Ankara klagt IS-Terroristen an

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Drei Extremisten aus Europa haben in Niğde ein tödliches Attentat ausgeführt. Das Verfahren gegen sie könnte mehr über die Reisewege der Jihadisten ans Licht bringen.

Istanbul. Die drei Männer zögerten keine Sekunde und eröffneten sofort das Feuer. Im März vergangenen Jahres gerieten der Deutsche Benjamin Xu, der Schweizer Cendrim Ramadi und der Mazedonier Mohammed Zakiri mit ihrem Wagen in der Nähe der Stadt Niğde, über 200 Kilometer südöstlich der türkischen Hauptstadt Ankara, in eine Straßenkontrolle der Polizei. Die zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gehörenden Extremisten stiegen aus, warfen eine Handgranate und erschossen einen Soldaten, einen Polizisten sowie einen unbeteiligten Lastwagenfahrer. Nun stehen die drei IS-Mitglieder ab kommendem Montag vor Gericht – im ersten Mordprozess gegen IS-Jihadisten auf türkischem Boden.

Bei dem Feuergefecht in Niğde wurden außerdem zehn Menschen verletzt, bevor das Terrortrio überwältigt werden konnte. Zumindest der Schweizer Ramadi zeigte keinerlei Reue. Wenn er einen türkischen Soldaten erschossen habe, dann habe er ja ein gutes Werk getan, sagte er. Die Polizisten, die ihn festnahmen, beschimpfte er als „Götzenanbeter“. Die Türkei sei als Nato-Mitglied ein legitimes Ziel für Anschläge, fügte er hinzu.

Zehn Monate in Syrien

Ramadi ist nach türkischen Presseberichten albanischer Herkunft; auch der Vater des Berliners Benjamin Xu soll aus Albanien stammen. Anders als Ramadi zeigte sich der Deutsche den Berichten zufolge im Polizeiverhör jedoch reuig. Zusammen mit seinen IS-Kollegen sei er auf dem Heimweg aus Syrien nach Bosnien gewesen, wegen der Straßensperre bei Niğde sei das Trio in Panik geraten und habe deshalb geschossen. Zehn Monate lang sollen sich die drei europäischen Extremisten beim IS in Syrien aufgehalten haben.

Die Staatsanwaltschaft fordert für die drei Angeklagten lebenslange Haftstrafen ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung. Das Verfahren könnte eine Gelegenheit bieten, mehr über die Mittel und Wege zu erfahren, mit denen Kämpfer aus Europa nach Syrien und zurück gelangen. So soll Xu nach seiner Ankunft in der Türkei zunächst bei einem als Wohlfahrtsorganisation getarnten Verein in Istanbul untergebracht worden sein, der als Station für Syrien-Kämpfer bekannt gewesen sei.

Kritiker bezweifeln jedoch, dass die türkischen Behörden die für das Land potenziell peinlichen Informationen über die Reisen der Terrortouristen in aller Öffentlichkeit diskutieren lassen wollen. Die linksgerichtete Zeitung „Evrensel“ etwa meldete, der Weg von Xu aus Berlin nach Syrien werde von der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift ignoriert.

Dem Anwalt Tugay Bek zufolge soll der Prozessauftakt so lange wie möglich aufgeschoben werden: Bei dem Fall Niğde taucht in der Anklageschrift der Name Heysem Topalca auf – ein Syrer, der die drei IS-Mitglieder für ihre Rückkehr in die Türkei geschleust haben soll. Topalca wurde auch im Zusammenhang mit dem schweren Bombenanschlag im türkischen Reyhanli genannt, bei dem vor zwei Jahren mehr als 50 Menschen starben. Topalca soll laut einigen Presseberichten Kontakte zum türkischen Geheimdienst MIT unterhalten. Bek behauptet sogar, Topalca werde vom MIT als Agent eingesetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2015)

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