Frankreich droht Verlust eines gigantischen Rüstungsauftrags

Dassault Rafale
Dassault RafaleVitaly V. Kuzmin
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Indien steht kurz davor, die fast fix ausgemachte Bestellung von 126 Rafale-Jagdbombern abzusagen. Grund: Die einst projektierten Kosten haben sich auf über 20 Milliarden Dollar fast verdoppelt. In Paris beginnt das Zittern.

Gerade erst noch war der Jubel groß in Frankreich, nämlich am Montag, als die Republik ein kräftiges Waffengeschäft mit einem ausländischen Kunden verbuchen konnte: Für mehr als fünf Milliarden Euro werden Ägyptens Militärs französische Waffensysteme kaufen, vor allem 24 hochmoderne "Rafale"-Jagdbomber und ein Kriegsschiff. Der Vorstandschef des privaten Rüstungskonzerns Dassault Aviation, Éric Trappier, hatte den Vertrag für Frankreich am Montag in Kairo unterschrieben.

Und da die Ägypter, wie man hört, darauf bestehen, dass zumindest einige Jets noch vor August überstellt werden, also extrem kurzfristig, um anlässlich der Feiern zur Einweihung des erweiterten Suezkanals über die Wüste zu donnern, dürfte Ägypten auch der erste ausländische Betreiber der seit 1997 gebauten Rafale ("Windböe") werden: Bisher hatten sich alle Absatzchancen im Ausland, etwa in Brasilien, Marokko, Südkorea und der Schweiz, am Ende in Luft aufgelöst.

Fast alle: Das Riesenland Indien nämlich hatte nach einem jahrelangen internationalen Ausschreibungsprozess im Jänner 2012 Dassault den Zuschlag für 126 Rafales erteilt. Zudem behielt sich Delhi eine Option auf etwa 60 bis 75 weitere Flugzeuge. Es ist die größte militärische Beschaffung in der Geschichte der indischen Republik und einer der größten grenzüberschreitenden Waffendeals in den vergangenen Jahrzehnten überhaupt.

Vertrag "effektiv gestorben"

Nur: Während sich Frankreich wegen seines Erfolges in Ägypten freut könnte dieses titanische Geschäft den Franzosen noch unter den Händen zerrinnen: Indischen Medienberichten zufolge ist es ziemlich wahrscheinlich, dass Indiens Regierung von der Endunterzeichnung des Vertrages doch noch Abstand nimmt; das Geschäft sei "effektiv gestorben", heißt es. Verteidigungsminister Manohar Parrikar sagte am Montag, dass sich Dassault den ursprünglichen indischen Wünschen beugen müsse. Wenn nicht, könne man nichts mehr tun.

Einer der Hauptknackpunkte: der Preis. Anfang der 2000er-Jahre, als man in Indien die Beschaffung zu planen begann, waren dafür etwa 12 bis 13 Milliarden US-Dollar (10,5 bis 11,4 Milliarden Euro) budgetiert worden. Später wurde das nach oben justiert. Als Dassault 2012 - als damals günstigster Bieter - den Zuschlag bekam, stand man bei 17 bis 18 Milliarden Dollar. Seither soll der Preis weiter gestiegen sein, auf mindestens 20 Milliarden, ja es ist sogar von 24 bis 28 Milliarden Dollar die Rede.

Rafales beim Tanken in der Luft
Rafales beim Tanken in der LuftAlexandre Paringaux

Anonymen Quellen in der indischen Regierung und Luftfahrtindustrie zufolge ist Indien daran nicht unschuldig: Man habe nämlich bei dieser Ausschreibung erstmals nicht nach dem reinen Kaufpreis pro Stück entschieden sondern nach den Lebenszykluskosten, also den Gesamtkosten inklusive Stückpreis, Betriebskosten, Kosten der Ausrüstung und Überholung, und zwar über 30 bis 40 Jahre. Die Beamten des Verteidigungsministeriums seien mit der neuen Methode überfordert gewesen und hätten sich verschätzt.

