Merkel bei Obama: Gipfeltreffen der Zögerlichen

Obama meets German Chancellor Angela Merkel at the White House in Washington
Obama meets German Chancellor Angela Merkel at the White House in Washington(c) REUTERS (KEVIN LAMARQUE)
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US-Präsident Obama und Deutschlands Kanzlerin Merkel wollen keine Waffen an Kiew liefern – ungeachtet der Anzeichen einer nahenden russischen Großoffensive.

Washington. Während einer neunzigminütigen Unterredung und eines Arbeitsessens im Weißen Haus berieten der amerikanische Präsident Barack Obama und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Montag über die Reaktion des Westens auf den Krieg in der Ukraine. Schon vor Beginn war klar, dass derzeit noch keiner der beiden eine Aufrüstung der ukrainischen Streitkräfte unterstützt.

Für den Beobachter scheint zumindest die Haltung Washingtons widersprüchlich zu sein. Aus dem Kongress ertönen immer lautere Stimmen, den Ukrainern panzerbrechende Waffen, Drohnen zur Luftaufklärung, bombenfeste Geländewagen und Präzisionsradar zur Ermittlung der Standorte prorussischer Artilleriestellungen zu liefern. Vergangenen Dienstag appellierten 15 Senatoren beider Parteien an Obama, Kiew solches Gerät bereitzustellen.

Obama, der Chef, kocht selbst

Bei seiner Anhörung vor dem Streitkräfteausschuss des Senats sagte der designierte neue Verteidigungsminister, Ashton Carter, er neige der Lieferung von Waffen an die Ukraine stark zu. Um welche Rüstungsgüter es sich dabei handeln solle, „kann ich jetzt nicht sagen“, fügte Carter hinzu. Doch auf Nachfrage, ob das nicht Russland zur Lieferung von noch mehr schweren Waffen und klandestinen Spezialtruppen reizen würde, sagte Carter: „Ich denke, dass der wirtschaftliche und politische Druck auf Russland der Schwerpunkt unserer Bemühungen bleiben muss.“

Somit war der neue Herr über das Pentagon wieder voll auf Linie des Weißen Hauses: Vermögenssperren und Visabann gegen den Klüngel rund um Russlands Präsident Wladimir Putin und die Ächtung Russlands in internationalen Foren wie den G8 sollen den Kreml zum Einlenken bringen. Man darf sich durch schärfere Töne aus dem Pentagon, Außenministerium und Kongress nicht verwirren lassen: Obama hat die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik so stark im Weißen Haus konzentriert wie kaum ein Präsident vor ihm. Der Stab seines Nationalen Sicherheitsrates ist mit rund 400 Personen der größte aller Zeiten und doppelt so groß wie jener seines Vorgängers, George W. Bush. State Departement und Pentagon dürfen unter Obama fast durchwegs nur umsetzen, was das Weiße Haus beschließt: Das hat renommierte Diplomaten wie den mittlerweile verstorbenen Richard Holbrooke hinsichtlich des Umgangs mit Afghanistan und Pakistan ebenso an den Rand der Verzweiflung gebracht wie später in der Frage, ob Syriens Machthaber Bashar al-Assad als Sanktion für seinen Giftgaseinsatz zu bombardieren ist oder nicht.

Die Wirksamkeit dieser Obama-Doktrin, die selbst auf die taktische Maßnahme verzichtet, militärische Schritte anzudrohen, um die Verhandlungsbereitschaft des Gegners zu erhöhen, ist fraglich. Russlands Volkswirtschaft ist aufgrund der westlichen Sanktionen, vor allem aber aufgrund des rasant gesunkenen Ölpreises schwer angeschlagen, Präsident Putin erweckt jedoch nicht den Eindruck, seine Unterstützung der prorussischen Separatisten zurückzufahren.

Stattdessen mehren sich Anzeichen, dass der Kreml zumindest die Bedingungen für einen groß angelegten Einmarsch in der Ukraine schafft. Der russische Militäranalyst Alexandr Golts warnt in einem am 3. Februar erschienenen Kommentar in der Zeitung „Yezhednevny Zhurnal“ davor, dass „die Führer der selbst ernannten Republiken verstehen, was Moskau sagt: Sie sind auch für Gespräche, aber nur, wenn sie die von ihnen eroberten Gebiete behalten dürfen, und weil das nicht verhandelbar ist, werden sie weiterkämpfen – mit Moskaus Unterstützung.“

Truppen aus Tadschikistan

Das Gerede der Separatisten, 100.000 neue Kämpfer zu rekrutieren, solle bloß „die Vorbereitung für eine neue breitflächige Einführung russischer Truppen maskieren“, hielt Golts fest. Es sei unmöglich, so viele Kämpfer in der Ostukraine zu gewinnen; nicht einmal Stalin habe das im Zweiten Weltkrieg in dieser Region geschafft.

Die neuen prorussischen Truppen würden anderswoher kommen: Der Radiosender Echo Moskwy berichtete, rund 3000 Soldaten der 201. russischen Militärbasis in Tadschikistan würden an die Grenze zur Ukraine geschickt werden.

AUF EINEN BLICK

Keine Waffen für Kiew – diese Haltung eint US-Präsident Barack Obama und Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel. Sie trafen sich am Montag in Washington, um Maßnahmen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine zu besprechen. Während der US-Kongress sowie Diplomaten und Militärs zumindest die Androhung von Waffenlieferungen befürworten, halten Obama und Merkel vorläufig an einer Verschärfung der Sanktionspolitik fest.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2015)

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