Wer ermordete Oppositionsführer Boris Nemzow?

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Der Kreml sieht "ausländische Mächte" hinter dem Attentat auf den Aktivisten. Doch für die Opposition heißt der Verantwortliche Putin.

Es war ein Mord mit einer Botschaft. Die Leiche auf dem nassen nächtlichen Asphalt lag im Sichtweite des Kreml, wie drapiert für Fotografen. Im Hintergrund ragten die berühmten Zwiebeltürme der Basilius-Kathedrale, Lichterketten schillern in den Farben der russischen Trikolore und von einer schwarzen Plastikplane verdeckt der reglose Körper von Boris Nemzow. Mit vier Schüssen in den Rücken war der russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow in der Nacht auf Samstag auf der Großen-Moskwa-Brücke, in unmittelbarer Nähe des Kremls, aus einem Auto heraus erschossen worden.

Bereits kurz nach der Tat versammelten sich Journalisten, Freunde und Weggefährten des 55-jährigen auf der Brücke. Blumen wurden niedergelegt, Kerzen angezündet. An der improvisierten Gedenkstätte wurde eine Ausgabe der Verfassung der Russischen Föderation abgelegt und an die Mauer Flyer mit der Aufschrift „Ohne Euch bricht der Frühling nicht an!“ geklebt.

Nach Interview getötet. Am Sonntag hätte ein regierungskritischer „Frühlingsmarsch“ in Moskau stattfinden sollen. Nemzow, ehemaliger stellvertretender Ministerpräsident und neben Alexei Nawalny der bekannteste Kopf der russischen Opposition, war einer der Organisatoren der Veranstaltung. Nur wenige Stunden vor seiner Ermordung gab Nemzow dem Radiosender Echo Moskau noch ein Interview, in dem er die Zuhörer mit Nachdruck dazu aufforderte, am Sonntag auf die Straße zu gehen und an der Demonstration teilzunehmen. Auf dem Heimweg vom Radiostudio, am Freitag kurz vor Mitternacht, wurde er aus einem vorbeifahrenden Auto erschossen.

Am Samstag sagten die Organisatoren die Veranstaltung ab. Stattdessen wird am Sonntagnachmittag ein von der Stadtverwaltung bewilligter Trauermarsch durch das Stadtzentrum bis zum Tatort stattfinden.

Der Kreml reagierte umgehend. Als „reine Provokation“ mit „Anzeichen eines Auftragsmordes“ bezeichnete ein Sprecher von Präsident Wladimir Putin die Tat. Der Kremlchef versicherte, sich persönlich für die Aufklärung des Verbrechens einzusetzen. „Es wird alles getan, damit die Organisatoren und Täter dieses hässlichen und zynischen Mordes ihrer verdienten Strafe zugeführt werden“, versprach Putin in einem Beileidstelegramm am Samstag an Nemzows Mutter.

Tief erschüttert dagegen die Opposition: In sozialen Netzwerken wurde das Verbrechen als „politischer Mord“ verurteilt, die Rede war gar von Terrorismus. „Schockiert und kaum der Worte fähig sei er“, war in einem Statement auf der Facebook-Seite von Nawalny zu lesen. Boris habe ihn noch vor wenigen Tagen im Gefängnis besucht, schreibt der Antikorruptionsaktivist, der noch bis zum 6.März eine administrative Strafe absitzt. Nemzow sei fröhlich gewesen, voller Energie und habe sogar versucht, die Polizisten von einer Teilnahme an der Demonstration zu überzeugen.

Trotz der Lage im Herzen der Hauptstadt und der hohen Polizeipräsenz rund um den Kreml sind noch keine Informationen zu den Tatverdächtigen bekannt. Begleitet wurde Nemzow von einem 23-jährigen Fotomodell aus der Ukraine, schilderte der staatliche Sender „Rossija 24“. Viele Beweise hätte der Schneeregen in der Nacht zwar vernichtet, sagte Wladimir Markin, Sprecher des staatlichen Ermittlungskomitees. Am Tatort seien jedoch sechs Hülsen aus einer 9-Millimeter-Pistole der Marke Makarow gefunden worden. Die Begleiterin sei unverletzt geblieben und werde neben weiteren Augenzeugen vernommen.

„Innerukrainische Ereignisse“. Die Behörden prüfen verschiedene Tathintergründe. Markin spricht von einer möglichen Provokation, um die politische Lage im Land zu destabilisieren. Nemzow könnte ein Opfer von Kräften geworden sein, die vor keiner Methode zurückschrecken, um ihre politischen Ziele zu erreichen, sagte der Sprecher des Ermittlungskommittees, allerdings ohne Details zu nennen, wen er damit gemeint haben könnte. Ebenso gründlich werde einem möglichen „islamistisch-extremistischen“ Hintergrund nachgegangen. Nemzow habe laut Markin Drohungen erhalten, da er die Anschläge auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris stark verurteilte. Das dritte Motiv sei in den „innerukrainischen Ereignissen“ zu suchen. Es sei kein Geheimnis, dass auf beiden Seiten des Konflikts radikale Personen stehen würden, die sich keiner Autorität unterwerfen würden.

Nemzow hatte immer wieder Putins Politik in der Ukraine kritisiert und darauf hingewiesen, dass der Kreml die Separatisten im Donbass mit russischen Truppen unterstütze. Medienberichten zufolge arbeitete der Oppositionelle an der Veröffentlichung eines Berichts über die Teilnahme russischer Soldaten am Krieg in der Ostukraine.

Der Konflikt in der Ukraine hat die Lage für die russische Opposition weiter verschärft. Die Propaganda im Staatsfernsehen schürt seit Monaten den Hass auf Andersdenkende und wiederholt gebetsmühlenartig die Theorie, der Krieg in der Ukraine werde von ausländischen Kräften geschürt. Wer sich öffentlich dagegen wendet, wird als Feind, im Sold westlicher Kräfte stehend, gebrandmarkt.

Auch Nemzow wurde immer wieder angegriffen und etwa als CIA-Agent beschimpft. Am Sonntagabend will der Sender NTV einen Film ausstrahlen, der die angebliche Steuerung der Opposition durch das Ausland zeigt. Im Trailer dazu ist auch Nemzow zu sehen. Nur vereinzelte Stimmen machten die Hasspropaganda für den Mord verantwortlich: „Die politische Verantwortung für den Mord liegt bei der Regierung und bei Putin“, sagte Grigorji Jawlinski, Gründer der Partei Jabloko.

Hoffnung auf eine rasche und vollständige Aufklärung des Verbrechens macht sich in Russland allerdings kaum jemand. Die Tat erinnert wohl viele an den Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja, die 2006 in Moskau ihre kritische Berichterstattung mit dem Leben bezahlte. Erst acht Jahre später wurden die Täter verurteilt, die Hintermänner sind nach wie vor im Dunklen. Auch im Falle Nemzow könnte Ähnliches drohen.

FAKTEN

Boris Nemzow war in den Neunzigerjahren ein wichtiger Gefolgsmann des damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin. Nemzow war Vizepremier und machte sich als Wirtschaftsreformer einen Namen.

Zu Wladimir Putin,der im Jahr 2000 das russische Präsidentenamt übernahm, ging Nemzow rasch auf Distanz. Nemzow wurde zu einem der heftigsten Kritiker des Kremlchefs. Am Freitagabend wurde Nemzow in Moskau auf offener Straße erschossen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2015)

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