Der russische Exil-Oppositionelle Kasparow warnt in einer Brandrede davor, dem „Diktator“ in Europa nachzugeben: „Dann wird er noch weiter gehen.“ Moskau macht unterdessen Kiew schwere Vorwürfe.
Den Haag. „Putin wird den Rest seines Lebens im Kreml bleiben. Er wird im Kreml sterben. Aber wann und wie, das weiß ich nicht.“ Das erklärte der einstige Schachweltmeister und Putin-Gegner Garri Kasparow nun in seiner Rede vor dem niederländischen Nexus-Institut in Tilburg. Kasparow warnte den Westen eindringlich vor ,,der Gefahr Putin“: „Zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat ein Diktator in Europa die Grenzen wieder verändert.“ Wenn der Westen Putin jetzt nicht entschieden entgegentrete, dann sei die ganze Ukraine und das Baltikum in Gefahr: „Europa darf nicht nachgeben.“
Nach dem Fall der Berliner Mauer habe der Westen geglaubt, der Liberalismus und die Demokratie setze sich überall in Europa durch. Aber das sei eine Illusion gewesen. „Jede Generation hat ihre eigene Berliner Mauer. Wir müssen nun wieder eine Koalition formen, die auf Prinzipien basiert. Ohne unsere Einheit und unsere Prinzipien wäre die Mauer nie gefallen. Das Böse stirbt nicht aus und die Geschichte kennt kein Ende“, so Kasparow. Europa habe von sich aus die Neigung, Kompromisse zu schließen. ,,Eine Win-win-Situation an sich ist schön, aber mit dem Islamischen Staat oder mit Putin ist sie nicht möglich. Putins einziges Ziel ist, an der Macht zu bleiben. Diese Realität müssen wir anerkennen.“
Kasparow rief den Westen auch dazu auf, die Sanktionen gegen Russland zu verschärfen und der Ukraine Waffen zu liefern. „Wenn Putin spürt, dass wir Schwäche zeigen, wird er noch weiter gehen.“ Waffenlieferungen an die Ukraine werden Putin nicht stoppen, aber der Preis für ihn wird höher“, meint der Russe, der vor Putin nach New York geflüchtet ist. Kasparow will auch nicht nach Russland zurückkehren, solange Putin an der Macht ist. „Das würde ein One-Way-Ticket, ohne Rückreise“, sagt er. Das gesellschaftliche Klima in Russland sei „völlig vergiftet“. „Meine Mutter hat das Stalin-Regime noch miterlebt. Aber so viel Hass wie heute habe sie noch nie erlebt, sagt sie.“ Kasparow forderte den niederländischen Premierminister Mark Rutte auch dazu auf, am 9. Mai nicht zum 70. Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland nach Moskau zu reisen. „Das würde Putins Arroganz noch stärken.“
Gerüchte um Intrige im Kreml
Das Minsker Abkommen zur Beilegung des Konflikts in der Ostukraine gerät unterdessen ins Wanken. Wieder wurde die vereinbarte Waffenruhe gebrochen. Die ukrainische Armee sowie die Separatisten und der Kreml machten sich gegenseitig Vorwürfe. „Moskau ist extrem besorgt über die anhaltenden Schüsse von Kiewer Seite mit schwerer Artillerie“, erklärte etwa Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Die ukrainische Armee habe einzelne Bestimmungen des Minsker Abkommens verletzt.
Peskow gab gestern auch zwei Personalien bekannt, die Spekulationen über eine Fehde im Herzen des Kreml anheizen. Oleg Morosow, bisher Leiter der Abteilung Innenpolitik in der Präsidialverwaltung, trete aus „familiären Gründen“ zurück. Ihm werde Tatjana Woronowa nachfolgen, Ex-Chefin der Jugendorganisation von Putins Partei Geeintes Russland. Peskow verkündete auch den Abgang von Sergej Bolkhowitin, Leiter der Abteilung für internationale Zusammenarbeit. Grund und Nachfolger nannte er nicht. (htz)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2015)