Richard von Weizsäcker: Der Weise vom Kupfergraben

Dr Richard von Weizsaecker Mitte GER CDU Bundespraesident a D waehrend eines Interviews in Berlin
Dr Richard von Weizsaecker Mitte GER CDU Bundespraesident a D waehrend eines Interviews in Berlinimago/Camera4
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Nachruf auf den deutschen Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Er starb im Alter von 94 Jahren.

Bis ins hohe Alter hinein erschien Altbundespräsident Richard von Weizsäcker als soignierter Elder Statesman bei Diskussionen und politischen Terminen in Berlin, oft ein freundliches Wort auf den Lippen, versehen mit einem jovialen Klaps. Mit Schwimmen hielt er sich fit, und gemäß dem Motto „Mens sana in corpore sano“ – „Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“ – hielt sich der diszipliniert-engagierte Protestant viel drauf zugute, immer noch die Kriterien fürs Seniorensportabzeichen zu erfüllen. Am Kupfergraben, unweit der Berliner Museumsinsel und der Privatwohnung Angela Merkels, unterhielt der agile Ex-Präsident ein Büro, und sein weißer Haarschopf gehörte mit zum Erscheinungsbild der „Berliner Republik“ rund um den Reichstag und der Staatsoper Unter den Linden.

Sein Ansehen und seine Popularität waren selbst mehr als 20 Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt ungebrochen, wenngleich er sich zuletzt mehr und mehr zurückzog. Dies hat wohl auch damit zu tun, dass nach den vorzeitigen Rücktritten Horst Köhlers und Christian Wulffs die Reputation des höchsten Staatsamts vorübergehend ramponiert war. Als Samstagmittag die Kunde vom Ableben des 94-Jährigen durch Deutschland ging, hielt die Republik kurz inne. Denn der Freiherr galt als moralische Instanz und unbequemer Mahner, als Inkarnation des guten Deutschen, als Galionsfigur im Nachkriegsdeutschland.


"Häuptling Silberlocke". Die Repräsentanten der Politik, voran Präsident Gauck und Kanzlerin Merkel, wanden dem Staatsmann, Intellektuellen und Visionär Kränze – und kaum einer vergaß jene Rede und jenen Satz zu erwähnen, die Weizsäcker die Achtung seines Landes und – mehr noch – der Welt eingetragen hat. In der Ansprache zum 40. Jahrestag des Ende des Zweiten Weltkriegs, einer rhetorischen Großtat, formulierte er 1985 als Präsident im Bonner Bundestag ein ebenso schlichtes wie prägnantes Credo, das viele wie eine Befreiung wahrnahmen: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung.“

Die Überzeugung wog umso mehr, als sich Weizsäcker erst selbst zum völligen Bruch mit „dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“, wie er es bezeichnete, durchringen musste. Als Sohn Ernst von Weizsäckers, des Staatssekretärs im Außenamt und SS-Brigadeführers, verteidigte er als blutjunger Jurist seinen Vater vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal. Zum Kriegsende hatte der junge Weizsäcker indessen die Nähe zum Widerstand gesucht.

Als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz warb Helmut Kohl den schwäbischen Spross einer Beamten-, Juristen- und Theologenfamilie für die Politik an. Als Bundestagsvizepräsident und als Bürgermeister der Frontstadt Berlin erwarb sich Richard von Weizsäcker die Meriten, die ihn schließlich 1984 für das höchste Staatsamt qualifizierten. Dass er als überparteilicher Präsident aller Bürger auftrat, als „Häuptling Silberlocke“ – so der sanfte Spott –, der die Machtversessenheit der Politikerkaste schalt, brachte ihn in Konflikt zu Kanzler Kohl, seinem Mentor. Diesen Loyalitätsbruch verzieh ihm Kohl nie, und in seinen Notizen beklagte er sich bitter über seinen Parteifreund.

Als eloquentes, leicht abgehobenes Staatsoberhaupt symbolisierte Weizsäcker indes für viele Deutsche das Gegenmodell zum Macht- und Bauchpolitiker Kohl. Weizsäcker errang Anerkennung über alle Parteigrenzen hinweg, doch nach der Wiedervereinigung schwand sein Einfluss, obwohl er schon früh für eine Öffnung der Mauer plädiert hatte. Als Weiser ging er nie in Rente, und sein Rat war nie billig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2015)

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