Edit Schlaffer "Österreich hat noch keine Strategie"

(c) Michaela Bruckberger.
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Interview. „Frauen ohne Grenzen“ baut in Wien die erste Mütterschule gegen den Terror auf. Gründerin Edit Schlaffer erklärt, warum „Multi-Kulti abgesagt“ ist und wie sich die Radikalisierung von Kindern zeigt.

Wien. In sechs Ländern hat „Frauen ohne Grenzen“ bisher Mütterschulen aufgebaut: In Tadschikistan, Indien, Pakistan, Indonesien, Sansibar und Nigeria, wo Boko Haram wütet. Land Nummer sieben wird – Österreich. Am Montag wird das Konzept vorgestellt, dessen Grundzüge der „Presse“ vorliegen: Demnach sollen Gruppen von je 15 Müttern über vier Monate in Workshops darin ausgebildet werden, wie sie eine Radikalisierung ihr Kinder erkennen und gegensteuern können. Dazu werden die Frauen auch mit den Erzählungen von Betroffenen ausgerüstet. Unter den Betreuerinnen ist etwa eine Österreicherin, deren Kind für den Terror rekrutiert wurde. Besorgte Mütter will die Organisation auch finden, indem sie „in Gegenden geht, die Brennpunkte sind“. Zuletzt gab es zudem einen Mütterabend in einer islamischen Schule in Floridsdorf. Und warum Mütter? „Weil sie die erste Verteidigungslinie sind. Sie sehen jede graduelle Veränderung an ihrem Kind“, sagt die österreichische Sozialwissenschaftlerin Edit Schlaffer, die „Frauen ohne Grenzen“ aufgebaut hat.

Die Presse: Sie hatten bereits Kontakt mit besorgten Müttern in Österreich. Aus welchem Umfeld stammten diese Frauen?
Edit Schlaffer: Häufig waren es angepasste Gastarbeiterfamilien zweiter Generation. Zum Teil wurden die Elterndafür von ihren Kindern kritisiert oder sogar verachtet. Die sagen: „Wohin hast du es gebracht mit deiner Anpassung? Wir werden doch noch immer ausgegrenzt und wegen unseres Glaubens oder Namens schief angeschaut. Ich mache da nicht mehr mit.“ Es gibt also ein gefährliches Identitätsvakuum in der Generation der jungen Migranten und Muslime. Und wir überlassen diese Risikogruppe sich selbst. Das ist Wahnsinn. Wir müssten hier entschiedener gegensteuern.


Und wie?
Die staatliche Bemühungen um Dialog müssen sich auf vier Ebenen abspielen: Familie, Schule sowie Freizeit- und Sozialeinrichtungen. Kinder in Halbtagsschulen haben nach dem Unterricht ab 13, 14 Uhr weder Ordnung noch Struktur. Sie schwirren dann durch Moscheen, Shoppingmalls und soziale Netzwerke auf der Suche nach Identität. Und IS macht das ausgezeichnet, sie machen ihnen verführerische Angebote. Und wenn kein Halt geboten wird, glauben sie diesen Erzählungen, dann verlieren wir diese Kinder.

Welche Anzeichen für eine Radikalisierung gibt es?
Die Jugendlichen kommen nach Hause und sind zunehmend verschlossen. Auffallend ist, dass sie Kontakte zu den alten Freunden abbrechen. Oder die Bekleidung: Bei den Mädchen wird sie unförmiger. Burschen sind überhaupt nicht mehr modebewusst. Dazu kommt das absolute Ablehnen von Musik und Fernsehen. Viele Mütter berichteten uns außerdem, dass Kinder nicht mehr am Tisch sitzen wollen, wenn es Wein gibt. Sie wollen nur noch halal essen. Familienroutinen werden ständig hinterfragt. Die ersten Tendenz vieler Mütter ist es aber, diese Anzeichen zu verleugnen – aus Scham- und Schuldgefühl. Das versuchen wir in der Mütterschule zu durchbrechen.


