Mordanschlag auf Putingegner Boris Nemzow

Boris Nemzow wurde in Moskau erschossen
Boris Nemzow wurde in Moskau erschossenImago (ITAR TASS)
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Der russische Oppositionspolitiker Nemzow ist am Freitagabend in Moskau auf offener Straße erschossen worden. Putin spricht von Provokation. Obama würdigt Nemzows "tapferen Einsatz" gegen die Korruption.

Kurz vor einer geplanten Demonstration der russischen Opposition ist in Moskau einer der letzten Kritiker von Präsident Wladimir Putin erschossen worden. Boris Nemzow sei am späten Freitagabend über eine Brücke nahe des Kreml gegangen, als ihm ein Unbekannter vier Kugeln in den Rücken geschossen habe, sagte eine Sprecherin des russischen Innenministeriums.

Nach dem Mord an dem russischen Oppositionsführer Boris Nemzow haben Ermittler Fernsehberichten zufolge möglicherweise das Fluchtauto der Täter gefunden. Der TV-Sender Rossija 24 zeigte das weiße Fahrzeug mit einem Nummernschild der russischen Teilrepublik Inguschetien, die im islamisch geprägten Konfliktgebiet Nordkaukasus liegt. Von den Tätern fehlte demnach allerdings jede Spur.

Der 55-jährige frühere Vize-Regierungschef Nemzow war einer der profiliertesten Putin-Kritiker. Nur drei Stunden vor dem Attentat hatte er dem Staatschef im Radiosender Moskauer Echo erneut eine "unsinnige Aggression gegen die Ukraine" vorgeworfen, die die russische Wirtschaft in die Krise gestürzt habe. Das Interview wurde zu seinem politischen Vermächtnis.

Das übersteigt die Vorstellungskraft

Innenministeriumssprecherin Elena Alexiwa sagte dem TV-Sender Rossia 24, Nemzow sei in Begleitung einer jungen Frau über die Große Steinerne Brücke in Sichtweite des Kreml gegangen, als sich gegen 23.15 Uhr ein Wagen genähert habe. "Laut vorläufigen Informationen hat ein noch nicht identifizierter Täter aus einem Wagen heraus mindestens sieben bis acht Mal auf Nemzow geschossen", erklärte die Staatsanwaltschaft am Samstag in der Frün. Vier davon trafen Nemzow in den Rücken.

"Im 21. Jahrhundert, im Jahr 2015, wird ein Oppositionsführer unter den Mauern des Kreml getötet - das übersteigt die Vorstellungskraft", sagte Nemzows Weggefährte und Putins Ex-Ministerpräsident Michail Kassjanow. Nach seinen Worten musste Nemzow den Preis dafür zahlen, "dass er jahrelang dafür kämpfte, dass Russland ein freies und demokratisches Land wird". Die Tat erschütterte die russische Hauptstadt, noch in der Nacht legten viele Moskauer Blumen an der Brücke nieder. Der Oppositionelle und ehemalige Schachweltmeister Garri Kasparow warf Putin über Twitter vor, "ein Klima des Hasses und der Gewalt" im In- und Ausland geschaffen zu haben. "Blutvergießen ist die Voraussetzung, um Loyalität zu beweisen", erklärte er weiter. "Dann gehört man dazu." Es sei daher egal, ob Putin selbst den Befehl zur Ermordung von Nemzow gegeben habe: "Es ist Putins Diktatur."

Der Oppositionspolitiker Wladimir Ryschkow warnte vor einem "wachsenden Hass auf Andersdenkende" in der Gesellschaft. "Ich bin schockiert", sagte er. Kein Oppositioneller könne sich heute sicher fühlen in dem Land, betont er. Der ehemalige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow warnte unterdessen davor, voreilige Schlüsse zu ziehen. "Gewisse Kräfte werden die Tötung zu ihrem eigenen Vorteil nutzen", erklärte er. "Sie überlegen, wie sie Putin loswerden können."

Solche Morde schaden dem Präsidenten

Es handle sich "hundertprozentig" um eine Provokation, meint Putins Sprecher Dmitri Peskow. Der Präsident verurteile den "brutalen Mord". Der russische Präsident Wladimir Putin hat Nemzow für seine Verdienste gewürdigt und zugesichert, sich vehement für die Aufklärung des Verbrechens einzusetzen. "Es wird alles getan, damit die Organisatoren und Täter dieses hässlichen und zynischen Mordes ihrer verdienten Strafe zugeführt werden", versprach Putin in einem Beileidstelegramm.

