„Serbiens strategisches Ziel ist der EU-Beitritt“

Aleksandar Vučić
Aleksandar Vučić(c) APA/EPA/MARKKU OJALA (MARKKU OJALA)
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Premier Aleksandar Vučić spricht über Belgrads schwierige Balance zwischen der EU und Russland und erklärt, warum Tsipras in Serbien so beliebt ist.

Die Presse: Serbien hat derzeit den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE inne, die im Ukraine-Konflikt sehr engagiert ist. Wie kann dieser Konflikt gelöst werden?

Aleksandar Vučić: Wir sehen uns nicht als den größten „Player“ auf der Welt. Wir arbeiten heuer mit der Schweiz und Deutschland an dem Thema, und nächstes Jahr in der Troika mit Deutschland und Österreich. Wir tun unser Möglichstes, niemandem zu schaden und ein paar gute Ideen anzubieten. Und wir versuchen, realistisch zu bleiben. Ich glaube, bisher haben wir das ganz gut gemacht, alle OSZE-Mitglieder scheinen auch zufrieden mit unserer Arbeit zu sein.

Als Land mit guten Beziehungen zur EU und zu Russland ist Serbien ja in einer privilegierten Position. Kann Serbien in Bezug auf die Ukraine davon profitieren?

Serbien kann nicht profitieren. Aber wenn Serbien irgendwie helfen kann, sind wir immer bereit, das zu tun. Ich glaube nicht, dass so ein kleines Land wie unseres das größte Problem der Welt lösen kann. Davon träumen wir nicht. Aber vielleicht können wir helfen, eine Art Waffenstillstand zu erreichen, und vielleicht kann unsere Position dazu beitragen, eine bessere Atmosphäre zwischen den Konfliktparteien zu schaffen.

Die EU hat ihre Sanktionen gegen Russland gerade verlängert. Wie stark ist Serbien unter Druck, sich diesen Sanktionen anzuschließen?

Ich würde es nicht „Druck“ nennen. Aber, ja, wir müssen in den nächsten Jahren unsere Außenpolitik mit der der EU harmonisieren. Ich bin einer ganzen Reihe von EU-Ländern zutiefst dankbar, dass sie unsere schwierige Lage verstehen. Wir sind ziemlich abhängig von russischer Energie und müssen auf unsere eigenen Interessen achten. Gleichzeitig ist unser strategisches Ziel ohne Zweifel unser Weg Richtung EU, das sage ich auch ganz offen gegenüber Russland.

Also fürchten sie nicht, eines Tages zwischen Russland und der EU wählen zu müssen?

Noch einmal: Wir müssen nicht wählen, wir haben bereits gewählt. Wir sind auf dem Weg Richtung EU, das ist das strategische Ziel Serbiens. Punkt. Natürlich wollen wir gleichzeitig die traditionell guten Beziehungen zu Russland bewahren.

Ist das in Serbien denn populär?

Nein. Es wäre viel populärer, wenn ich es anders sagen würde. Ich glaube übrigens, dass der populärste Politiker in Serbien heute Alexias Tsipras ist, sicher nicht ich.

Glauben Sie, dass der neue griechische Premier Tsipras hinsichtlich der EU-Politik gegenüber Russland ein Verbündeter Serbiens sein kann?

Nun, ich respektiere Herrn Tsipras, aber es gibt da einen kleinen Unterschied: Ich glaube an harte Arbeit und wirtschaftlich harsche Maßnahmen, deswegen haben wir mit Austeritätsmaßnahmen zur fiskalischen Konsolidierung begonnen. Wir sind das einzige Land im Süden Europas, das derartige Maßnahmen umsetzt, wir haben Pensionen gekürzt und Löhne im öffentlichen Sektor, wir haben ein neues, modernes Arbeitsrecht verabschiedet, und ein neues Privatisierungsgesetz. Wenn sie mich fragen, ob die Menschen damit zufrieden sind: Natürlich sind sie das nicht, weil es harsche Maßnahmen sind, aber deshalb werden wir am 23. Februar ein Abkommen mit dem IWF unterzeichnen. Ich glaube, dass sich diese harte Politik langfristig auszahlt, und wir da etwas sehr Gutes für unsere Bevölkerung tun. Ich glaube nicht an einfache Lösungen. Ich träume nicht davon, große Probleme zu lösen und international ein Held zu sein. Ich bin nur ein kleiner Typ vom Balkan, der für sein Land etwas Wichtiges tun möchte.

Russland war immer Verbündeter Serbiens in Sachen Kosovo. Nun hat Russland selbst mit der Annexion der Krim Grenzen verändert. Ist Moskau noch verlässlicher Partner Serbiens in Bezug auf Kosovo?

Russland erkennt die Unabhängigkeit Kosovos nicht an, und wir auch nicht. Dafür sind wir dankbar. Es gibt übrigens auch fünf Länder innerhalb der EU, die Kosovo nicht als Staat anerkennen. Im übrigen unterstützen wir weiter die territoriale Integrität der Ukraine, daran hat sich nichts geändert.

Kosovos Außenminister Thaçi hat vor kurzem der „Presse“ gesagt, dass Serbien de facto die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt hat. Hat er damit recht?

