Wie viele Waffen verträgt die Ukraine?

Ein schlechtes Blatt: Der ukrainische Präsident Poroschenko mit Pässen, die angeblich russischen Soldaten in der Ostukraine abgenommen wurden.
Ein schlechtes Blatt: Der ukrainische Präsident Poroschenko mit Pässen, die angeblich russischen Soldaten in der Ostukraine abgenommen wurden.REUTERS
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Bei der Münchner Sicherheitskonferenz prallten die Positionen Russlands und des Westens hart aufeinander. Doch auch der Westen ist gespalten: Soll man Kiew nun Waffen liefern oder nicht?

Wenn beide Seiten exakt das Entgegengesetzte behaupten, dann kann eine nicht die Wahrheit sagen. Hart prallten am Samstag bei der Münchner Sicherheitskonferenz Vertreter des Westens und Russlands mit ihren Standpunkten zur Ukraine aufeinander: Deutschlands Kanzlerin, Angela Merkel, warf Moskau explizit Völkerrechtsbruch vor, schon Freitagabend hatte ihre Verteidigungsministerin, Ursula von der Leyen, die russische Waffenhilfe für die Separatisten gegeißelt.

Doch die Vertreter Moskaus, allen voran Sergej Lawrow, die graue Eminenz der russischen Außenpolitik, wollen davon nichts wissen und streiten rundheraus alles ab. „Wir haben in der Ukraine gar nichts getan. Es handelt sich um einen internen Konflikt zwischen unterschiedlichen politischen Plattformen“, sagte Konstantin Kosatschow, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses in der Duma: „Es gibt keine russischen Truppen in der Ukraine.“

Während diese Aussage Polens Ex-Außenminister Radek Sikorski nur ein Lachen kostete, riss US-Senator Lindsey Graham der Geduldsfaden: „Aber sie legitimieren diesen Dreck doch“, und um sicherzugehen, dass sein Counterpart ihn auch verstanden hatte, wiederholte er das mit dem Dreck noch einmal. Die Debatte drohte kurz in ein kindergartenartiges „Du hast interveniert“-„Nein, habe ich nicht“-„Hast du doch“ abzugleiten.

Poroschenkos Pass-Aktionismus

Ganz ohne Aktionismus wollte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko dabei nicht auskommen: „Wie viele Beweise braucht die Welt denn noch?“, fragte er und hielt in beiden Händen wie ein Kartenspieler einen Strauß an Pässen in die Höhe: „Das hier sind russische Pässe, von russischen Soldaten, die sich angeblich in die Ukraine verlaufen haben und meine Soldaten und ukrainische Zivilisten töten, aufmunitioniert mit Panzern.“

Eine Spaltung existiert indes auch im westlichen Lager – selbst dies wurde in München überdeutlich –, nämlich über die Frage, ob man nun der ukrainischen Armee Waffen liefern solle, wie Poroschenko nachdrücklich forderte, oder nicht. Merkel bekräftigte auf ihre unnachahmlich lapidare Art die deutsche Position, wonach es in der Ukraine schon genug Waffen gebe: „Und ich glaube nicht, dass man den Ukrainern irgendwelche Waffen liefern kann, die Russland so beeindrucken, dass es fürchtet, militärisch zu verlieren“, sagte die Kanzlerin, und weiter: „Militärisch ist das nicht zu gewinnen, so realistisch muss man sein.“

Die Replik aus dem US-Lager (wo es auch keine einheitliche Lehrmeinung gibt, auch wenn US-Vizepräsident Joe Biden ein Einschwenken des Weißen Hauses auf ein pro andeutete) ließ nicht lang auf sich warten. „Ihr seid ein guter Verbündeter“, sagte Senator Graham, lobte den deutschen Einsatz in Afghanistan und die Waffenhilfe für die Kurden im Irak.Und es klang trotzdem ein wenig wie Shakespeares „Denn Brutus ist ein ehrenwerter Mann“, denn Graham teilt wie das US-Militär und maßgebliche Außenpolitiker im Kongress die Meinung, dass Waffenlieferungen an die Ukraine hoch an der Zeit sind: „Sie machen einen großen Fehler“, wandte er sich direkt an Merkel: „Sie sehen nicht, was das den Ukrainern bringen könnte, die für ihre Freiheit kämpfen?“ Dann werde er es ihr sagen: „Es erhöht die Kosten für Russland.“

