Präsident gewählt: Und nun sind fast alle glücklich in Rom

ITALY PRESIDENTIAL ELECTIONS
ITALY PRESIDENTIAL ELECTIONSAPA/EPA/ALESSANDRO DI MEO
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Im vierten Wahlgang schafft Sergio Mattarella die Kür zum italienischen Präsidenten – und beschert Premier Matteo Renzi einen unerwarteten Triumph.

Dass dieser Samstag anders verlaufen würde, so ganz anders als all die verkrampften Wochen zuvor, das sah man schon am frühen Morgen: Da schlenderten die italienischen Abgeordneten ins Parlament, ihre Rollköfferchen hinter sich herziehend. Sie ahnten schon, sie brauchten sich nicht mehr lang aufzuhalten – und dann: schleunigst ab ins Wochenende.

Gelöste Stimmung, Schulterklopfen, Witzchen. Kurz vor 13 Uhr dann, bei der öffentlichen Stimmenauszählung, der Countdown in den Reihen der Sozialdemokraten. Immer lauter wird er: „Fünf, vier, drei, zwei, eins“ – Jubel, stehender Applaus, vier Minuten lang: Sie haben es geschafft. Sergio Mattarella hat die absolute Mehrheit erreicht. Italien hat einen neuen Staatspräsidenten. Und das auf einmal so schmerzlos, so locker. Alle sind glücklich. Alle? Fast alle.

Der Regisseur dieses seltenen Ereignisses bleibt einstweilen ungewöhnlich still im Hintergrund. Nur ein SMS schickt Regierungschef Matteo Renzi an seine Sozialdemokraten, noch während die Auszählung läuft: „Danke für eure Ernsthaftigkeit. Wir sind stolz.“ Und er twittert in alle Welt: „Viel Erfolg, Präsident Mattarella. Es lebe Italien!“ Mehr braucht Renzi nicht zu sagen. Jetzt nicht mehr.

Es ist diesem Jungspund der italienischen Politik mit List, Druck und Taktik ja viel mehr gelungen, als zu erwarten war: 665 Stimmen hat sein Kandidat in der Abgeordnetenversammlung erreicht, 220 Stimmen mehr als Renzi an eigenen Parlamentariern aufbieten kann. Eigentlich muss man noch einmal bis zu 130 Stimmen dazurechnen, denn in diesem Bereich bewegten sich die Dissidenten in der eigenen Partei, die Renzi erst mit der überraschenden Nominierung Mattarellas schlagartig auf seine Linie gebracht hat.


Rache an Renzi. Und nicht nur das: Selbst Renzis rechte Koalitionspartner, die Berlusconi-Abtrünnigen um Innenminister Angelino Alfano, die zuvor lieber in ihre alte Heimat zurückströmten als für einen linken Kandidaten zu votieren, auch sie kamen letztlich an Sergio Mattarella nicht vorbei. „Dessen Person ist über jeden Zweifel erhaben“, sagen sie knurrend: „Aber für die Art und Weise, mit der man ihn uns diktiert hat, knüpfen wir uns Renzi die nächsten Tage einmal vor.“

Sergio Mattarella, der 73-jährige Verfassungsrichter, ist Balsam für die Seele der sozialdemokratischen Partei (PD), in der linkskatholische Reste der untergegangenen Democrazia Cristiana mit Ex-Kommunisten nur mühsam zusammenleben. Mattarella kommt aus der Democrazia Cristiana und hat dann das Gründungsmanifest der Sozialdemokraten mitverfasst. In sich vereinigt er beide Welten.

Selbst ein Silvio Berlusconi, der Mattarella nicht wollte – Berlusconi hat und pflegt eben eine unheilbare Juristenallergie – erkennt die Autorität von Matterella an. Die schärfste Kritik, die in den vergangenen Tagen aus Parlamentarierkreisen kam, ging so: „Der Mann ist voll in Ordnung. Aber er lächelt nie.“

Leise spricht Mattarella, als still gilt er, der reine Gegensatz zur Renzi. „In der Politik entscheiden nicht die Dezibel“, soll er einmal gesagt haben. Bei der Archivsuche über die letzten zehn Jahre hinweg hat selbst die italienische Nachrichtenagentur Ansa nur 29 Meldungen über ihn gefunden, dafür aber – für die vergangenen drei Jahre – 63 Entscheidungen des Verfassungsgerichts, die Mattarella ausgearbeitet hat. Alles komplizierte rechtstechnische Fragen, zum Verhältnis Regionen/Zentralstaat beispielsweise, indes nichts politisch Brisantes.


