Tunis: Touristen im Visier des Terrors

TUNISIA UNREST SECURITY OPERATION
TUNISIA UNREST SECURITY OPERATION(c) APA/EPA/MOHAMED MESSARA (MOHAMED MESSARA)
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Bei der Attacke islamistischer Extremisten auf das Bardo-Museum in der tunesischen Hauptstadt starben 19 Menschen. Die radikale Szene Tunesiens hat zuletzt stark an Zulauf gewonnen.

Kairo/Tunis. Das Massaker im Zentrum von Tunis hat weltweit Schock und Entsetzen ausgelöst. Fünf mit Kalaschnikows bewaffnete Terroristen, verkleidet in Uniformen, überfielen das berühmte Bardo-Museum und erschossen 19 Menschen – das blutigste Attentat in der Geschichte Tunesiens seit seiner Unabhängigkeit 1956. Unter den Opfern seien Japaner, Italiener, Kolumbianer, Franzosen, Polen, Australier sowie Spanier, sagte Tunesiens Regierungschef Habib Essid am Abend im TV. Zuvor war von mindestens 24 Toten die Rede gewesen. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums wurden weitere 42 Menschen verletzt, die meisten ebenfalls Touristen.

Zwei der Täter konnte die Polizei bei der Stürmung des Gebäudes erschießen, dabei kam ein Beamter ums Leben. Nach den drei übrigen Attentätern wird noch gefahndet. Augenzeugen berichteten, die Terroristen hätten bei ihrem Amoklauf auch auf das nahe gelegene Parlament gefeuert, wo gerade eine Anhörung zur neuen Anti-Terrorgesetzgebung stattfand.

Tunesiens Präsident Beji Caid Essebsi erklärte beim Besuch von Verletzten im Krankenhaus, ein „riesiges Unglück“ habe Tunesien heimgesucht. „Wir müssen mit einer Generalmobilmachung beginnen und die Terroristen endgültig ausschalten“, sagte er. Auch international wurde der Terroranschlag scharf verurteilt. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sagte, die Vereinten Nationen seien solidarisch mit den Menschen und der Führung Tunesiens. Ähnlich äußerten sich US-Außenminister John Kerry, Bundespräsident Joachim Gauck, Frankreichs Staatspräsident François Hollande sowie führende EU-Politiker. „Die Europäische Union und Tunesien werden sich nicht einschüchtern lassen, ob zu Hause oder im Ausland“, erklärte EU-Ratspräsident Donald Tusk und versicherte, Europa stehe bereit, der tunesischen Regierung beim Kampf gegen den Extremismus beizustehen.

Hoch gefährliche al-Qaida-Szene

Zuvor hatten die Sicherheitskräfte alle Abgeordneten in Sicherheit gebracht und die Umgebung weiträumig abgeriegelt. Aus dem Museum konnten sich nach dem Überfall etwa einhundert Menschen durch Seitenausgänge in Sicherheit bringen. Am Nachmittag gelang es weiteren Touristen, unter dem Feuerschutz der Polizei zu fliehen.
Über die Täter gab es bis zum Abend keine gesicherten Informationen.

Tunesien hat in der Grenzregion zu Algerien eine kleine, hoch gefährliche al-Qaida-Szene. Zugleich wird es von Bürgerkrieg und Radikalisierung im benachbarten Libyen immer stärker in Mitleidenschaft gezogen. Schätzungsweise 1,5 bis drei Millionen Libyer leben inzwischen in dem kleinen Nachbarland. Die meisten haben sich vor der mörderischen Gewalt in ihrer Heimat in Sicherheit gebracht. Andere agieren als Waffenhändler, die Kriegsgerät aus den Arsenalen des im Oktober 2011 getöteten Diktators Muammar al-Gaddafi nach Algerien und Mali verschieben.

In Libyen haben im vergangenen Oktober radikale Gotteskrieger als erste in Nordafrika dem „Kalifen Ibrahim“ alias Abu Bakr al-Bagdadi die Gefolgschaft geschworen. Ein Trainingslager der IS-Extremisten existiert inzwischen nur 45 Kilometer von tunesischem Territorium entfernt. Im Westen Libyens hat sich ein IS-Kommando in Sabratha westlich der Hauptstadt Tripolis festgesetzt, auf halbem Weg zur tunesischen Grenze. Die meisten ausländischen Gotteskrieger des „Islamischen Kalifates“ in Syrien und Irak stammen aus Tunesien. Bezogen auf seine elf Millionen Einwohner liegt das kleine, säkulare Land am Mittelmeer damit im gesamten Nahen Osten einsam an der Spitze.

Sicherheitskräfte im Visier

Nach Schätzung des Innenministeriums kämpfen 3000 junge Männer, teilweise auch junge Frauen, in Mesopotamien. 9000 wurden bisher an der Ausreise gehindert, etwa 300 sind zurückgekehrt, mindestens 170 gestorben. Auffallend viele stammen aus Mittelklasse-Familien, waren Studenten, angestellt im öffentlichen Dienst oder hatten gut bezahlte Berufe im Privatsektor.
Auch auf tunesischem Boden nahmen Gewalttaten und Terrorakte von radikalen Gruppen in den letzten beiden Jahren stark zu. Fast alle richteten sich bisher gegen Sicherheitskräfte und nicht gegen Touristen.
Im Oktober 2013 sprengte sich in Sousse ein Selbstmordattentäter auf dem Rasen eines Strandhotel in die Luft, ohne dass jemand verletzt wurde. Im Februar und Juli 2013 wurden zwei linke Oppositionspolitiker auf offener Straße erschossen.

Das Bardo-Museum gehört zu den populärsten Touristenzielen in Tunis. Es wurde 1888 eröffnet und enthält die weltweit bedeutendste Sammlung römischer Mosaiken, von denen etwa 1000 ausgestellt sind. Die Sammlung zählt neben dem Ägyptischen Museum in Kairo zu den bedeutendsten archäologischen Ausstellungshäusern Nordafrikas.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2015)

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