Libyen: Die Angst vor dem Terror in Flüchtlingsbooten

A passenger walks at the security checkpoint at the Ras Jdir border
A passenger walks at the security checkpoint at the Ras Jdir border(c) REUTERS (ISMAIL ZITOUNY)
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Ein Strategiepapier der Terrormiliz IS ruft zu Anschlägen auf westliche Schiffe im Mittelmeer auf. Kämpfer sollten sich über Flüchtlingsboote nach Europa schleusen lassen. Libyens Armee kann den Extremisten nichts entgegensetzen.

Bengasi. Der Tipp kam von einem Schmuggler. Zwei Jihadisten wollten auf einem seiner Flüchtlingsboote übers Mittelmeer – womöglich, um Anschläge in Europa zu verüben. „Ich wollte das zuerst nicht glauben“, erzählt Abdullah, ein Offizier der libyschen Armee. „Als mir der Schmuggler jedoch von den Gesprächen der beiden über den Heiligen Krieg und Ungläubige berichtete, sind wir sofort nach Zuwara gefahren und haben die beiden verhaftet.“

Zuwara ist eine Hafenstadt an der Westküste Libyens – ein Flüchtlingszentrum. Von hier aus sind es nur 154 Seemeilen, umgerechnet 291 Kilometer, nach Italien. Für die libyschen Behörden sind Insidertipps unverzichtbar, seit es neben Flüchtlingen aus Subsahara-Afrika auch Tausende von Syrern gibt, die vor dem Bürgerkrieg nach Europa fliehen. „Jihadisten könnten sich unter die syrischen Flüchtlinge mischen – und wir können nichts dagegen tun“, sagt Abdullah.

„Hölle über Südeuropa“

Kampferprobte Terroristen aus Libyen oder Syrien, die unbemerkt auf Flüchtlingsschiffen nach Europa kommen – das ist ein Albtraum für europäische Sicherheitsbehörden. Genau dieses Szenario entwirft nun aber ein neues Strategiepapier der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Libyen, die erst vor einer Woche mit der Hinrichtung von 21 koptischen Christen aus Ägypten weltweit für Entsetzen sorgte.

Die libyschen IS-Extremisten wollen die geografische Lage Libyens am Mittelmeer nutzen, um die „Hölle über Südeuropa loszubrechen“. „Schiffe und Tanker der Kreuzfahrer“ sollten angegriffen, Fährverbindungen gekappt, Kämpfer nach Europa eingeschleust werden, heißt es in dem Papier.

Es ist keine der üblichen Propagandaschriften, die sich an ein westliches Publikum richten und Angst und Schrecken verbreiten wollen. Dieser kurze Essay eines anonymen Verfassers aus Libyen ist für Jihadisten bestimmt, die ohnehin auf IS-Linie liegen. Deshalb wird das Papier besonders ernst genommen. „In Libyen gibt es eine lange Küstenlinie, von der die Kreuzfahrerstaaten leicht und selbst mit einfachsten Booten zu erreichen sind“, kann man im Dokument lesen. Man solle nur an die massiven Zahlen von sogenannten ,illegalen Immigranten‘ denken. Von ihnen wisse man, so heißt es weiter, wie „einfach die maritimen Sicherheitskontrollen zu passieren und die Städte zu erreichen sind“.

Behörden und Beobachter sind alarmiert. Bisher hat sich die radikal-sunnitische Gruppe regelmäßig in ihrer Grausamkeit selbst überboten. Sie dürfte versuchen, die Terrorschläge von Paris oder Kopenhagen noch zu überbieten, sollten die radikal-islamischen Kämpfer Malta, Italien oder Griechenland erreichen, heißt es.