Ich denke nicht, dass er da recht hat. Die kosovarischen Politiker sind Opfer dieser anerkennen/nicht anerkennen Rhetorik. Das wichtigste ist aber: Diskutieren wir unsere Probleme auf friedliche Art und Weise? Ja, das tun wir. Gibt es einen Dialog oder gibt es keinen? Ja, es gibt einen. Lösen wir viele Probleme oder nicht? Ja, das haben wir getan.

Ist denn dieser Dialog noch am Leben? Zuletzt hatte es nicht den Anschein.

Ja, am 9. Februar geht er in Brüssel weiter.

Was sind Serbiens Positionen in diesen Verhandlungen?

Das Wichtigste ist: Wir kümmern uns um die ganz normalen Leute im Kosovo, um ihr Leben, um ihre Zukunft. Sie müssen sich frei bewegen können und sich sicher fühlen. Als ich vor kurzem im Kosovo war, haben die Menschen nur ganz am Ende meiner Rede applaudiert. Sie haben sich vielleicht eine aufrührerische Rede erwartet, aber das habe ich nicht getan. Ich sagte zu ihnen: Ihr müsst hier mit den Albanern die nächsten hundert Jahre zusammenleben. Es wäre unverantwortlich, wenn ich etwas Dummes sage, weil ich heute wieder nach Belgrad fahre, aber ihr lebt hier. Wir müssen die bestmöglichen Lösungen für beide Seiten finden, das haben, glaube ich, auch die Albaner verstanden. Einige haben versucht, mich zu provozieren, aber ich habe darauf nicht reagiert, und alles ist gut verlaufen.

Vor einigen Monaten flog in Belgrad eine Drohne mit einer großalbanischen Flagge über das Fußballstadion, in dem Serbien gegen Albanien spielte. Dies führte zu Tumulten. Weiß man schon mehr über Hintergründe? Wer hat die Drohne gesteuert?

Ja, wir haben Namen, albanische Namen. Diese Leute kamen von Italien und hatten in der Nähe des Stadions ein Zimmer genommen. Das war sehr gut organisiert und vorbereitet. Aber wir haben diese Sache beigelegt. Ich habe Albaniens Premier Edi Rama zweimal getroffen seither, und wir haben sehr wichtige Abkommen unterzeichnet. Das müssen sie sich mal vorstellen: Edi Rama und Alexandar Vučić gehen zusammmen nach Brüssel und bitten um Unterstützung für die gemeinsamen Projekte! Das wird heuer passieren.

Aber bei dem gemeinsamen Auftritt in Belgrad war die Atmosphäre sehr spannungsgeladen.

Ja, aber selbst danach haben wir miteinander gesprochen, und 20 Tage später habe ich ihn wieder in Belgrad empfangen.

Also verhalten sie sich vor der Presse anders als hinter verschlossenen Türen.

Er hatte in unserem Gespräch das Thema Kosovo gar nicht angesprochen. Er hat das dann vor den Medien für sein Publikum zu Hause gemacht, und ich habe reagiert, wie ich reagieren musste. Unser Job ist, gemeinsam Probleme zu lösen, um der Zukunft unserer Länder willen. Albanien ist kein Feind Serbiens, und umgekehrt auch nicht.

Weiß man jetzt, ob Edi Ramas Bruder in den Zwischenfall im Stadion involviert war?

Ich sage dazu nichts, das würde die Spannungen nur erhöhen.

Halten Sie ein Großalbanien für eine reale Gefahr in der Region?

Ich habe diese Flagge nicht nur im Belgrader Stadion gesehen, sondern auch an der Wand des Sitzes von Albaniens Premier. Es ist eine weit verbreitete Flagge in albanisch bewohnten Gebieten. Wenn ich sagen würde, ich wäre nicht besorgt, dann würde ich die Dinge nicht ernst nehmen. Aber Rationalität und Vernunft werden die Oberhand behalten und niemand wird von der Schaffung eines Großalbanien träumen. Das hoffe ich zumindest.

Einige Politiker in Bosnien und Herzegowina, also in der Republika Srpska, träumen allerdings nach wie von einem Großserbien, von einer Vereinigung mit Serbien. Was sagen Sie denen?

Ich sagen ihnen, dass wir die territoriale Integrität Bosniens respektieren. Wenn wir irgendwas erreichen wollen in der Region, brauchen wir politische und wirtschaftliche Stabilität. Wenn es diese Stabilität nicht gibt, dann wird Serbien bei seinen Reformen scheitern und sehr darunter leiden. Das muss von allen in der Region verstanden werden. Wir unternehmen nichts gegen die territoriale Integrität Bosniens, und sie werden auch niemanden in Sarajewo finden, der das sagt.

Aber wird das auch in Banja Luka verstanden?

Ohne Zweifel.

Auch vom Präsidenten der Republika Srpska, Milorad Dodik?

Ich habe es mehrmals in seiner Gegenwart gesagt. Mein erster Besuch als Premier galt Sarajewo. Serbien ist heute ein Garant der Stabilität in der Region. Niemand kann ihnen etwas anderes sagen.

