Deutschland: Auflösungstendenzen bei Pegida

Oertel, co-leaders of anti-immigration group PEGIDA, a German abbreviation for ´Patriotic Europeans against the Islamization of the West´, is pictured during a Reuters interview in Dresden
Oertel, co-leaders of anti-immigration group PEGIDA, a German abbreviation for ´Patriotic Europeans against the Islamization of the West´, is pictured during a Reuters interview in Dresden(c) REUTERS (FABRIZIO BENSCH)
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Der Rücktritt Kathrin Oertels und der Hälfte des Führungsteams offenbart schwere persönliche und inhaltliche Differenzen. Lutz Bachmann will weiter Fäden ziehen.

Wien/Dresden. Erst machten die 17.000 Wutbürger ihrem Unmut Luft, und am Ende brachten sie vor der Dresdner Semperoper der Hauptrednerin, die mit ihrem wallenden Haar einer Wagner-Heldin gleicht, zu deren 37. Geburtstag nachträglich ein Ständchen dar. Die Kundgebung der Pegida, der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands“, markierte indes den vorerst letzten Auftritt Kathrin Oertels, der Sprecherin und einer der beiden Galionsfiguren der populistischen Protestbewegung, in der Öffentlichkeit. Zwei Tage später warf sie in einer Krisensitzung gemeinsam mit der Hälfte des zwölfköpfigen Pegida-Vorstands ihr Amt hin.

Nach dem Rücktritt des Chefideologen Lutz Bachmann in der Vorwoche und dem nunmehrigen Rückzug seiner ehemaligen Pressesprecherin und einem Teil des Führungsteams offenbaren sich bei Pegida Auflösungstendenzen. Offenbar hat die Rolle Bachmanns, der hinter den Kulissen weiter die Fäden ziehen wollte, einen Machtkampf ausgelöst. Oertel & Co. drängten auf einen völligen Rückzug Bachmanns, der die Bewegung im Spätsommer mittels einer Facebook-Initiative ins Leben gerufen hatte. Doch der 41-Jährige weigerte sich, sein „Baby“ wegzulegen und ganz in den Hintergrund zu treten.

Abstimmung mit der AfD

Das Posting einer Hitler-Pose via Facebook und rassistische Verbalinjurien hatten seinen Rücktritt erzwungen und erste Bruchlinien innerhalb der Pegida-Führung zutage treten lassen. Kathrin Oertel, de facto die Nummer zwei, forderte im Verbund mit anderen Vorstandskollegen umgehende Konsequenzen. „Nur persönliche Integrität schafft persönliche Glaubwürdigkeit“, erklärte sie – fast identisch mit Frauke Petry, der sächsischen Fraktionschefin und Ko-Sprecherin der „Alternative für Deutschland“ (AfD), die den Rückzug Bachmanns Stunden vor der offiziellen Bekanntgabe per Presseerklärung hinausposaunt hat. Dies legt eine Abstimmung mit der AfD nahe, die offen mit der Pegida sympathisiert. Die ehemalige FDP-Wählerin Oertel, eine Betriebswirtin, gestand denn auch ein, zuletzt die AfD gewählt zu haben.

Oertel war in den vergangenen Wochen zunehmend in den Vordergrund gerückt, als Rednerin bei den Montagsdemos, als Talkshow-Gast bei Günther Jauch und einträchtig Seite an Seite mit Lutz Bachmann, einem Jugendfreund, bei einer Pressekonferenz vor der als verhasst punzierten, sogenannten „Lügenpresse“. Eine Terrordrohung hatte vor zweieinhalb Wochen die Absage eines Montagsmarsches durch die Polizei erzwungen.

Daraufhin empfahl Bachmann seinen Anhängern die Teilnahme an einer Demonstration der Legida, des radikaleren und vom deutschen Verfassungsschutz als dezidiert rechtsnationalistisch eingestuften Leipziger Ablegers. Oertel distanzierte sich später deutlich von Legida, was zum Zerwürfnis mit Bachmann beigetragen haben dürfte. In einer Rede, in der die geschiedene Mutter dreier Kinder 25.000 Anhänger Anfang Jänner zu einem Schweigemarsch durch die Dresdner Innenstadt einschwor, hatte sie programmatisch klar Stellung bezogen: „Die Pegida ist weder islam- noch ausländerfeindlich oder rassistisch. Wir sind gegen jede Form von Extremismus, wir sind eine Bürgerbewegung.“

Läuft sich die Bewegung tot?

Prophetisch klang ihr Schlusswort an jenem eisigen Montagabend auf der Dresdner Cocker-Wiese. „Es wird ein langer und steiniger Weg für uns sein“, zitierte Oertel einen Song Xavier Naidoos. Lutz Bachmann macht jetzt Anfeindungen und Drohungen für die Spaltung der Pegida-Bewegung verantwortlich. Dies würde die „stärkste Frau“ nicht durchstehen, und man könne ihr eine „Auszeit“ nicht übel nehmen, ließ er verlauten.

Die Erosion könnte indes voranschreiten, die Bewegung sich totlaufen. Für nächsten Montag hat Pegida ihren „Abendspaziergang“ jedenfalls abgesagt. Protestforscher meinen, sie habe ihren Zenit überschritten. In den vergangenen Wochen formierte sich in Dresden und anderen Städten eine starke Gegenbewegung, Terrordrohungen könnten ihr im Karneval vollends die Luft auslassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2015)

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