Allerdings, so heißt es, habe Dassault auch "unkomplette" Unterlagen vorgelegt und zusätzliche Kosten erst allmählich aufgedeckt. Somit käme die Rafale heute sogar teurer als jenes Kampfflugzeug, das 2011/12 als auf dem zweiten Platz liegend ausgeschieden war: die auch in Österreich gut bekannte "Typhoon" von Eurofighter.

Probleme Haftung und Technologietransfer

Zwei weitere Knackpunkte ergaben sich daraus, dass Indien - das war von Anfang an klar - nur 18 der zunächst 126 Flugzeuge importieren und die übrigen 108 im Inland in Lizenz fertigen will, bei Hindustan Aeronautics Ltd. (HAL) in Bangalore. Trotz aller gegenteiliger Beteuerungen konnten allerdings bisher gewisse Details des dazu nötigen Technologietransfers aus Frankreich nicht gelöst werden - das betrifft etwa das RBE2-Radar der Rafale. Zudem verlangt Indien eine komplette Haftung der Franzosen für die von HAL zu bauenden Rafales, was Dassault nicht ohne Grund ablehnt, weil man etwa für Bauverzögerungen und Mängel der fremdgefertigten Jets einstehen müsste.

Nachdem die Gespräche in Richtung eines finalen Vertragsabschlusses seit vielen Monaten stocken, macht Indien jetzt wieder Druck: Verteidigungsminister Parrikar sagte zuletzt, das Geschäft müsse bis April unter Dach und Fach sein, wenn Premierminister Narendra Modi auf Besuch nach Deutschland und Frankreich fährt. Gelinge das nicht, werde man aussteigen. Punkt. Dassault-Chef Trappier indes gab sich zuletzt zuversichtlich, den Vertrag bis März unterschreiben zu können.

Alternative: die selbstgebaute Suchoi

Als Alternative zur Rafale, stellte Parrikar klar, wolle man weder eine neue Ausschreibung noch eines der damals unterlegenen Flugzeuge zum Zug kommen lassen. Damit löschte er neue Hoffnungen des Eurofighter-Konzerns, der vorigen Herbst ein verbessertes Angebot über 126 Typhoons nachgereicht hatte. Vielmehr wolle man einfach auf einen Kampfjet zurückgreifen, den man eigentlich sowieso seit Jahren im Inland baut: Die Suchoi SU-30MKI, einen Luftüberlegenheitsjäger, der von Suchoi in Russland für Indien entwickelt worden war und dort seit Anfang der 2000er von HAL in Serie gebaut wird.

Rund 160 dieser Jets, die mittlerweile das technologische Rückgrat der indischen Luftwaffe bilden, waren zuletzt laut "World Air Forces 2015" von Flightgobal einsatzbereit, anderen Quellen zufolge sind 200 bisher ausgeliefert worden; bis 2018/19 sollen es 272 werden.

Indische Su-30MKI mit Speziallackierung
Indische Su-30MKI mit Speziallackierungaircraftrecognition.co.uk

Oder vielleicht eben mehr: "Die Suchoi ist immer da", deutete Indiens Verteidigungsminister an. "Damit will ich sagen: ,Verpasst ihr ein Upgrade, macht sie besser!' Sie genügt unseren Anforderungen."

Diese Variante käme Indien auch wohl einfacher und günstiger: Die MKI-Fertigungslinie gibt es bereits und der Stückpreis wird mit etwa 56 Millionen Dollar angegeben, gegenüber etwa 75 bis 106 Millionen Dollar und mehr für die Rafale (die Zahlen entstammen den indischen Medienberichten und Dokumenten des französischen Senats, Anm.). In politischer Hinsicht indes würde diese Lösung eine weitere Annäherung an Russland andeuten.

Indische Luftsiege gegen US-Piloten

Angesichts des militärischen Umfeldes wäre eine eventuell kampfwertgesteigerte Variante der Su-30MKI (Russland wäre daran sicher beteiligt) für Indien vermutlich ausreichend. Die Maschine hat einen guten Ruf, man könnte sie mit weiteren auch europäischen und israelischen Luft-Luft- und Luft-Boden-Waffen nachrüsten und sie schnitt in Luftkampfmanövern etwa gegen "Tornado"-Jäger und Typhoons der Royal Air Force gut ab.