Die neue kroatische Präsidentin sagte, sie unterstütze eine eigene kroatische Entität in Bosnien und Herzegowina. Was halten Sie davon?

Zunächst machte sie einige nicht besonders gute Wortmeldungen über die Serben in Kroatien. Sie sagte, dass sie die in Kroatien lebenden Serben auch für Kroaten hält, was eine schlimme Beleidigung ist. Aber wir haben gar nicht öffentlich reagiert, sind ganz ruhig geblieben, und wir versuchen, gute Beziehungen mit Kroatien und auch mit der neuen Präsidentin zu haben.

Waren Sie mit ihr schon in Kontakt in der Sache?

Nein. Ich habe ihr nur zum Wahlsieg gratuliert. Sie sollte uns wirklich zutiefst dankbar sein, dass wir nicht reagiert haben. Und auch die ganze Staatengemeinschaft war darüber zumindest erschrocken. Nun, sie tritt ihr Amt ja erst an, und dann wird sich die Situation anders darstellen.

Aber was sagen Sie zu ihrem Vorschlag einer kroatischen Entität in Bosnien?

Das sagte sie auf Bitten von Dragan Covic. Serbien wird sich nicht in bosnische Angelegenheiten einmischen. Alles, worauf sich die drei Völker in Bosnien und Herzegowina einigen, werden wir unterstützen.

Seit gut einem halben Jahr ist die Pressefreiheit in Serbien ein großes Thema. Sie haben da ziemlich mit der OSZE gestritten, es ist oft in den Medien.

Welche Medien?

Serbische und internationale.

Welche serbischen?

Immer wieder in „Danas“, gelegentlich auch „Blic“.

Blic? Das habe ich nicht gelesen. Nun, wir wurden beschuldigt, dafür gesorgt zu haben, dass ein Artikel von der Blic-Homepage verschwindet, aber das hat Blic selbst dementiert. Öffentlich. So etwas können wir gar nicht tun. Ich nehme das aber sehr ernst, und wir haben drei Mediengesetze in Abstimmung mit der EU verabschiedet, und alle sind sehr zufrieden damit. Wenn Sie glauben, wir könnten etwas besser machen: Ich bin offen für Vorschläge.

Sie haben kürzlich das Journalistennetzwerk BIRN beschuldigt, eine bezahlte Kampagne gegen Serbien und Ihre Regierung zu führen.

Das verbergen die auch gar nicht. Sie geben zu, Geld zu bekommen.

Aber wofür bekommen sie das Geld?

Um falsche Berichte zu produzieren. Wir haben bewiesen, dass das falsch ist, und auch die Weltbank hat reagiert und gesagt, dass es eine reine Lüge war, was da berichtet wurde.

Aber was ist ihr Beweis dafür, dass sie bezahlt wurden, um falsche Dinge zu berichten?

Sie haben selbst gesagt, dass sie bezahlt wurden.

Nun, sie wurden generell seitens der EU finanziell gefördert.

Haben sie Geld von der EU bekommen? Ja. Haben sie gelogen? Ja. Was also ist der Schluss daraus? Habe ich nicht das Recht, darauf zu antworten? Will man mir mein Recht auf freie Meinungsäußerung beschneiden?

Aber man kann doch nicht den Schluss ziehen, dass sie bezahlt wurden, um zu lügen.

Nein. Mein Fehler war, gesagt zu haben, dass das die Absicht der EU war. Ich weiß nicht, ob die EU solche Artikel publiziert sehen will. Aber am Ende war das das Resultat.

Warum sollte die EU ein falsches Bild Serbiens zeichnen wollen?

Ich weiß es nicht. Warum sollte jemand Leute bezahlen, die immer, um es vorsichtig zu formulieren, unwahre Dinge sagen? Sie kritisierten etwa eine Ausschreibung, über die die Weltbank gesagt hat, dass sie in bester Art und Weise durchgeführt wurde, unter ihrer Aufsicht. Dann haben sie über eine Regierungssitzung geschrieben, die es an diesem Tag gar nicht gegeben hat. Sie hatten jedes Recht, ihre Meinung zu sagen, und ich habe meines. Aber wann immer ich etwas sage, dann heißt es, dass sei eine Art von Druck. Nein, ist es nicht, es ist nur meine Antwort. Ich nehme niemandem das Recht, seine Meinung zu sagen, aber man möge mir meines bitteschön auch nicht absprechen.

Teilweise ist die Atmosphäre für Journalisten aber schwierig. Die Leute von der Website Pescanik etwa brauchen bei öffentlichen Auftritten Polizeischutz, weil es sonst zu gefährlich ist.

Sie hatten Probleme wegen ihrer politischen Einstellung vor zehn, fünfzehn Jahren. Sie waren pro-demokratisch, und hatten die Nationalisten als Gegner. Da ging es nicht um Medienfreiheit.

Sie meinen, Pescanik zahlt heute noch den Preis für damals?

Ich denke nicht, dass sie heute gefährdet sind. Sollte das der Fall sein, würden wir als Staat sofort reagieren, und ich würde das verurteilen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2015)

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