Nigeria: Afrikas Gigant am Abgrund

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NIGERIA ELECTIONS(c) APA/EPA/AHMED JALLANZO
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Der Terror der Extremisten von Boko Haram hat die größte Wirtschaftsmacht Afrikas in einen verlustreichen Krieg gestürzt. Präsident Goodluck Jonathan stellt sich am Samstag einer Schicksalswahl.

Kapstadt/Abuja. Nigeria ist der Gigant Afrikas, das bevölkerungsreichste und wirtschaftsmächtigste Land des Kontinents mit pulsierenden Metropolen. Seine 177Millionen Einwohner könnten in Wohlstand leben. Denn das Land am Niger sprudelt vor Öl über. Doch den Fluch der Ressourcen hat Nigeria nie abgeschüttelt. Korruption vergiftete die Nation wie eine Seuche und bereitete den Boden für ein anderes Krebsübel: Die radikalen islamistischen Terrormilizen der Boko Haram haben das riesige Land an den Rand des Abgrunds gebracht.

Goodluck Jonathan versagte eklatant im Kampf gegen die Extremisten. Er könnte dennoch Präsident bleiben. Würde er die Wahlen heute, Samstag, gewinnen. Jonathan hat elf Gegenkandidaten, doch eigentlich ist es ein Zweikampf mit dem 72 Jahre alten Muhammadu Buhari, einem ehemaligen Militärdiktator Nigerias. Seine Kandidatur ist aussichtsreich, mit seiner Partei All Progressives Congress (APC) gelang es ihm, die Opposition wie bei keiner vorangegangenen Wahl zu einigen.

Buhari unterlag bereits in den Jahren 2003, 2007 und 2011 und legte jeweils vor Gericht Einspruch ein. Ohne Erfolg. Beim letzten Mal gab es nach volksverhetzenden Aussagen von Buhari 800 Tote. Einer seiner Sprecher kündigte nun bereits im Voraus die Bildung einer Parallelregierung an, falls die Partei die anstehenden Wahlen für manipuliert halten sollte.

Ganz Afrika blickt auf die Wahlen in Nigeria. „Wenn die Resultate von den meisten Bürgern akzeptiert werden, wird das Land zum Hoffnungsträger für den ganzen Kontinent, in dem demokratische Wurzeln weiterhin schwach sind“, schrieb der ehemalige US-Botschafter in Nigeria, John Campbell, in einem Beitrag für die US-Denkfabrik Council on Foreign Relations (CFR). Sollten die Resultate aber religiöse und ethnische Spannungen nach sich ziehen, könne dies eine größere humanitäre Krise auslösen. „Bei diesen Wahlen ist beides möglich“, so Campbell.

Perfekte Bedingungen für Boko Haram

Nigeria ist der wichtigste Ölexporteur des Kontinents und hat Südafrika als größte Volkswirtschaft überholt. Allerdings sind die regionalen Unterschiede enorm. Während der überwiegend christlich dominierte Südwesten um Lagos floriert, ist etwa der weitgehend muslimische Nordosten weiterhin kaum entwickelt. Dort findet Boko Haram perfekte Bedingungen vor: Perspektivlosigkeit der Jugend, geringe Bildung und lange Zeit kaum Sicherheitspersonal. Die Miliz kämpft für die Errichtung eines Gottesstaates und damit für den Sturz der Regierung. Es wäre überraschend, würde sie Anschläge bei den Wahlen unterlassen. Die Armee wird bei Personenkontrollen vor den Wahllokalen helfen, obwohl dafür rechtlich allein die Polizei vorgesehen ist. Schon jetzt hat Boko Haram Einfluss auf das Ergebnis genommen. Über 1,5Millionen mussten flüchten, viele davon werden wohl nicht wählen können.

Zwei Drittel leben in extremer Armut

Im Jänner hatten die Terroristen noch ein Gebiet der Fläche Belgiens dominiert und auch auf den Staatsgebieten Tschads und Kameruns Massaker angerichtet. Das könnte Jonathan letztlich das Amt retten, denn die Nachbarstaaten griffen daraufhin in den Kampf ein. Boko Haram hat seitdem erhebliche Verluste erlitten. Viele Extremisten sind geflüchtet, entweder in die Wälder oder in Nachbarländer, andere sind auch in ihre Heimatdörfer zurückgekehrt. Die vor einigen Tagen verkündete Allianz mit dem sogenannten Islamischen Staat (IS) in Syrien und im Irak vermochte die Krise von Boko Haram bislang nicht zu stoppen.

Für Nigerias Demokratie sind diese Wahlen der bislang größte Test. Seit der Rückkehr zu einer zivilen Regierungsführung im Jahr 1999 ist Jonathans Partei, People's Democratic Party (PDP), an der Macht. Sie schien ihre Dominanz gesichert zu haben – dank eines komplizierten Systems, in dem Führungspositionen zwischen Christen und Muslimen wechseln.

Die Eliten sicherten sich die Öleinnahmen, ohne die Infrastruktur des Landes ausreichend zu entwickeln. Zwei Drittel der Bevölkerung leben von weniger als 1,25 Dollar am Tag – und damit in extremer Armut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2015)

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