Mayotte: „Wir müssten verrückt sein, das abzulehnen“

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Das französische Überseegebiet Mayotte will den Voll-Anschluss an Frankreich. Die Beziehung zur alten Kolonialmacht wird in der Abstimmungs-Propaganda wie eine Liebesgeschichte dargestellt, die mindestens auf 1958 zurückgeht

Der Urnengang war ein Volksfest, zu dem die Frauen ihre farbigen „Saluva“-Gewänder anlegten und ihre Gesichter mit gelber Erde bemalten. Alle Parteien und Medien hatten die 70.000 Stimmberechtigten aufgerufen, am Sonntag mit „Oui“ zu stimmen. Und so galt der Ausgang des Referendums vor der für heute, Montag, erwarteten Bekanntgabe als sicher: Die Insel Mayotte nördlich Madagaskars will ein französisches Überseedepartement werden – wie Réunion östlich von Madagaskar, oder Guadeloupe, Martinique und Guayana in der Karibik.

Die Beziehung zur alten Kolonialmacht wird in der Abstimmungspropaganda wie eine Liebesgeschichte dargestellt, die mindestens auf 1958 zurückgeht, als General de Gaulle den Bürgern Mayottes, das 1841 zur Kolonie geworden war, den Anschluss in Aussicht stellte. Als sich 1974 das nahe Überseeterritorium der Komoren für die Unabhängigkeit von Paris entschied, spaltete sich Mayotte von diesen Schwesterinseln ab, um bei Paris zu bleiben. Das war gut gepokert: Das Bruttoinlandsprodukt und der Lebensstandard auf Mayotte sind viel höher als auf den verarmten Komoren.

Lust auf Sozialleistungen

„Wir müssten verrückt sein, das jetzt abzulehnen“, meint der Barbesitzer Mascati, der auf Unruhen auf den Komoren und in der nahen französischen Exkolonie Madagaskar verweist. Ein auf Französisch und in der lokalen Sprache „Schmore“ verfasstes Infodokument versucht dennoch, den Stimmbürgern darzulegen, was die Vor- und Nachteile ihres Entscheids sein könnten: Am meisten interessieren die einheimischen Mahorer die Sozialleistungen des Wohlfahrtsstaats, die bisher nur beschränkt gelten. Dafür würden aber neue Steuern erhoben, was erklärt, wieso viele zugewanderte Franzosen nicht für den Vollanschluss an Frankreich sind.

Vor allem aber müssen die lokalen Bräuche mit dem Recht Frankreichs in Einklang gebracht werden. Das wird ein Kulturschock in dem zu 95 Prozent islamischen Eiland, auf dem Kadis bis jetzt nach der Scharia richten. Unvereinbar mit der Republik sind auch legale Praktiken wie Polygamie und Verstoßung. Bei einem „Ja“ soll Mayotte 2012 als 101. Departement und damit wie ein Teil des Festlandes gelten – doch die juristisch-psychologische Übergangszeit in diesem afrikanischen Außenposten wird viel, viel länger dauern.

Viele gibt es amtlich gar nicht

Eine Hauptproblem wird es sein, die Mahorer in einem Personenregister zu erfassen. Viele existieren am Papier gar nicht, Geburten werden nur selten gemeldet. Seit 2008 bemühen sich die Behörden, das in Ordnung zu bringen. Die Gelegenheit scheint dabei günstig, sich einen Namen nach freier Wahl zuzulegen: So wollen viele Mahorer die Namen der früheren Präsidenten Mitterrand oder Chirac annehmen.

Und was geschieht mit den illegal aus den Komoren Eingewanderten? Sie machen etwa ein Drittel der vermutlich 210.000 Einwohner Mayottes aus. Jeden Tag versuchen Komorer und Madegassen mit Booten überzusetzen. Die Schnellboote der Grenzwache fangen sie oft ab, und man schickt sie zurück, doch sie kommen oft schon tags darauf wieder. Mit dem Departementstatus wird die Anziehungskraft noch wachsen.

Tritt sich Paris einen Nagel ein?

Der Präsident der Komoren, Ahmed Sambi, erachtet die Mahorer als Abtrünnige, die er durch eine Invasion, aber nicht mit Soldaten, sondern mit Flüchtlingen „strafen“ will. Er weiß, dass der Flüchtlingsstrom nach Mayotte auch ein Problem für Frankreich und die EU ist. Auf die Zunge beißen wird sich vielleicht eines Tages Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy: Er hat im Wahlkampf 2007 Mayotte die volle Aufnahme in den Schoß des Mutterlandes versprochen.

LEXIKON: Mayotte, die kleine Inselgruppe vor Madagaskar

1841 übernahm Frankreich die Kontrolle auf Mayotte, das zuvor von madegassischen Fürsten beherrscht wurde. Es besteht aus zwei Hauptinseln und mehreren Eilanden; hier leben 180.000 bis 250.000 Menschen (genau weiß man es nicht). Politisch ist es ein französisches Überseegebiet, die Bewohner können wählen, ob für sie selbst französisches oder einheimisches (islamisches) Recht gilt. Einnahmequellen sind Landwirtschaft, Zölle, Hilfszahlungen und ein wenig Fremdenverkehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2009)

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