Schon in der Vergangenheit haben militante Islamisten versucht, das Selbstmordattentat auf den amerikanischen Zerstörer USS Cole nachzuahmen. Am Morgen des 12. Oktober 2000 krachte ein mit 300 Kilogramm Sprengstoff beladenes Boot in die Seite des Kriegsschiffes und töte 17 Seeleute, 39 Menschen wurden verletzt. Ähnliche Versuche sind bisher gescheitert, doch das Thema ist aktuell: Erst im Oktober 2014 forderte das Terrornetzwerk al-Qaida in seinem Magazin „Resurgence“ erneut, Schiffe in der Meerenge von Gibraltar in die Luft zu jagen.

Aufgeflogene IS-Zellen

Die IS-Miliz scheint die noch weitaus aktivere Gruppe in der arabischen Mittelmeerregion zu sein. In Ceuta, einer von zwei spanischen Enklaven auf marokkanischem Territorium, flogen innerhalb eines Jahres gleich mehrere IS-Zellen auf. Ihre Mitglieder waren Kämpfer, die aus dem Bürgerkrieg in Syrien zurückgekommen waren, um Bombenanschläge in Spanien und Marokko auszuführen.

In Libyen können die IS-Extremisten nahezu ungestört agieren. Die beiden Städte Derna und Sirte sollen sich nach aktuellen Berichten unter ihrer Kontrolle befinden. Anhänger der Gruppe sollen auch in Bengasi und der Hauptstadt Tripolis Präsenz gezeigt haben.

Die Terrororganisation hat genug Geld, Kämpfer und Wissen, um Attentate durchzuführen. Schiffe in italienischen, griechischen Häfen oder bei Malta in die Luft zu sprengen, scheint kein realitätsfernes Szenario, meinen Beobachter. Zumal von den französischen Sicherheitsbehörden zu erfahren war, es gebe bereits Anhaltspunkte, die darauf hindeuteten, dass im Mittelmeerraum ein verheerender Anschlag geplant werde.

In ihren Videos hat die IS-Terrormiliz Europa mehrfach gedroht: „Wir werden in eure Straßen und Wohnungen kommen, um euch im eigenen Land abzuschlachten.“ Das sind kalkulierte Drohgebärden der Propagandamaschine, gleichzeitig steht fest, dass die Extremisten daran arbeiten und vor nichts zurückschrecken.

„Seit fünf oder sechs Monaten kommen Leute aus Mali, Algerien, Tunesien und Ägypten hierher“, erzählt Faraj, ein Bewohner der Hafenstadt Zuwara, der einige Freunde und Verwandte unter den Schmugglern hat. Mit ihrem „afghanischen Stil“ sähen sie nicht wie Flüchtlinge aus, schildert er sein Unbehagen. „Sie tragen diese langen Hemden und weiten Hosen der Jihadisten.“ Sie hätten genug Geld und müssten nicht nach Europa zum Arbeiten. Faraj weiß noch nicht, was er davon halten soll. „Natürlich können sich Islamisten leicht unter Flüchtlinge mischen“, meint er. „Hier fragt normalerweise niemand nach.“ Man halte dazu lieber den Mund.

Neues brutales Geschäft?

Einige Flüchtlingsboote sollen von Zuwara und anderen libyschen Häfen trotz schlechten Wetters ausgelaufen sein. Die Schmuggler hatten angeblich Angst, die Terroristen der IS könnten Passagiere für den Kampf rekrutieren. Spekuliert wird auch, dass es nur eine Frage der Zeit sein könnte, bis die Islamisten den Menschenhandel selbst übernehmen. Immerhin ist das ein lukratives Geschäft.

„Mit Gottes Erlaubnis ist Libyen der Schlüssel zu Ägypten, zu Tunesien, dem Sudan, Mali, Algerien und auch dem Niger“, heißt es im IS-Strategiepapier. Allerdings müsse man sich beeilen, wenn der Traum Wirklichkeit werden solle. Waffen aus den Arsenalen der ehemaligen Gaddafi-Armee gebe es genug. Nun sei voller Einsatz „für die große Sache“ gefragt. Danach könnte niemand mehr die „Gotteskrieger“ aufhalten und alle „Tyrannen und Regime“ würden besiegt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2015)

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