Türkei: "Präsident Erdoğan will über Frauen bestimmen"

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Vier Bürgermeisterinnen aus den Kurdengebieten sind zu Gast in Wien. Sie kritisieren das Weltbild der türkischen Regierungspartei und berichten von ihrer Hilfe für die zahllosen Flüchtlinge, die vom IS vertrieben wurden.

Wien. Hatice Çoban hat keinen einfachen Job. Sie ist Bürgermeisterin in Van, einer Stadt im Osten der Türkei, mitten in den Kurdengebieten. Drei Jahrzehnte tobte in der Region ein Aufstand gegen den türkischen Staat. Und die Angriffe des sogenannten Islamischen Staates (IS) auf die Kurdengebiete in Syrien und im Nordirak haben zahllose Flüchtlinge über die Grenze in die Türkei getrieben.

Die türkische Regierung lasse diesen Menschen nicht die „offene Gastfreundschaft“ zuteil werden, die nötig sei, sagt Çoban. „Wir versuchen, diese Menschen in unseren Gemeinden zu versorgen. Aber mit unseren geringen Budgets ist das nur unzureichend möglich.“ Çoban ist mit drei anderen Bürgermeisterinnen der Region zu Gast in Wien – auf Einladung der Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou und der Nationalratsabgeordneten Berivan Aslan von den Grünen. 103 Gemeinden in der Türkei werden von Vertretern der Kurdenparteien BDP/HDP regiert. In den Gemeinden gibt es Doppelspitzen: Jede Führungsposition ist mit einem Mann und einer Frau besetzt.

Vor allem die türkischen Gemeinden an der Grenze zu Kobane im Norden Syriens waren in den vergangenen Monaten mit Flüchtlingen überfüllt. Kobane wurde monatelang von den syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheitten (YPG) erfolgreich gegen die IS-Extremisten verteidigt. „Das Geschehen in Kobane war auch eine Gelegenheit, den Kampf der Kurden der Weltöffentlichkeit sichtbar zu machen“, sagt Çoban. Sie hofft, dass die Kurden damit auch ihren Forderungen in der Türkei Nachdruck verleihen können.

Die Bürgermeisterin von Van bemängelt, dass die Gemeinden bei der Umsetzung ihrer Projekte oft auf Widerstand der lokalen Gouverneure stießen, die von der türkischen Regierung entsandt werden. Ein Problem, das auch die Bürgermeisterin von Mersin, Yüksel Mutlu, sieht: „Die Regierung kann die Gemeinden unter Druck setzen. Wir möchten, dass die Gemeinden gestärkt werden.

Mutlu übt zudem Kritik am Frauenbild der Regierungspartei von Präsident Recep Tayyip Erdoğan: „Erdoğan sieht den weiblichen Körper als politisches Territorium. Er will bestimmen, ob Frauen abtreiben dürfen, wie lange ihr Rock sein darf und dass sie in der Öffentlichkeit nicht lachen sollen“, sagt Mutlu. „Wir sind die Bürgermeisterinnen, die sich dieser Weltanschauung widersetzen.“ (w.s.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2015)

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