Drohnenangriff: „Mein Bruder wurde in Stücke gerissen“

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Sadiq war kein Extremist. Trotzdem starb er bei einem Drohnenangriff in Afghanistan. Seine Verwandten erinnern sich.

„Vom Körper meines Bruders blieb fast nichts übrig. Er wurde in Stücke gerissen.“ Der 28-jährige Islam erinnert sich an den Vorfall vor rund zweieinhalb Jahren – eine Tragödie, die noch heute massive Auswirkungen auf die gesamte Familie hat. Im Juli 2012 wurde Islams jüngerer Bruder Sadiq Rahim Jan in Afghanistan von einer US-Drohne getötet.

Sadiq war 21 Jahre alt und führte einen Lebensmittelstand, den einzigen im Ort Gardda Zarrai in der ostafghanischen Provinz Paktia. Der junge Afghane war der Hauptversorger seiner Familie, die aus seinen Eltern und vier Geschwistern besteht. Warum er zum Ziel des Drohnen-Steuerers wurde, der vielleicht in Langley, USA, oder womöglich im deutschen Ramstein saß, weiß keiner von ihnen.

Seit Sadiqs Tod ist die Existenz der Familie bedroht. All seine Geschwister haben angefangen zu arbeiten und kommen manchmal nur knapp über die Runden. Die extreme Armut in der Gegend sowie der Krieg kommen erschwerend hinzu. Verwandte Sadiqs leben auch im Ausland, unter anderem in Deutschland. „Wir versuchen, ihnen finanziell unter die Arme zu greifen, so weit es geht“, meint Farhad (Name geändert), ein Cousin Sadiqs, der in Deutschland lebt.

Zum Extremisten gemacht

Die Familie hat jedoch nicht nur finanzielle Probleme. Mehrere in Kabul ansässige Medien, wie das vom US-Kongress geförderte Radio Azadi, berichteten kurz nach Sadiqs Tod, dass ein Taliban-Kommandant in Gardda Zarrai von einer Drohne getötet worden sei.

Als Sadiqs Familie davon erfuhr, war sie empört. In Gardda Zarrai gab es an jenem Tag nur einen Drohnenangriff und nur ein Opfer – ihren Sadiq. Dieser pflegte weder zu den Taliban noch zu anderen Extremisten irgendwelche Kontakte. Kein einziger Journalist hatte die Familie aufgesucht. Stattdessen deklarierte man ihren Sohn einfach zum Extremisten. Aus Protest wandte sich die Familie an Armee und Polizei. Warum sein Sohn getötet wurde und warum man ihn nun als Talib bezeichnet, wollte der Vater wissen. Eine Frage, die bis heute unbeantwortet blieb.

Auch Sadiqs Cousin Farhad fühlt sich machtlos. „Militär und Polizei terrorisieren die Menschen dort. Wer sich zu viel beschwert und protestiert, kann Probleme bekommen“, meint der junge Maschinenbaustudent. Dass Deutschland, das Land, das Farhad und seiner Familie vor fast zwanzig Jahren Asyl gewährt hat, eine aktive Rolle im Drohnenkrieg der USA spielt, hinterlässt bei ihm einen bitteren Nachgeschmack. Ein Teil der US-Attacken wird von Deutschland aus gesteuert.

Nahezu wöchentlich fliegen unbemannte Kampfmaschinen vor allem in Afghanistan sowie dem pakistanischen Grenzgebiet Waziristan Angriffe. „Todesengel“ werden dort die Drohnen von den Einheimischen genannt. Noor Behram, ein Fotojournalist aus Waziristan, geht davon aus, dass Drohnenopfer aus Afghanistan oder dem afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet völlig willkürlich als „Extremisten“, „mutmaßliche Terroristen“ oder „Militante“ bezeichnet werden. Nach den Gesprächen mit pakistanischen Journalisten kam Behram zum Schluss, dass es für viele Medien ausreicht, wenn das Opfer lange Haare und einen Bart trug. Da diese Äußerlichkeiten auf fast jeden Afghanen, vor allem auf Paschtunen auf beiden Seiten der Grenze zutreffen, wäre jeder von ihnen als Terrorist zu bezeichnen. Auch Sadiq Rahim Jan hatte lange Haare und einen Bart.

3000 Drohnentote

Die USA fliegen vor allem in Afghanistan, Pakistan und dem Jemen Drohneneinsätze gegen al-Qaida und andere militante Gruppen. Bisher sollen mehr als 3000 Menschen von Drohnen getötet worden sein. Laut „The Bureau of Investigative Journalism“ (TBIJ) – einer in London ansässigen Journalistenorganisation – handelte es sich bei lediglich zwölf Prozent dieser Toten um militante Kämpfer, nur vier Prozent von ihnen waren Mitglieder von al-Qaida.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2015)

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