Estland: Russland als Wahlkampfthema Nr.1

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Am 1.März wählt der baltische Staat ein neues Parlament. Eine prorussische Partei könnte Wahlsieger werden – trotz Sicherheitsbedenken wegen der Ukraine-Krise.

Tallinn/Wien. Es ist ein ungewöhnliches Video, mit dem der estnische Regierungschef, Taavi Rõivas, im Vorfeld der Parlamentswahlen Schlagzeilen machte: Darin erklärte er Kindern die Nato-Beistandsgarantie. Estland sei eine Erbse, die neben einer bösen Orange (Russland) lebe. Wegen ihrer Freundschaft mit anderen Obst- und Gemüsesorten brauche sie sich jedoch keine Sorgen machen.

Am 1.März entscheidet rund eine Million Wahlberechtigte über die Zusammensetzung der 101 Mandate im estnischen Parlament. Sicherheitsbedenken waren angesichts der russischen Bestrebungen in der Ukraine ein Dauerthema. Knapp ein Vierteljahrhundert erst, seit dem Kollaps der Sowjetunion 1991, ist der kleine Baltenstaat unabhängig. Dabei verbindet Estland nicht nur eine 300 Kilometer lange Grenze mit dem Nachbarn, sondern auch eine große Russisch sprechende Minderheit, die etwa ein Drittel der Bevölkerung ausmacht. Sie ist zugleich die sozial schwächste Gruppe des 1,3 Millionen Einwohner zählenden Landes.

Erstmals tritt der 35-jährige Rõivas als Spitzenkandidat für die wirtschaftsliberale Reformpartei an. Sie stellt derzeit gemeinsam mit den Sozialdemokraten, die in Umfragen an dritter Stelle gesehen werden, die Regierung. Größter Rivale des Nato-Befürworters ist Edgar Savisaar, Chef der oppositionellen Zentrumspartei. In Wähleranalysen liefern sich die beiden ein Kopf-an-Kopf-Rennen – der Wahlausgang dürfte demnach bis zuletzt ungewiss bleiben.

Per Mausklick haben zehn Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme bereits zur Vorwahlfrist am Mittwoch abgegeben. Seit 2005 versucht die estnische Regierung, die relativ niedrige Wahlbeteiligung mit einem Online-Voting anzukurbeln. Esten sind damit die einzigen EU-Bürger, die ihr Parlament über das Internet wählen können.

Linkspopulist spaltet Esten

Der Überraschungskandidat Savisaar ist bei Pensionisten und „Estländern“, wie sich Angehörige der russischen Minderheit nennen, beliebt. 70Prozent der meist ethnischen Russen unterstützen den Bürgermeister von Tallinn. Der 64-Jährige will unter anderem mit linkspopulistischen Versprechen punkten. So tritt er etwa für einen Mindestlohn von 1000 Euro ein.

Eine Regierungsbeteiligung der Zentrumspartei ist jedoch unwahrscheinlich. Schon im Vorfeld schlossen die anderen Parlamentsparteien eine Koalition mit Savisaar aus. Keiner spaltet die Bewohner des EU-Landes so stark wie er: Einerseits wird dem Bürgermeister Steuermissbrauch vorgeworfen. Andererseits misstrauen ihm viele Esten aufgrund seiner guten Beziehungen zu Moskau. (maka/ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2015)

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