Ließ Mazedoniens Premier sein Volk bespitzeln?

Macedonia´s chief opposition leader Zaev speaks to the media during a news conference in Skopje
Macedonia´s chief opposition leader Zaev speaks to the media during a news conference in Skopje(c) REUTERS (OGNEN TEOFILOVSKI)
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Nikola Gruevskis Regierung soll Freund und Feind systematisch belauscht haben: insgesamt 20.000 Personen. Nun tauchen Mitschnitte auf, die tiefen Einblick in die Willkürherrschaft in dem EU-Kandidatenland geben.

Belgrad/Skopje. Der angeschlagene EU-Anwärter Mazedonien kommt nicht zur Ruhe. Seit Wochen lanciert Mazedoniens Opposition einen brisanten Telefonmitschnitt nach dem anderen, und der sonst so wortgewaltige Premier Nikola Gruevski übt sich in der Kunst wortkarger Dementis. Die entlarvenden Abhöraktionen seien von „einem ausländischen Geheimdienst“ angeordnet worden, so das Dauercredo des nationalpopulistischen Regierungschefs: Der sozialdemokratische Oppositionschef Zoran Zaev habe einen Staatsstreich zur Machtergreifung vorbereitet.

Als „Bomben“ hatte Zaev die verstörenden Mitschnitte schon Monate vor deren Veröffentlichung angekündigt. Tatsächlich bieten die von ihm seit Anfang Februar präsentierten Aufzeichnungen einen erschütternden Einblick in die Abgründe von Machtmissbrauch und Willkürherrschaft: In enger Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst und der Justiz soll Gruevski systematisch Freund und Feind bespitzelt, Medien kontrolliert und politische Gegner widerrechtlich ausgeschaltet haben. In einem mitgeschnittenen Telefonat instruierte Geheimdienstchef Sasa Mijalkov die Chefredakteure regierungsnaher Medien für die Berichterstattung über die bevorstehende Verhaftung eines missliebigen Parteichefs, in einem anderen ordnete der Premier die Zerstörung eines Wohnkomplexes an, in dem ein zur Opposition übergelaufener Exgefährte lebte.

Größenwahn und Prasserei

Über 20.000 Personen in dem Zwei-Millionen-Einwohner-Staat sollen in den vergangenen Jahren gezielt abgehört worden sein. Belauscht wurden nicht nur kritische Journalisten und Oppositionelle, sondern auch Minister, Unternehmer und ausländische Diplomaten.

Erwan Fouéré, der frühere, bis 2011 amtierende EU-Sonderbeauftragte in Mazedonien, fand klare Worte: Eine Regierung, die das eigene Volk einer Spitzeloperation von „derart industriellem Ausmaß“ unterziehe, habe jede Glaubwürdigkeit und Legitimität verloren.

Offiziell indes äußerte die EU lediglich „Besorgnis“ über die totalitären Verwerfungen in dem Beitrittskandidatenland. Dabei scheint der selbstherrliche und verschwenderische Regierungsstil des Premiers sogar in Mazedoniens Kabinett auf Widerstand zu stoßen. So klagte Finanzminister Zoran Stavreski in einem aufgezeichneten Gespräch über den „größenwahnsinnigen Finanzbedarf“ seines Chefs, der das „Gefühl für die Realität verloren“ habe: „Wir essen Schokolade und haben kein Brot.“ (ros)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2015)

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