Von Gandhi bis Gucci-Helle: Wenn Frauen an der Macht sind

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In Dänemark hatte die TV-Serie „Borgen“ Vorbildcharakter. Asiens Polit-Dynastien bringen Witwen, Töchter, Schwestern an die Spitze.

Vor Helle Thorning-Schmidt war Birgitte Nyborg. Die Fiktion nahm die Realität vorweg: Am 3. Oktober 2010 hatte die Polit-Serie „Borgen“, in der die Protagonistin Birgitte Nyborg zur Premierministerin avanciert, Premiere im dänischen Fernsehen – und auf Anhieb war der ersten Staffel ein sensationeller Erfolg beschieden, der sich über ganz Europa ausbreiten sollte. Exakt ein Jahr später wählten die Dänen die sozialdemokratische Spitzenkandidatin Helle Thorning-Schmidt in den „Borgen“, das Synonym für Schloss Christiansborg, den Amtssitz des Regierungschefs – in diesem Fall eine Premiere: der ersten Regierungschefin des Landes.

Die Realität folgte der Kunst auf den Fuß. Das progressive Dänemark war reif für die erste Frau an der Regierungsspitze – zumal Königin Margrethe seit mehr als 40 Jahren, als „Mutter der Nation“, im nahen Schloss Amalienborg regiert. Die Königin, Kettenraucherin und überaus populär beim Volk, hatte eine Vorreiterrolle inne: Sie schuf im liberalen skandinavischen Klima, zur Hochblüte der Emanzipation, ein Rollen-Modell. Ihr Mann, Prinz Henri, war mehr oder weniger zum „Hausmann“ und Privatier degradiert, sie selbst ging dem ererbten Beruf nach – ihren Amtsgeschäften.

„Einziger Mann unter den Tories“

Ein Gespann wie in Kopenhagen hatte es so nur in den 1980er-Jahren in London gegeben, als ein Frauen-Duo – Queen Elizabeth II. und Margaret Thatcher – nicht nur ihre Handtaschen schwang, sondern das Szepter der Macht fest in ihrer Hand hielt. Dabei, so geht die Fama, konnten sich die Queen und die Eiserne Lady nicht sonderlich gut leiden. Selbst der nicht gerade als verzärtelt verschrienen Monarchin trat „Madam Prime Minister“, eine Greißlerstochter und Chemikerin, zu forsch und selbstgerecht auf. Manche apostrophierten sie denn auch als „einzigen Mann unter den Tories“.

Als über Nacht neulich der Terror über Kopenhagen hereinbrach, trat die 48-jährige Thorning-Schmidt – die Ehefrau Stephen Kinnocks, des Sohns des Ex-Labour-Chefs und Thatcher-Rivalen Neil Kinnock – aus dem langen Schatten der Königin und streifte den Spitznamen „Gucci-Helle“ ab. In den Hintergrund rückte auch ihr Flirt mit Barack Obama beim Requiem für Nelson Mandela, der als Selfie um die Welt gegangen war. Mit den Attentaten in Kopenhagen hat aber die „Fahrrad-Demokratie“ in Dänemark ausgedient, der zwanglose Polit-Stil, der es der Premierministerin – im echten Leben wie in der Serie – erlaubte, zuweilen auch ins Amt zu radeln.

Fortschrittliches Skandinavien

Die politische Unschuld hat der Nachbar im Norden indessen längst eingebüßt, nicht jedoch den Vorbildcharakter. Nach den Morden an zwei Sozialdemokraten, Ministerpräsident Olof Palme (1986) und der Außenministerin Anne Lindh (2003) – die das Zeug gehabt hätte, zur ersten Premierministerin des Landes aufzusteigen –, war Schweden traumatisiert. Nirgendwo sind Frauen indes so stark repräsentiert wie im von den Sozialdemokraten geschaffenen Wohlfahrtsstaat mit den großzügig ausgebauten Kindertagesstätten und staatlich subventionierten Väterkarenzen. In der neuerdings wieder sozialdemokratisch geführten Regierung ist das Geschlechterverhältnis pari, im Reichstag sind die Frauen mit 44 Prozent repräsentiert.