USA könnten bald Waffen liefern

In den USA könnte ein Beschluss für die Lieferung von Defensivwaffen  bald fallen, und Graham verstand nicht ganz, warum die USA dies allein schultern sollten: „Schließlich habt ihr als EU die Ukraine ja umworben. Schuldet ihr den Ukrainern nicht etwas?“ Nichts werde sich im Konfliktgebiet ändern, wenn sich für Russland die Kosten-Nutzen-Rechnung nicht anders stelle.

In der Ostukraine gingen die Kämpfe ungeachtet der diplomatischen Bemühungen weiter: Die prorussischen Separatisten attackierten die Stadt Debaltsewo und die Hafenstadt Mariupol im Süden. In den abgelaufenen 24 Stunden seien fünf ukrainische Soldaten getötet und 26 verletzt worden, hieß es vonseiten der Armee.

Mit Hochspannung war in München erwartet worden, was Merkel über ihre mit Frankreichs Präsidenten François Hollande unternommene Friedensmission nach Moskau und Kiew sagen würde. Doch darüber schwieg sie sich wortreich aus. Zwischen den Zeilen konnte man lesen, dass es wohl wenig Fortschritte gab: „Es ist auf jeden Fall wert, diesen Versuch zu wagen, wir schulden das schon den Menschen in der Ukraine.“ Optimismus klingt anders. Obwohl das Minsker Abkommen bisher namentlich von Russland nicht eingehalten wurde, will sich Merkel nicht entmutigen lassen: „Mit dem Wort Garantien wäre ich jetzt vorsichtig, da haben wir bis jetzt keine ausreichend positiven Erfahrungen gemacht. Aber das kann nicht heißen, dass wir keine neuen Vereinbarungen mehr versuchen.“

Kurz: "Euphorie nein, Hoffnung ja"

Hollande sprach von einer der letzten Chancen, den Konflikt zu lösen Ganz so will das  Österreichs Außenminister Sebastian Kurz nicht sehen, man dürfe beim Suchen nach einer Verhandlungslösung nicht nachlassen. Kurz hatte am Samstag ein Treffen mit Lawrow, das er „intensiv“ nannte. Man habe Übereinstimmung darin gefunden, dass man die Merkel-Hollande-Initiative positiv sehe: „Grund zur Euphorie habe ich nicht, zur Hoffnung schon“, meinte Kurz nach dem Gespräch. Sobald ein Waffenstillstand erreicht sei, müsse man dauerhaftere Lösungen angehen.

Langfristig müsse es auch wieder um eine stärkere Annäherung zwischen Russland und der EU gehen. „Und wir dürfen Länder wie die Republik Moldau oder die Ukraine nicht in eine Zerreißprobe drängen.“ Keinen Verhandlungsspielraum sieht Kurz freilich da, „wo es um unsere grundlegenden Werte geht: Rechtsstaatlichkeit und Freiheit.“ Ganz so sieht es die deutsche Kanzlerin auch. Und sie forderte vom Westen mehr Geschlossenheit, vor allem in der Sanktionsfrage: „Man kann nicht nach zwei Wochen schon sagen, die Sanktionen wirken nicht. So gewinnt man eine Schlacht nicht.“ Das war vielleicht auch an die Adresse Wiens gerichtet, wo sich Kanzler Werner Faymann erneut ablehnend in Sachen Sanktionen äußerte.

Sollte es doch ein Zwischenabkommen geben – das war in München aus diplomatischen Kreisen zu erfahren –, könnte die EU neue Sanktionen gegen Russland noch einmal aufschieben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2015)

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