Italien fordert Welt zum Eingreifen in Libyen auf

Rom fürchtet mit dem Vormarsch des IS zum Frontstaat zu werden. Von den Verbündeten fühlt sich Italien alleingelassen. Ein Militäreinsatz gilt als ausgeschlossen.

Wien/Rom. „Dies ist eine Botschaft an die Nation des Kreuzes“, ruft der Henker mit dem blutigen Messer in der Hand. „Früher habt ihr uns auf einem syrischen Hügel gesehen, jetzt stehen wir südlich von Rom. Und das werden wir nach Gottes Willen erobern.“ Dann hält die Kamera auf das Blut der 21 soeben enthaupteten koptischen Christen, das an diesem libyschen Strand langsam ins Mittelmeer fließt.

Dieses Propagandavideo, das die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) am Wochenende verbreitete, verfehlte seine Wirkung nicht: Mit dem überraschend schnellen Vormarsch der IS-Truppen in Libyen befürchtet Italien, unmittelbarer Frontstaat in einem Krieg mit den Islamisten zu werden. Am Wochenende schloss Italien seine Botschaft in Tripolis; sie war die einzige diplomatische Vertretung, die nach den Kämpfen der Milizen um die Hauptstadt dort verblieben war.

Demonstrative Einsatzbereitschaft

In Rom stellten sich alle Parteien – mit Ausnahme der „Grillini“ – hinter Außenminister Paolo Gentiloni. Dieser hatte nach dem Eindringen des IS in die ostlibysche Hafen- und Erdölstadt Sirte vor wenigen Tagen gesagt, Italien sei „im Rahmen der internationalen Ordnung zum Kämpfen in Libyen bereit“. Rom könne es „nicht akzeptieren, dass wenige Seemeilen vom eigenen Land entfernt eine terroristische Bedrohung existiert“.

Verteidigungsministerin Roberta Pinotti sprach unverzüglich von 5000 Mann, mit denen Italien eine „Koalition aus europäischen und nordafrikanischen Staaten anführen” könnte. Innenminister Angelino Alfano sagte, das „Löschen“ des Brandes in Libyen sei „entscheidend für die Zukunft des Westens“, man dürfe „keine Minute verlieren“.

Explizit machte Rom allerdings klar, dass es nur im Rahmen eines Mandats des UN-Sicherheitsrates handeln werde. Einen Alleingang, unterstrich Premier Matteo Renzi, werde es nicht geben. Von den Vereinten Nationen und vor allem vom Sicherheitsrat verlangte er, in Libyen die „diplomatischen und politischen Anstrengungen“ zu verdoppeln. Derzeit sei „nicht der Moment für eine Militärintervention“, schränkte er ein. Aber: „Es ist auch nicht gerecht, die ganzen Probleme uns zu überlassen, nur weil wir geografisch die Nächsten sind.“

In die Rufe zu handeln stimmte auch Malta ein. „Wir müssen verhindern, dass Libyen ein gescheiterter Staat wird“, sagte Premier Joseph Muscat. Die einzige Lösung, um Sicherheit wiederherzustellen, wäre ein UN-gestützter Einsatz, betonte er.

Tatsächlich wird sich der Sicherheitsrat wohl mit der Situation in Libyen befassen. Ägypten und die Vetomacht Frankreich forderten am Montag gemeinsam eine entsprechende Sitzung. Noch am Sonntag, nach Bekanntwerden des IS-Videos, hatte das Gremium in einer Erklärung den „abscheulichen und feigen Mord“ an den Christen verurteilt. Eine politische UN-Mission in Libyen zur Unterstützung des Übergangsprozesses wurde 2011 eingerichtet. Dass sich der Rat auf einen militärischen Einsatz einigen könnte, gilt als ausgeschlossen. Aus dem österreichischen Verteidigungsministerium hieß es zu einer Libyen-Mission am Montag, Wien werde eine Beteiligung erst prüfen, wenn ein UN-Mandat vorliege.

500 Kilometer sind es von Tripolis bis nach Sizilien. „Mit Scud-Raketen kommen wir bis auf italienisches Festland”, hat ein jihadistischer Twitterer bereits verkündet. Und die vorgeschobene Insel Lampedusa, die nur 300 Kilometer von Tripolis entfernt liegt, erinnert sich mit Schrecken an die beiden Scud-Raketen des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi, die im April 1986 knapp zwei Kilometer von der Insel entfernt im Meer eingeschlagen waren.

Gleichzeitig befürchtet Lampedusa und mit ihm ganz Italien ein weiteres, unkontrollierbares Anschwellen der Flüchtlingsströme. Schon am Wochenende rettete die Küstenwache wieder mehr als 2000 Afrikaner, die von ihren libyschen Schleusern teils mit Waffengewalt in Barken und Schlauchboote gezwungen worden waren. Die Italiener gerieten dabei selbst in Gefahr: Bewaffnet mit Maschinenpistolen zwangen die Schleuser sie 50 Meilen vor der libyschen Küste, ihnen ein bereits beschlagnahmtes Boot zurückzugeben – zur weiteren Verwendung in den kommenden Tagen.

Eine Frage des Erdöls

Italiens Nähe zu Libyen ist auch eine wirtschaftliche: Der teilstaatliche Erdölkonzern Eni fördert seit 1959 in Libyen, und bis zur Revolution dort im Jahre 2011 bezog Italien gut 30 Prozent seines Erdöls und Erdgases von „direkt gegenüber“. Diese Anteile sind heute auf sieben und neun Prozent geschrumpft. Ein Ausfall Libyens als Lieferant wäre nach einer Analyse der Mailänder Tageszeitung „Corriere della Sera“ verkraftbar, hätte Italien seit 2011 seine Versorgung nicht so stark auf Russland gestützt: „Und die heutigen Beziehungen zu Moskau sind eben, wie sie sind.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2015)

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