Wie stets bei solchen politischen Verbrechen in Russland richten sich rasch alle Augen auf den Kreml. Und wie fast immer ist der Machtapparat rasch dabei, jeden Verdacht zu zerstreuen. Die offizielle Lesart: Solche Morde schaden dem Präsidenten eher als dass sie ihm politisch nützen. "Bei aller Achtung für das Andenken Boris Nemzows - in politischer Hinsicht hat er keine Bedrohung dargestellt (...) für die amtierende Führung Russlands und für Wladimir Putin", betont Peskow in einem Radiointerview.

Obama würdigt Nemzows "tapferen Einsatz"

US-Präsident Barack Obama hat die "brutale Ermordung" des russischen Oppositionspolitikers Boris Nemzow scharf verurteilt. In einer am Freitagabend (Ortszeit) in Washington vom Weißen Haus verbreiteten Erklärung wird die russische Führung zu einer "schnellen, unvoreingenommenen und transparenten" Aufklärung des Verbrechens aufgefordert. Obama würdigte Nemzows "tapferen Einsatz" gegen die Korruption in Russland. Er sprach der Familie Nemzows sein Beileid aus, ebenso wie dem russischen Volk, das "einen der engagiertesten und eloquentesten Verteidiger seiner Rechte" verloren habe.

Auch der französische Präsident Francois Hollande verurteilte die Ermordung Nemzows scharf. Es handle sich um einen "abscheulichen Mord" an einem "mutigen und unermüdlichen Verteidiger der Demokratie", erklärte Hollande am Samstag in Paris. Zugleich würdigte er Nemzows "hartnäckigen" Kampf gegen die Korruption. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel würdigte den Mut Nemzows und zeigte sich laut Regierungssprecher Steffen Seibert "bestürzt über die hinterhältige Ermordung". Merkel fordere Putin auf, "zu gewährleisten, dass der Mord aufgeklärt und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden".

Poroschenko schockiert über Mord

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat sich schockiert über den Mord an dem russischen Oppositionspolitiker Boris Nemzow geäußert. "Sie haben Boris umgebracht. Es ist kaum zu glauben. Ich habe keine Zweifel, dass die Täter bestraft werden. Früher oder später", schrieb der prowestliche Staatschef in der Nacht zum Samstag auf Twitter. Nemzow war ein glühender Unterstützer des prowestlichen Kurses in der Ukraine.

Der liberale Politiker Ilja Walerjewitsch Jaschin (Mitte) kam noch in der Nacht zum Tatort
Der liberale Politiker Ilja Walerjewitsch Jaschin (Mitte) kam noch in der Nacht zum TatortImago (ITAR TASS)

"Was ist aus Russland geworden?"

An diesem Sonntag wollte Nemzow bei einem Frühlingsmarsch in Moskau auftreten, der ersten großen Oppositionsaktion dieses Jahres - ein organisierter Protest gegen Putins Ukraine-Politik, die aus Sicht des Kremlgegners Russland in den Abgrund stürzt. Doch ob es zu dem Marsch wie vorgesehen kommt, ist unklar.

Der Oppositionsführer und frühere Regierungschef Michail Kasjanow will die Aktion absagen - und durch eine Gedenkveranstaltung für den liberalen Politiker ersetzen. "Was ist aus Russland geworden?", fragt Kasjanow entsetzt im Radiosender Echo Moskwy. Die "Tragödie" zeuge davon, dass die Aggression zunehme in Russland.

Viele Wegbegleiter von Nemzow sprechen mit von einem großen Verlust für demokratisch denkende Menschen im größten Land der Erde. Dutzende kommen noch in der Nacht zum Tatort, um Kerzen anzuzünden und Blumen auf den Asphalt zu legen.

Zur Person

Nemzow startete seine politische Laufbahn als Gouverneur der zentralrussischen Region Nischni Nowgorod. 1997 und 1998 war er unter dem damaligen Präsidenten Boris Jelzin kurzzeitig Vize-Ministerpräsident und einer der Architekten der liberalen Wirtschaftsreformen. Bei der Präsidentschaftswahl 2008 schickte ihn die liberale Partei Union der rechten Kräfte ins Rennen, er legte die Kandidatur aber vor der Wahl nieder.

Den Einschüchterungen durch die Behörden hatte er immer wieder getrotzt. Weil er gegen Haftstrafen für Putin-Gegner auf die Straße gegangen war, war er vor einem Jahr selbst zu mehreren Tagen Gefängnis verurteilt worden. Mit seiner Kritik erreichte Nemzow vor allem Intellektuelle in Moskau, teilweise auch die Mittelschicht. Außerhalb der großen Städte hat die Opposition aber wenig Unterstützung. Nach  

(APA/AFP/Reuters/dpa)

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