Tickende Atomuhren am Genfer See

P5+1 European Union officials and Iranian officials wait for the start of a meeting on Iran´s nuclear program at the Beau Rivage Palace Hotel in Lausanne
P5+1 European Union officials and Iranian officials wait for the start of a meeting on Iran´s nuclear program at the Beau Rivage Palace Hotel in Lausanne(c) REUTERS (POOL)
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Im Streit um Irans Atomprogramm wollen alle Seiten eigentlich bis heute Mitternacht ein Grundsatzabkommen beschlossen haben. Erste Jubelmeldungen sind aber verfrüht.

Kommen die Verhandlungen zwischen dem Iran und den fünf Vetomächten des UN-Sicherheitsrates sowie Deutschland („5+1 Ländergruppe“) über Teherans Nuklearprogramm tatsächlich bis zur selbst gesetzten Frist heute Mitternacht zu einem Ergebnis? Am Verhandlungsort in Lausanne am Genfer See will darauf niemand mehr wetten: Denn „kein Detail ist endgültig vereinbart, solange nicht das ganze Paket unter Dach und Fach ist“.

Diese goldene Regel zahlreicher internationaler Verhandlungen gilt in ganz besonderem Maße für die Bemühungen um ein Abkommen in dem schon seit zwölf Jahren währenden Atomstreit, das primär die Entwicklung von Atomwaffen durch den Iran verhindern soll, zugleich aber das völkerrechtlich verbriefte Recht jedes Landes zur Nutzung der Nukleartechnik für friedliche Zwecke nicht einschränken darf. Da ist keine Detailfrage bloß technischer Natur und daher vermeintlich isoliert lösbar, sondern hat immer politische Brisanz. Und viele Detailfragen sind miteinander verknüpft. Daher war die am Sonntag oft verbreitete Meldung einer westlichen Nachrichtenagentur vom angeblichen Durchbruch bei den Verhandlungen in Lausanne nicht ganz richtig. Sie beruhte lediglich auf der Aussage eines französischen Diplomaten, in zwei (wenngleich wichtigen) Detailfragen sei eine Einigung erzielt worden: Der Iran habe dem nachhaltigen Abbau seiner derzeit insgesamt rund 20.000 Urananreicherungs-Zentrifugen, von denen aktuell etwa die Hälfte arbeiten, auf 6000 zugestimmt.

Dementis der Iraner

Zudem sei der Iran bereit, die noch vorhandenen rund acht Tonnen angereicherten Urans (Fünf-Prozent-Anteil an spaltbarem Uran-235) nach Russland zu verbringen, wo daraus Brennstäbe für iranische AKW produziert werden sollen. Letztere Zusage hat die iranische Delegation inzwischen sogar dementiert.

Bleibt Teheran dabei, dürften zumindest die USA zu ihrer früheren Forderung zurückkehren, wonach der Iran maximal 1000 aktive Zentrifugen behalten darf. Auch möchten die USA in dem Abkommen den Iran für mindestens 15 Jahre binden, der Iran höchstens zehn Jahren zustimmen.

Frage der „Ausbruchsfähigkeit“

Bei diesen vermeintlichen Details geht es um die Begrenzung der „Ausbruchsfähigkeit“ des Irans, sprich: Wie lange bliebe dem Iran nach einem Bruch des Abkommens Zeit, genug angereichertes Uran für eine Kernwaffe zu erzeugen? Die USA wollen hier mindestens ein Jahr haben und damit Zeit genug, damit die IAEA oder ausländische Geheimdienste diese Entwicklung entdecken können.

Zudem sind die schwierigsten Streitpunkte in Lausanne die Modalitäten der Aufhebung der von UNO, USA und EU gegen den Iran verhängten Wirtschaftssanktionen sowie ihrer Wiedereinsetzung, sollte Teheran das Abkommen verletzen. Der Iran verlangt, dass spätestens bis Ende der Laufzeit des Abkommens sämtliche Sanktionen aufgehoben sind. Vor allem die USA und Frankreich beharren aber auf einer weiteren fünfjährigen „Karenzzeit“, in der Teheran unter Kontrolle der IAEO in Wien nachweisen soll, dass es auch weiterhin kein militärisches Nuklearprogramm betreibt.

Russland und China gegen USA

Zudem fordert Washington, dass die UN-Sanktionen nach ihrer Aufhebung im Fall einer Vertragsverletzung Irans automatisch wieder in Kraft treten – ohne Beschluss des Sicherheitsrates. Diese Forderung wird nicht nur vom Iran abgelehnt, sondern auch von den Vetomächten Russland und China.

HINTERGRUND

Ende 2002 deckten iranische Oppositionelle auf, dass der Mullah-Staat ein geheimes Atomprogramm unterhält. Als sich auch die Hinweise auf eine militärische Nutzung des vorgeblich zivilen Programms verdichten, verhängt der UN-Sicherheitsrat nach viel Hin und Her Sanktionen, die später verschärft werden und dem Land schwer zusetzen. Seit 2013 lenkt der Iran langsam ein und reduziert das Programm.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2015)

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