Wie genau kann eine Mutter ein radikalisiertes Kind noch erreichen?
Sie muss harte Fakten in der Hand haben, wenn sie auf ihr Kind zugeht. Wir wissen von unseren anderen Schulen, dass die Kinder dann auch Interesse zeigen. Derzeit sind wir mit europäische Müttern in Kontakt, deren Kinder sich der Terrorgruppe IS angeschlossen haben. Mit einer Ausnahme schreiben ihre Kinder alle mindestens wöchentlich SMS. Dabei zeigt sich: Über einen Zeitraum von etwa fünf Monaten sind alle Kinder begeistert vom Aufbruch in die neue Welt, der Kameraderie. Dann der erste „Breakdown“: Die Mädchen, manchmal schon schwanger, werden misshandelt, sehr häufig geschlagen und dürfen das Haus nicht verlassen. Die Burschen merken, dass sie nur Fußvolk sind, als Kanonenfutter missbraucht werden. Diese Erfahrungen wandern aus den Mütterschulen in die Familien und lösen sehr oft doch Zweifel bei den Jugendlichen aus.

Sie sitzen seit Kurzem auch in einer Expertengruppe zum Thema Deradikalisierung, die das Unterrichtsministerium ins Leben gerufen hat. Wie läuft es bisher?
Das ist erst ein ein Anfang. Es gibt noch keine Strategie. Auch die Experten haben noch keine umfassende Expertise. Wir müssen uns deshalb ganz dringend nach internationalen Modellversuchen umschauen. Wenn wir es richtig ernst meinen mit Integration und Anti-Radikalisierung, dann braucht es außerdem neben der täglichen Turnstunde auch eine tägliche Geschichte- und politische Bildungsstunde. Und es braucht eine Art Anti-Terror-Botschafter, wie es ihn in Ländern wie Schweden oder der Schweiz bereits gibt. Ministeriell ist das nicht zu schaffen.

Ein paar Schritte wurden bereits gesetzt, wie die Deradikalisierungshotline . . .
. . . ja, das ist auch wichtig. Wir dürfen aber nicht nur mit der Gießkanne arbeiten. Wir brauchen Modelle die funktionieren. So könnte sich Österreich als neutrales Land international einen Namen machen. Das ist ein Investment, das sich meiner Meinung nach lohnen würde.

Das offizielle Österreich war zuletzt im Gegensatz zu Ihnen aber nicht einmal auf dem Anti-Terror-Gipfel im Weißen Haus eingeladen. Warum nicht?
Weil Österreich im Moment noch zu wenig zu bieten hat. Wir müssen der Versuchung widerstehen, die Thematik weiterhin parteipolitisch zu zersplittern.

Integration ist in Österreich teilweise auch noch ein Tabuthema. Ist der Multi-Kulti-Ansatz gescheitert?
Multi-Kulti ist abgesagt. Das war so wie Flower Power und die Hippie-Bewegung und hat in Wirklichkeit mehr Schaden angerichtet als genutzt. Weil wir gedacht haben, wir müssten nichts dazu tun, es läuft ein Eigenmechanismus, wenn wir also gute Menschen sind und freundlich zulächeln, wird alles perfekt sein. Bestehende Ängste müssen nun thematisiert werden. Wenn wir das unter den Teppich kehren, dann sind wir dort, wo die Mütter sind, die die Gefährdung ihrer Kinder leugnen. Das Persönliche ist eben immer auch sehr politisch.

ZUR PERSON

Edit Schlaffer (geb. 1950 in Stegersbach) gründete 2002 in Wien die internationale Organisation Frauen ohne Grenzen. Sechs Jahre später rief die renommierte Soziologin SAVE (Sisters Against Violent Extremism) ins Leben, eine globale Anti-Terror-Plattform, in der Frauen gemeinsam gegen Extremismus kämpfen. [ Bruckberger ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2015)

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