Der strenge Patriarch Singapurs ist tot

Lee Kuan Yew machte Singapur zu einem internationalem Finanzzentrum.
Lee Kuan Yew machte Singapur zu einem internationalem Finanzzentrum.(c) APA/EPA/STEPHEN MORRISON
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Lee Kuan Yew, der erste Regierungschef Singapurs, verstarb nach längerer Krankheit. Er machte aus dem rückständigen Stadtstaat ein weltweites Finanzzentrum.

„A daddy-state“ (einen Papa-Staat) nannte ein US-Journalist einst ironisch Singapur. Und denkt man an Staatsgründer Lee Kuan Yew, trifft diese Bezeichnung wie keine andere: Der südostasiatische Stadtstaat ist das Werk des Patriarchen-Regenten, der im Alter von 91 Jahren verstorben ist, wie das Büro seines Sohnes, des Ministerpräsidenten Lee Hsien Loong, am Sonntag mitgeteilt hat. Lee hat das einst ärmliche, bedeutungslose Hafenstädtchen in eines der reichsten Länder der Erde verwandelt. Der blitzsaubere Mini-Staat wurde zum Symbol der asiatischen Tigerstaaten – und sein autoritärer „Pygmalion“ zu einem der mächtigsten und angesehensten Staatschefs der Region. Lee war Anfang Februar mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus gekommen und wurde zuletzt künstlich beatmet.

Singapurs turbulente Geschichte prägte Lee: Der Sohn einer mittelständisch ethnisch-chinesischen Familie erlebte erst die britische, dann japanische Herrschaft. Aus dieser Zeit könnte er die Lehren gezogen haben, die drei Dekaden lang seinen Regierungsstil prägten: „Dominiere, oder du wirst beherrscht,“ war sein Motto. Lee duldete keinen Widerspruch: Gegner kamen vor Gericht. Einige endeten im Gefängnis, andere verloren ihr Vermögen. Kritik an Lee war gleichbedeutend mit mangelnder Loyalität gegenüber Singapur.

Mit der Kraft der Wirtschaft

Von Anfang an nahm Lee die Geschicke seiner Heimat persönlich in die Hand. Nach Ende seines Jus-Studiums in Cambridge kehrte der junge Mann nach Singapur zurück, schloss sich den Linken an, trat für die Unabhängigkeit ein. 1959, als die Briten abzogen, war Lees Stunde gekommen: Seine People's Action Party (PAP) gewann die Wahl, der ehrgeizige Anwalt wurde Premier. Doch anfangs scheiterten seine Visionen an der Realität: Die Union mit Malaysia, die Lee de facto 1963 forcierte, endete abrupt 1965. Grund waren ethnischen Unruhen zwischen Chinesen und Malaien in Singapur. Für Lee, der in einem gemeinsamen Staat die einzige Überlebenschance für seine kleine Heimat sah, war das ein Schock. Bei der Pressekonferenz konnte er kaum die Tränen unterdrücken.

Doch Lee war ein Pragmatiker. Seine Politik richtete er nach dem, was funktionierte. Notfalls warf er dafür auch die eigenen Überzeugungen über Bord. Nach dem unglücklichen malaysischen Abenteuer suchte er einen neuen Weg: Und fand ihn in der Wirtschaft. Er buhlte um ausländische Investoren, baute ein hochmodernes Transportnetz auf, entwickelte avantgardistische Wohnprojekte und das beste Gesundheits- und Bildungssystem der Region. In nur wenigen Jahren machte er aus Singapur ein internationales Finanzzentrum mit High-Tech-Industrie.

Strenger, unantastbarer Übervater

Innenpolitisch war Lee weniger offen. „Ohne Ordnung kein Rechtsstaat“ gab er bereits 1962 sein Credo preis: In die Praxis bedeutete das drakonische Strafen – Peitschenhiebe bis hin zur Todesstrafe – für kriminelle Vergehen sowie Haft ohne Prozesse für „Gefährdung der nationalen Sicherheit.“ Die Singapurer nahmen für den Wohlstand die Einschränkungen in Kauf. Lee, das war ihr strenger, unantastbarer Übervater.

Dieser unausgesprochene Pakt mit der Bevölkerung funktionierte jahrzehntelang. Auch nach dem Rückzug Lees als Premier 1990 führte er de facto die Geschäfte als „Senior Minister“ und später als „Mentor Minister“. Doch mit der Partei ging es bergab: Die Jungen entdecken in Zeiten des Internets trotz Medienzensur neue Politiker. Hohe Immobilienpreise, ein nicht mehr ganz so rasantes Wachstum und Korruptionsskandale setzten der alten Garde zu. Bei der Wahl 2011 erhielt PAP das schlechteste Ergebnis aller Zeiten – worauf Lee mit 87 Jahren sich endgültig zurückzog. Davor machte er noch seinen ältesten Sohn, Lee Hsien Long, zum Premier.

Bis zuletzt politisch aktiv

Seitdem ist es um den Patriarchen etwas stiller geworden. Der Tod seiner Ehefrau Kwa Geok Choo, die er seit seiner Studentenzeit kannte, setzte ihm schwer zu. Trotzdem verlor er bis zuletzt die Leidenschaft für die Politik nicht: Er hielt Vorträge und Reden, äußerte seine Meinung. Forderungen nach einer politischen Öffnungen waren ihm bis zuletzt zuwider: Er verstehe die Jungen nicht, „die glauben, dass unser Wohlstand ein gegebener Zustand ist, den sie mit Freiheiten bereichern können.“ Sollte man ihren Wünschen nachgeben, drohe das Chaos, war Lee überzeugt: Eine offene politische Auseinandersetzung würde im multi-ethnischen Singapur Rassenunruhen auslösen – „und unsere Gesellschaft in Stücke zerreißen.“

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