Noch heute prahlen die Inder auch damit, dass ihre Piloten mit Su-30MK (dem Vorgänger der MKI) anno 2004 bei einem Manöver mit der US-Luftwaffe in Indien die Amerikaner übel aussehen ließen: Die Inder gewannen 90 Prozent der simulierten Luftkämpfe gegen US-Jets vom Typ F-15 "Eagle"; das wurde von den verblüfften Amerikanern auch darauf zurückgeführt, dass ihre "Adler" nicht optimal ausgerüstet gewesen seien und einige andere Umstände des Manövers (hier ein indischer Rückblick) von vornhinein zugunsten der Inder "zurechtgerückt" worden seien.

US-indische Manöver von 2004: Indische Su-30MK, F-15 der USA, indische Mirage 2000 (von links)
US-indische Manöver von 2004: Indische Su-30MK, F-15 der USA, indische Mirage 2000 (von links)US Air Force

Im Zuge des Ausschreibungsverfahrens der indischen Luftwaffe, genannt MRCA-Competition ("Medium Multi-Role Combat Aircraft), waren neben Rafale und Typhoon übrigens auch die Saab "Gripen", die F-16 "Super Viper" von Lockheed Martin, die F/A-18E/F "Super Hornet" von Boeing und die MiG-35 "Fulcrum-F" von Mikoyan im Bewerb. Bis April 2011 waren nur noch die Rafale und die Typhoon im Rennen.

Für das französische Gerät sprach von Anfang an, dass die Inder seit Jahrzehnten andere Franzosenflieger betreiben (zuletzt Mirage 2000 und das schon angejahrte franko-britische Erdkampfflugzeug "Jaguar") und somit technische und infrastrukturelle Gemeinsamkeiten sowie persönliche Beziehungen vorhanden sind.

Viertgrößte Luftwaffe der Welt

Die Mirage 2000 hatte die Inder auch wegen ihrer guten Kampfleistungen im Kargil-Krieg von 1999 gegen Pakistan beeindruckt, was als Erwartungshaltung auf die Rafale abfärbte, die bisher etwa über Libyen, Mali, Afghanistan und aktuell gegen den "Islamischen Staat" im Nordirak und in Syrien zum Einsatz kam und kommt. (Siehe unten ein indisches Video über Luftwaffeneinsätze zu dem Krieg im Gebirge von 1999, mit Schwerpunkt auf der MiG-29). Im Übrigen kann die Rafale ohne große Modifikationen als trägergestützte Variante gebaut werden und - das wurde so allerdings nie laut besprochen - Atomwaffen tragen. Für beides ist der Eurofighter nicht ausgelegt (siehe auch diese Geschichte).

Piloten der indischen
Piloten der indischen "Tiger Squadron" mit Mirage 2000 im Kargil-KriegIAF

Indiens Luftwaffe ist aktuell mit rund 1900 einsatzfähigen Flugzeugen aller Art (Quelle: World Air Forces 2015) die viertgrößte der Welt nach jener der USA (13.900), Russlands (3400) und Chinas (2860). Auch bei Kampfflugzeugen im engeren Sinn hält Indien mit rund 760 Platz vier. Rund 250 davon sind alte, aber kampfwertgesteigerte russische MiG-21, sie sollen in den nächsten paar Jahren abgebaut werden. Danach kommt mit erwähnten rund 160 Stück schon die Su-33MKI, gefolgt von der Jaguar (117), MiG-27 "Bahadur" (russische "Flogger-D/J"-Serie, rund 85 Stück), MiG-29 "Fulcrum" (66) und Mirage 2000H (44).

Aktuell und künftig werden in größerer Zahl auch inländische Eigenentwicklungen wie der leichte Deltaflügel-Mehrzweckjäger "Tejas" von Hindustan Aeronautics in die Luftwaffe des Landes integriert. Indien arbeitet mit Russland auch an einem Tarnkappenjagdbomber, der an die T-50 von Suchoi angelehnt ist, aber beide Projekte ziehen sich noch und sind einigermaßen problembeladen.

Top Gun auf indische Art
Top Gun auf indische Artcadetsacademy.com

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