Castros Kuba: Eine Insel, aus der Zeit gefallen

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Die Kubaner hoffen auf eine rasche Öffnung gegenüber dem „imperialistischen Erzfeind“ USA und eine Aufhebung des US-Embargos. Die Jugend erwägt den Exodus nach Florida, das Castro-Regime ist von Angst befallen.

In Reih und Glied sind die Chevys und Cadillacs, die Buicks und Oldsmobiles aufgefädelt vor dem Kapitol und dem noblen Hotel Nacional, herausgeputzt in Pastellfarben, mit polierten Heckflossen und blitzendem Chrom, und die älteren Semester unter den US-Touristen kennen keinen größeren Spaß, als mit den Straßenkreuzern aus den Fifties an der Uferpromenade des Malecón gemächlich durch Havanna zu gleiten. Die Kubaner, alt und jung, Liebespaare und Kleinfamilien, die sich gewohnheitsmäßig an der Küstenstraße treffen, um bei Musik und Rum bis Mitternacht den kleinen Vergnügungen zu frönen, haben etwas zu bestaunen.

Die Yankees sind zurück, der kapitalistische Erzfeind aus dem Norden, gerade einmal 150 Kilometer vom Malecón entfernt – und nach der Öffnung Kubas gegenüber den USA werden die US-Amerikaner, wie bis Ende der 1950er-Jahre, wohl demnächst in Scharen auf die kommunistische Zuckerinsel einfallen. Schon jetzt sind das Floridita und das Bodeguita del Medio, die legendären Bars in der teils bereits unter großem Aufwand restaurierten Altstadt Havannas, in denen Ernest Hemingway so manchen Nachmittag versoff, überfüllt. Zur Mittagsstunde lässt der Chef die Mannschaft des Floridita quasi in soldatischer Manier zum Appell antreten.

Abseits der Calle Obispo und des Plaza Vieja, Havannas Touristenmeilen, ist die Infrastruktur angesichts des Ansturms heillos überfordert. Ehe Ketten wie McDonald's in Kuba ihre Pforten öffnen werden und bevor die Barrikaden des karibisch-kommunistischen „Paradieses“ endgültig einstürzen wie manche Hausruinen in der Hauptstadt, suchen Nostalgiker jetzt noch die Insel heim, die so ganz aus der Zeit gefallen ist – mit stundenlangen Warteschlangen vor Banken und Handy-Läden und dicken Rauchschwaden aus den Auspuffen der teils Kerosin-betriebenen Oldtimern, die die Luft verpesten. Handys gelten als Luxusobjekt, ein Internet-Zugang als Statussymbol und Privileg.

Manche Kubaner – allen voran Fidel Castro, der sieche 88-jährige Gralshüter der Revolution, ein Don Quijote – hegen Groll gegen die „Imperialisten“, doch die meisten haben die Annäherung an Washington seit Langem inbrünstig herbeigesehnt. Carmen entfährt ein Stoßseufzer: „Inschallah.“ Hoffentlich werde alles gut gehen, soll dies besagen.

Experiment mit dem Kapitalismus

Dabei hat die vitale 80-Jährige noch Glück, auch wenn sie mitunter damit hadert, dass sie keine Eier oder Zwiebeln auf dem Markt aufzutreiben vermag. Sie führt eine Casa Particular, wie sie derzeit überall in Havanna aus dem Boden schießen: Sie vermietet Privatzimmer und streicht so Pesos convertibles ein, die Zweitwährung, die an den Dollar gekoppelt ist und die den Überlebenskampf im Alltag erheblich erleichtert. Ihre Tochter lebt zudem als Psychologin in Nebraska – und wie die große Mehrheit der US-Kubaner schickt sie finanzielle Zuwendungen in die alte Heimat, die ohne die privaten Finanzspritzen wohl noch stärker vom Kollaps bedroht wäre.

„Ich kriege hier keine Luft zum Atmen“, habe ihre Tochter geklagt, erzählt Carmen. So empfinden viele auf Kuba, wie eine Umfrage jüngst herausfand. Mehr als zwei Drittel der Unter-35-Jährigen erwägen den Exodus in die USA, insbesondere nach Florida, der Hochburg der Exil-Kubaner. Ramons älterer Bruder ist bereits vorausgegangen. Vor drei Jahren hat er eine kubanischstämmige US-Bürgerin geheiratet, er arbeitet in der Baubranche und schwärmt vom Kapitalismus, den ältere Kubaner verteufeln. Ramon hofft auf eine rasche Aufhebung des US-Embargos.

