auf der Flucht. Wie der Traum vom Arabischen Frühling liegt auch Bengasi in Trümmern, wo einst mehr als 670.000 Menschen lebten.

File photo of General Khalifa Haftar during a news conference in Abyar
File photo of General Khalifa Haftar during a news conference in AbyarREUTERS

Es ist noch keine vier Jahr her, da zogen die ersten französischen Rafale-Jets unter dem Beifall der Weltöffentlichkeit über Bengasi. Damals war die Ölstadt das Herz des Widerstands gegen die Diktatur des Muammar al-Gaddafi. Der Oberst wollte sie vernichten. Um ein Blutbad zu verhindern, legitimierte der UN-Sicherheitsrat Luftschläge. Die nächste Zäsur am 11. September 2012: Auf US-Botschafter Chris Stevens wird, mutmaßlich durch Ansar al-Sharia, ein Attentat verübt.
Heute herrschen Chaos und Gewalt in den Straßen. Wieder wird nach dem UN-Sicherheitsrat gerufen: AI fordert Sanktionen gegen die Verantwortlichen für die Verbrechen in Bengasi. Die Straflosigkeit müsse enden, Reiseverbote verhängt und Vermögenswerte eingefroren werden. Auch der Internationale Strafgerichtshof soll sich einschalten, fordert AI. Das Machtvakuum lockt bereits den Islamischen Staat (IS) an. Gestern erstürmten seine Schergen ein Hotel in Tripolis. Neun Menschen starben.

(strei)

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