Saudiarabien und seine Verbündeten intensivieren die Luftschläge gegen die schiitischen Rebellen im Jemen, der Iran ist erzürnt. Der Region droht die nächste Flüchtlingskatastrophe.
Kairo/Sanaa. Die arabische Tragödie erlebt ihren nächsten Akt: Erst Syrien und Irak, dann Libyen – und jetzt auch der Jemen. Am Freitag haben Kampfflugzeuge Saudiarabiens und seiner Verbündeten erneut Stellungen der schiitischen Houthi-Milizen im Jemen angegriffen. Dabei wurden auch offenbar erneut Ziele in der Hauptstadt, Sanaa, bombardiert. Die schiitische Führung in Teheran ist über die Attacken auf die schiitischen Houthis erzürnt: Irans Außenminister, Mohammed Javad Zarif, forderte Saudiarabien auf, die Luftschläge umgehend zu beenden.
Seit Donnerstag eskalieren Krieg und Bürgerkrieg auf der arabischen Halbinsel, seit fünf Jahrzehnten Wohlstandsregion und Großtankstelle der Welt. Und wieder explodiert die gleiche toxische Mixtur aus globalen, regionalen, nationalen sowie religiös-ethnischen Konflikten, die die anderen Unglücksnationen bereits in die Selbstzerstörung gestürzt haben. Der Jemen ist mehr als das lokale Drama einer verarmten und vergessenen Nation. Deren Niedergang wird auch Europa und die Vereinigten Staaten in Mitleidenschaft ziehen. Denn die Terrororganisation al-Qaida kann künftig ungestört operieren. Die US-Drohnenbasis ist zerstört, sie fiel Houthi-Rebellen in die Hände, zusammen mit Geheimlisten von Informanten aus dem Radikalenmilieu.
Angst um Suezkanal-Route
Zudem gerät nach der Straße von Hormus eine zweite wichtige Schifffahrtsstrecke der Welt unter die Kontrolle Teherans und seiner Verbündeten: die Suezkanalroute durch den Golf von Aden, die 40 Prozent des Welthandels abwickelt.
Im Nahen und Mittleren Osten wird der Jemen nun zum nächsten Schlachtfeld im Kampf um die Hegemonie der Erzfeinde Saudiarabien und Iran. Saudiarabien sieht sich als Führungsmacht des sunnitischen Islam, weil sich auf seinem Territorium die heiligen Stätten von Mekka und Medina befinden. Der Iran versteht sich als Führer der schiitischen Welt und dehnt seinen Einfluss immer weiter aus. Mit der Offensive der Houthis hat der Iran nun erstmals ihren Fuß fest auf die arabische Halbinsel gesetzt und könnte ein proiranisches Jemen an der 1500 Kilometer langen Südgrenze des saudisches Königreichs etablieren.
Im Irak, mit dem Riad gut 800Kilometer Grenze teilt, regiert ebenfalls eine schiitische Mehrheitsregierung. In Bagdad hat Teheran so großen Einfluss, dass seine Revolutionsgarden bisweilen sogar die Einsätze gegen die Extremisten des Islamischen Staates (IS) leiten. Zudem mehren sich unter den Schiiten in Saudiarabien, in deren Gebieten sich sämtliche Ölanlagen befinden, die blutigen Zwischenfälle mit der Polizei.
Keine Lust auf Bodentruppen
So empfindet das Königshaus die iranische Präsenz rund um sein Staatsgebiet inzwischen als existenzielle Bedrohung. Die Houthis im Jemen könnten al-Qaida-Kommandos in Teilen des Landes bewusst freie Hand gegen Riad geben, ein Albtraum für Monarch Salman und seine Sicherheitsberater. Um die verbündete Regierung von Präsident Abed Rabbo Mansour Hadi in Aden vor dem Kollaps zu bewahren, müsste Saudiarabien wohl auch mit Bodentruppen eingreifen. Die eigene Armee, obwohl ausgestattet mit allem, was auf dem globalen Waffenmarkt gut und teuer ist, ist dazu nicht in der Lage. Pakistan hat am Freitag bereits abgewinkt, die Signale aus Ägypten sind schwankend, die Türkei hat lediglich mit einem aufmunternden Kommuniqué assistiert.
Während der Außenminister vom Nil in einer ersten emotionalen Aufwallung auch Bodentruppen für den Jemen anbot, ruderte das Präsidentenamt von Ex-Militärchef Abdel Fatah al-Sisi bereits kurz danach entschieden zurück. Am Wochenende will die Arabische Liga in Sharm el-Sheikh über eine panarabische Armee beraten, ein Unternehmen, das alle wollen, aber niemand machen will.
Untergehen in diesem Gezerre aber wird wie schon in Syrien, Irak und Libyen das Schicksal der Zivilbevölkerung. Mehrere Dutzend Jemeniten sind an den ersten beiden Bombentagen gestorben. Fast die Hälfte der 24 Millionen Einwohner leidet seit Jahren an Unterernährung und Hunger. Einem Teil des Landes könnte bald das Trinkwasser ausgehen. So droht der arabischen Welt die nächste große Flüchtlingskatastrophe.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2015)