Mehr als eine halbe Million Kubaner sind derweil das Experiment mit der Marktwirtschaft eingegangen: Betreiber von Paladares, von Privatrestaurants, Privatvermieter wie Carmen oder Taxifahrer wie Felipe, der vor ein paar Jahren deshalb noch als Krimineller galt, mit einem Fuß im Gefängnis. Er hütet sein Oldsmobile made in USA, beinahe 70 Jahre alt, und von Generation zu Generation übergeben, wie eine Preziose. Den Originalmotor hat Felipe inzwischen längst gegen einen Toyota-Motor ausgetauscht. In kleinen Werkstätten, in Hinterhöfen und auf den Straßen schrauben Mechaniker an den Autos – ein absolut krisensicherer Job in Kuba.

Längst hat sich die sozialistische Gesellschaft, wie sie im Revolutionsmuseum in Havanna und in allgegenwärtigen Parolen wie „Socialismo o Muerte“, „Venceremos“ oder „Hasta la Victoria siempre“ und ikonenhaften Wandgemälden mit den Heroen Fidel Castro oder Che Guevara heraufbeschworen wird, in eine Zweiklassengesellschaft verwandelt – in eine Minderheit, die über Pesos convertibles verfügt, und eine große Mehrheit, die mit einem Durchschnittseinkommen von rund 20 Dollar vegetiert. Während die Älteren sich mit Dominospiel die Zeit vertreiben, versuchen viele, mit einem Zweitjob einen Zusatzverdienst zu erwerben: der Arzt als Taxifahrer oder Fremdenführer, die Gelegenheitsprostituierte, der Fischer, der seine Ware auf dem Schwarzmarkt verkauft, der Beamte, der sich bestechen lässt oder die Straßenmusiker, die den Gassenhauer „Guantánamera“ für ein Almosen zum Besten geben. Aus Schönheitsstudios Schneiderwerkstätten und Imbissbuden, allesamt in Privatinitiative entstanden, dröhnen Dialogfetzen einer Telenovela.

Das System ist ausgehöhlt, die revolutionäre Pose zur Rhetorik erstarrt. Die Verkäufer der Parteizeitung „Granma“ bleiben auf ihrem Stapel sitzen. „Ich bin das Gerede von Fortschritt und Reformen so leid“, sagt ein „Jinteiro“, ein Schlepper, der Touristen in Lokale lotst. Pferdekutschen, Pferdefuhrwerke und primitive Ochsengespanne ersetzen am Land Transportmittel und Arbeitsgeräte, Industrieruinen säumen die Straßen, und nur die Sonne übertüncht die karibische Tristesse im 57. Jahr der Revolution.

Raúl Castro, ein Pragmatiker, postuliert derweil die „Aktualisierung“ des Sozialismus, und in Santiago de Cuba – der „Wiege der Revolution“ mit den Einschusslöchern an der Moncada-Kaserne – prangt auf dem Weg in die Sierra Maestra, dem Versteck von Fidels Rebellen, der Slogan: „Den Sozialismus verbessern und perfektionieren“. Raúl Castro studiert den per Staatsdoktrin verordneten Kapitalismus à la China. Zu nah sind indes die Verheißungen des Kapitalismus in Florida und der Glitzerwelt Miamis, dem Shopping-Dorado jener Kubaner, die sich den Trip in eine andere Welt leisten können. Das Castro-Regime öffne ein Ventil und setze darauf, die Öffnung regulieren zu können, lautet die Analyse einer westlichen Beobachterin. „Doch es herrscht große Angst, dass alles außer Kontrolle gerät.“

Das Gros der Agrarprodukte kommt bereits aus den USA, das Revolutionsmuseum im Palast des Ex-Diktators Batista stellt die karikaturhaft verzerrten US-Präsidenten Reagan, Bush sen. und Bush jun. noch hämisch als „Cretinos“ dar. An der US-Interessensvertretung am Malecón, vor der „antiimperialistischen Tribüne“, adjustieren Arbeiter schon die Satellitenschüssel zur Neuausrichtung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2015)

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