Im fortschrittlichen Skandinavien und im Baltikum haben Frauen die politischen Bastionen bereits vor Längerem erobert: in Norwegen etwa die Sozialdemokratin Gro Harlem Brundtland als Langzeit-Ministerpräsidentin in den 1980er- und 1990er-Jahren, in Finnland die Präsidentin Tarja Halonen, in Litauen die Präsidentin und vehemente Putin-Kritikerin Daria Grybauskaite. In Polen regiert mit Ewa Kopacz bereits die zweite Frau als Premierministerin seit dem Fall des Eisernen Vorhangs, in Kroatien neuerdings die erste Präsidentin. Nachholbedarf gibt es dagegen in West- und Südeuropa.

Im Rest der Welt kam Ausnahmefiguren wie Golda Meir in Israel und Indira Gandhi in Indien eine Pionierrolle zu – wobei in Asien die dynastische Erbfolge in den großen Demokratien die Regel ist. Töchter wie Indira Gandhi und Pakistans Benazir Bhutto, bei Attentaten ums Leben gekommenen, oder Indonesiens glücklose Ex-Präsidentin Megawati Sukarnoputri, Yingluck Shinawatra – die Schwester des gestürzten thailändischen Premiers und inzwischen selbst aus dem Amt geputscht –, und Witwen wie die philippinische Ex-Präsidentin Cory Aquino führten mit klingenden Nachnamen die Tradition asiatischer Polit-Dynastien fort. Aus der genetischen Disposition bezogen sie zunächst ihre Legitimation – prädestiniert für die Politik.

In Burma verwehrte die Armee 1990 der gewählten Präsidentin Aung San Suu Kyi – Tochter des Staatsgründers – die Macht und stellte sie unter Hausarrest. Ihre Kür zur Friedensnobelpreisträgerin konnte sie nicht verhindern. In Sri Lanka, Bangladesch und selbst in Japan und Südkorea herrscht geradezu eine Obsession an Polit-Clans. Längst greift – ob Frau oder Mann – die nächste Generation nach der Macht. Nur Sonia Gandhi, die aus Italien stammende Witwe des Indira-Sohns Rajiv, verzichtete aus Angst vor Anschlägen aus freien Stücken auf eine „Inthronisation“.

Latino-Frauen in der Macho-Welt

Während in Afrika Liberias Präsidentin und Friedensnobelpreisträgerin Ellen Johnson-Sirleaf als Frau ziemlich allein auf weiter Flur an der Spitze steht und in der arabischen Welt weithin Potentaten die Politik dominieren, haben in Lateinamerika starke Frauen die Macho-Welt auf den Kopf gestellt. Verleger-Witwe Violeta Chamorro vertrieb in Nicaragua die Sandinisten zeitweilig von der Macht. In Argentinien brachte Präsident Néstor Kirchner in einem Schachzug à la Péron seine Frau Cristina in die Startposition für das Präsidentenamt, in Brasilien „salbte“ Lula seine Vertraute Dilma Rousseff quasi zur Nachfolgerin. Nur in Chile durchbrach Michelle Bachelet, die Kinderärztin und Generalstochter, nach verfassungsrechtlicher Zwangspause zum zweiten Mal ohne Zutun von Mentoren die Barriere zum höchsten Staatsamt.

FRAUEN AN DER MACHT: VON ASIEN BIS AFRIKA

Yingluck Shinawatra. Die Schwester des gestürzten Tycoons und Premiers Thaksin blieb nur kurze Zeit im Amt – bis die Armee sie wegputschte. [ Imago]

Golda Meir. Erst verdiente die Labor-Politikerin als Außenministerin ihre Meriten, ehe sie zur ersten Premierministerin Israels aufstieg. [ AP ]

Helle Thorning-Schmidt. Die Sozialdemokratin kam 2011 an die Macht in Dänemark – ein Jahr nach dem Vorbild in der Serie „Borgen“. [ Bloomberg ]

Ellen Johnson Sirleaf. Die Ökonomin avancierte 2006 erst zur Präsidentin Liberias und fünf Jahre später zur Friedensnobelpreisträgerin. [ Imago]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2015)

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