Der Brückenschlag von Panama

US-Präsident Obama vollzieht die Aussöhnung mit Kuba und wirft die ideologischen Gegensätze über Bord. Der Kontinent steht vor neuer Ära.

In Panama hatten einst zehntausende Arbeiter unsagbare Qualen durchlitten, um den amerikanischen Kontinent zu teilen. 101 Jahre nach der Eröffnung des Kanals könnte Panama indessen als Ort eines amerikanischen Brückenschlages in die Geschichtsbücher eingehen.

Viel Fantasie ist vor Beginn des VII. Amerika-Gipfels am Wochenende der Frage gewidmet worden, wie wohl der historische Handshake zwischen US-Präsident Barack Obama und Kubas Staatschef Raúl Castro inszeniert werden würde. Die Beiläufigkeit, mit der die beiden das Ritual schon beim anfänglichen Stehcocktail hinter sich brachten, demonstrierte vor allem: good vibrations. Das war zu merken, wenn auch im öffentlichen Habitus eine gewisse Distanz an den Tag gelegt wurde – aus Rücksicht auf die Hardliner sowohl in den USA als auch auf Kuba.

Gute Stimmung

Auch in der großen Runde war diese gute Stimmung spürbar, als Raúl Castro bei seinem ersten Amerika-Gipfel – ganz im Stil seines älteren Bruders Fidel – die deutliche Überziehung der Redezeit lächelnd so entschuldigte: „Das ist für all die Gipfel, an denen ihr mich nicht habt reden lassen.“ Castro wollte nicht darauf verzichten, das 20. Jahrhundert Revue passieren zu lassen – von den Zeiten vor Kubas Revolution über die Schweinebuchtaktion bis zur jüngsten bahnbrechenden Annäherung an Washington.

Von freien Wahlen ist freilich noch immer nicht die Rede, und dem US-Präsidenten – darauf lassen seine Worte schließen – ist das künftig einerlei. „Unsere Staaten sollten die alten Streitereien begraben. Wir müssen gemeinsam die Verantwortung für die Zukunft angehen“, sagte Obama, der auf seinem dritten und letzten Gipfel erstmals den Eindruck erweckte, dass ihn die Region auch tatsächlich interessiert. Seine Rede handelte von der Entwicklung der Energieressourcen und dem Kampf gegen die Armut. Und, auch da war er pragmatisch: „Erstmals in einem halben Jahrhundert sitzen alle amerikanischen Länder an einem Tisch. Es wird auch weiterhin signifikante Unterschiede geben, aber wir sind nicht gefangen in Ideologien, sondern interessiert am Fortschritt.“

„Ein ehrlicher Mann“

Fraglos war es Raúl Castro, der das Zitat des Tages lieferte: „Obama ist ein ehrlicher Mann“, sagte Kubas Präsident am Schluss seines Vortrages und würdigte die Mühen seines Konterparts, die Blockade der Insel zu beenden. Zuletzt sprach er Obama gar von dem Vorwurf frei, ein „Imperialist“ zu sein.

Was sich wohl Nicolás Maduro dabei dachte? Seit seinem Amtsantritt vor zwei Jahren versucht Venezuelas Präsident verlässlich alle Missstände auf seinem Territorium mit dem dunklen Wirken des „Imperiums“ zu begründen. Noch vor Beginn des Gipfels hatte Maduro zu provozieren versucht, als er in einem Viertel von Panama-Stadt einen Kranz für die Opfer der US-Militärintervention niederlegte. 1989 hatten US-Militärs den Präsidenten Manuel Noriega gestürzt und unter dem Vorwurf von Drogenhandel und Geldwäsche in die USA gebracht.

Maduro war erbost darüber, dass die US-Regierung sein Land noch vor einem Monat als „potenzielle Gefahr für die Sicherheit der Vereinigten Staaten“ deklariert und sieben Venezolaner zu personae non gratae erklärt hatte. Um einer Eskalation beim Gipfel vorzubeugen, hatten in der Vorwoche offenbar sowohl die mexikanische als auch die brasilianische Regierung in Maduros Palacio Miraflores angerufen. Gleichzeitig stellte Obama in einem Interview mit der spanischen Agentur EFE klar, dass die inkriminierte Formulierung ein bürokratischer Passus sei und dass Venezuela in seinen Augen tatsächlich „keine Gefahr für die USA“ darstelle.

Was Obama als Beschwichtigung gesagt hat, ist durchaus auch als lakonischer Abgesang zu lesen auf das Projekt „patria grande“, jenen Pan-Latino-Traum des Hugo Chávez, der mit seinem explosiven Temperament die Gipfel 2005 und 2009 dominiert hat. Chávez hat zig Milliarden Dollar ausgegeben, um südlich des Rio Grande ein Gegengewicht zur Supermacht USA zu etablieren.

Geplatzte Träume in Brasilien

Am 10. Dezember wird die „große Heimat“ wohl ein wichtiges Mitglied in Südamerika verlieren, denn keiner der drei Kandidaten mit Aussicht auf die argentinische Präsidentschaft mochte sich bislang als Chavista outen. Die Peronisten Daniel Scioli und Sérgio Massa sowie der liberale Mauricio Macri versprechen den Wählern die Öffnung des Landes und eine Rückkehr ins internationale Finanzsystem.

Brasilien erwacht aus dem Rausch, den die explodierenden Rohstoffpreise auf dem ganzen Kontinent ausgelöst haben. Nun, da die neue Konsumentenschicht am Ende des Überziehungsrahmens angekommen ist, versucht Präsidentin Dilma Rousseff ein schmerzhaftes Sparprogramm, unappetitlich begleitet von den stinkenden Blasen, die der Korruptionssumpf in ihrem Umfeld beinahe täglich wirft. Die Visionen des Ex-Präsidenten Lula, der einst Brasilien zur Supermacht des Südens machen wollte, sind geplatzt.

Jetzt, da die US-Wirtschaft wiedererstarkt, erkannte Obama den rechten Moment für die Rückkehr in das, was die USA einst voll Überheblichkeit als ihren „Hinterhof“ reklamierten. Bemerkenswert ist, dass Obama nach all dem Tamtam des vergangenen Jahrzehnts keine vehementen Widerworte entgegenschallten. Offenbar fand er den richtigen Ton, um in Panama Brücken zu bauen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2015)

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