UN-Botschafter Mansour: „Wir wollen Gerechtigkeit“

150102 NEW YORK Jan 2 2015 Riyad Mansour the Palestinian permanent observer to the Unite
150102 NEW YORK Jan 2 2015 Riyad Mansour the Palestinian permanent observer to the Unite(c) imago/Xinhua (imago stock&people)
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Der palästinensische UN-Botschafter Mansour über die Mitgliedschaft beim Internationalen Strafgerichtshof und die Aussichten auf eine Nahost-Resolution des Sicherheitsrats.

Die Presse: Palästina gehört nun dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag an. Was möchten Sie damit eigentlich erreichen? Der ICC wird jetzt schon dafür kritisiert, ineffizient und überlastet zu sein. Die wenigen Fälle brauchen Jahre. Auch wenn er sich irgendwann zum palästinensisch-israelischen Konflikt äußert, werden vermutlich Jahre vergehen.

Riyad Mansour: Wir wollen Rechenschaft. Wir wollen Gerechtigkeit. Dafür ist der Gerichtshof geschaffen worden. Wer Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen begeht, muss dafür die Verantwortung übernehmen. Ich weiß, dass der Gerichtshof kritisiert wird. Das wird immer so sein. Aber gibt es eine Regierung auf dieser Welt, die nicht für alles Mögliche kritisiert wird? Das Ziel des Gerichtshofs ist großartig. Eine Evolution der Menschheit.

Der ICC hat im Jänner Vorermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg aufgenommen. Werden Sie jetzt weitere Dokumentationen und mehr Material an den ICC übergeben?

Mit unserem Beitritt zum Rom-Statut haben wir die Gerichtsbarkeit rückwirkend bis zum 13. Juni 2014 anerkannt, damit alle Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit untersucht werden können, die auf unserem Boden stattgefunden haben. Das umfasst zwei große Bereiche: die von Israel begangenen Kriegsverbrechen während der Aggression gegen unser Volk in Gaza im Sommer 2014 sowie das Verbrechen der Siedlungsaktivitäten. Es sollte im März auch den Bericht einer UN-Untersuchungskommission zum Gaza-Krieg geben, der dem ICC übergeben werden soll. Ich hoffe, das wird bald passieren. Das werden zusätzliche Informationen sein, so dass die Chefanklägerin entscheiden kann, ob sie zu formalen Ermittlungen übergeht.

Mit dem Beitritt könnte der Gerichtshof auch mutmaßliche Verbrechen von palästinensischer Seite untersuchen. Amnesty International hat erst kürzlich über mutmaßliche Kriegsverbrechen der Hamas-Organisation berichtet.

Man sagt, Gerechtigkeit ist blind. Der Beitritt zum ICC ist keine Einbahnstraße. Warum werden uns solche Fragen gestellt? Wir tun etwas, was friedlich, legal, was zivilisiert ist. Uns wird gesagt: Wenn ihr das tut, dann werden einige Palästinenser vor das Gericht gezerrt werden – na, dann lass das Gericht das tun, wenn es sein muss.

Alles, was vor dem Gaza-Krieg im Sommer passiert ist, deckt der ICC nun aber nicht ab. Die palästinensische Regierung wollte dabei schon 2009 die Gerichtsbarkeit des ICC anerkennen, was damals abgelehnt wurde.

Viele palästinensische Organisationen und auch die Regierung haben Informationen zu vorherigen Kriegen an die Anklage übergeben. Wir haben bei unserem Beitritt zum Rom-Statut deutlich gemacht, dass wir uns das Recht vorbehalten, die Zuständigkeit des Gerichts zu einem noch früheren Zeitpunkt anzuerkennen. Um weitere Verbrechen zu behandeln, die in vorherigen Kriegen von Israel begangen worden sind, vor allem im Gaza-Streifen.

Was würde das provozieren?

Staaten und Regierungen treffen Entscheidungen im nationalen Interesse. Wir auch. Wenn wir den Eindruck haben, dass es notwendig ist, einen solchen Schritt zu setzen, um beispielsweise den Krieg 2008/2009 zu untersuchen – dann könnten wir das beantragen.

Wie bewerten Sie die Chancen für eine neue Nahost-Resolution im UN-Sicherheitsrat? Immerhin soll die Obama-Regierung angesichts der Spannungen mit Israels Premier Netanjahu signalisiert haben, so etwas eventuell mittragen zu können.

Wir begrüßen es immer, wenn der Sicherheitsrat seine Verantwortung übernimmt. Aber wir sind nicht an einer Resolution um der Resolution willen interessiert. Es geht um den politischen Willen, sie umzusetzen. Das würde von uns begrüßt werden. Frankreich hat vor einigen Tagen schon einen neuen Resolutionsentwurf angekündigt, auch Neuseeland. Es gibt Bemühungen. Ob die USA eine neue Haltung annehmen – das müssen wir abwarten. Sie haben sich noch nicht klar geäußert.

ZUR PERSON UND HINTERGRUND

Riyad Mansour, Jahrgang 1947,
ist seit 2005 Botschafter der palästinensischen Vertretung bei den Vereinten Nationen in New York. Der in Ramallah geborene Diplomat war bereits von 1983 bis 1994 stellvertretender palästinensischer Vertreter am UN-Hauptsitz. Bis vor zweieinhalb Jahren wurden die palästinensischen Gebiete von der UNO als „Einheit“ und nicht als Staat eingestuft. Ende November 2012 wurde Palästina von der UN-Generalversammlung als Beobachter-Staat anerkannt. Dieser Schritt ermöglichte den Beitritt zum Internationalen Strafgerichtshof (ICC). Schon 2009 hatten die Palästinenser in einer Erklärung die Gerichtsbarkeit des ICC akzeptiert. Das Gericht hatte eine Zuständigkeit 2012 aber mit Verweis auf die fehlende Staatlichkeit abgelehnt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2015)

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