Kämpfer gegen die Mafia. Dabei hat Mattarella, ein Sizilianer aus Palermo, die Politik schon im Säuglingsalter aufgesogen: Sein Vater war mehrfach Minister. Er selbst wäre lieber Jusprofessor geblieben. Dann aber kam jener 6. Januar 1980, an dem ein Killer der Cosa Nostra seinen Bruder Piersanti erschoss, der damals Ministerpräsident von Sizilien war; er starb buchstäblich in Sergios Armen. Ab da, sagte er einmal, habe es zu einer politischen Laufbahn keine Alternative mehr gegeben.

So konnte Renzi seinen Kandidaten, den ersten Sizilianer im Amt des italienischen Staatspräsidenten, auch als Kämpfer gegen die Mafia bewerben, als einen Menschen mit unbeugsamem Rückgrat im Einsatz für Recht und Gerechtigkeit, „der im Bedarfsfall sogar zu denen Nein sagen wird, die ihn gewählt haben“. Das brachte Mattarella sogar noch mehr Stimmen ein. Denn alle haben zuvor gedacht, Renzi suche einen Staatspräsidenten, der ihm beim impulsiven Regieren keine Steine in den Weg legen würde.

Und Berlusconi, der geglaubt hat, er habe ein Mitspracherecht bei der Suche nach dem neuen Staatsoberhaupt? Seltsam, wie dieser stille Mattarella genau an zwei neuralgischen Stellen von Berlusconis Karriere von sich reden gemacht hat: beim Aufstieg des Fernsehmagnaten 1990 war Mattarella als Schulminister einer der Regierungen Giulio Andreottis zurückgetreten, weil er deren Gesetz zur nachträglichen Legalisierung von Berlusconis TV-Netzen für Unrecht hielt.

Und heute, da sich Berlusconis Abstieg offenbar nicht mehr aufhalten lässt, er als verurteilter Steuerbetrüger selbst in den Stunden der Präsidentenwahl seinen Sozialdienst ableisten muss und ihm die eigene Partei zwischen den Fingern zerrinnt – genau in diesem Moment steigt derselbe Mattarella ins höchste Staatsamt auf.

Berlusconi hat seine Leute im Parlament angewiesen, leere Stimmzettel abzugeben, mehr als ein Drittel hat sich dennoch auf die Seite Mattarellas geschlagen. Und aus den eigenen Reihen ergießt sich jetzt der Hohn über den großen Vorsitzenden aus Mailand, den „Cavaliere“, wie sein Ehrentitel lautet. „Tolle Strategie“, twittern die Abgeordneten ironisch über ihren Parteichef: „Einfach umgefallen unter den Schlägen des Verschrotters Renzi.“

„Nun wird nichts mehr sein wie früher“, wettert der Fraktionschef von Berlusconis Forza Italia im Abgeordnetenhaus, Renato Brunetta, der immer schon gegen den Waffenstillstand mit Matteo Renzi, gegen den Pakt zwischen Berlusconi und Renzi gehetzt hat: „Mindestens zehnmal haben wir ihm im Parlament Hilfestellung geleistet – und was kriegen wir dafür? Die Tür vor der Nase zugeschlagen. Jetzt ist Schluss.“

Wenn Sergio Mattarella am kommenden Dienstag sein Amt antritt, braucht er nur über die Straße zu gehen. Der Präsidentenpalast auf dem Quirinalshügel liegt genau gegenüber dem Verfassungsgericht, in dem Mattarella täglich zwölf Stunden über seinen Akten zu sitzen pflegte und wo er auch wohnt, seit seine Ehefrau vor knapp drei Jahren gestorben ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2015)

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