Analyse: Türkei wirft Papst Islamophobie vor

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Da der Heilige Vater von einem „Genozid an den Armeniern“ gesprochen hat, unterstellt ihm der türkische Premier eine antiislamische Haltung. Die Regierung stürzt sich in die Opferrolle.

Istanbul. In die erbosten Reaktionen aus der Türkei auf die Äußerungen von Papst Franziskus über den Völkermord an den Armeniern mischen sich immer stärker Töne, die dem Oberhaupt der katholischen Kirche gar eine islamfeindliche Haltung vorwerfen: Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu hielt dem Papst vor, mit seiner Äußerung einem wachsenden Rassismus in Europa einen weiteren Schub zu geben und Türken sowie Muslime kollektiv zu beschuldigen. Geistliche wie der Papst müssten sich von „Islamophobie fernhalten“.

Der Heilige Vater ließ sich davon nicht beeindrucken. In seiner Morgenmesse am Montag rief er dazu auf, die „Dinge in Freiheit beim Namen zu nennen“. Am Sonntag hatte der Papst die Verfolgung der Armenier während des Ersten Weltkriegs als ersten Genozid des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Die Türkei bestellte daraufhin den vatikanischen Botschafter ein.

Davutoğlu steht nicht allein mit seiner Darstellung, der Papst bediene antiislamische Ressentiments. Auch Außenminister Mevlüt Cavusoğlu sprach von „Hass und Feindschaft“, die durch die Worte des Papstes gesät würden. Die regierungstreue türkische Zeitung „Takvim“ betonte, der Papst habe mit der „armenischen Lobby“ kooperiert, deren „Lügen“ wiederholt und sich wie ein „Papagei“ benommen. Für die islamistische Zeitung „Yeni Akit“ war die Aussage des Papstes zum Völkermord an den Armeniern schlicht „eine Frechheit“.

Taktik vor Parlamentswahl

Der Chef des staatlichen türkischen Religionsamtes, Mehmet Görmez, erklärte die Äußerungen des Papstes damit, dass Franziskus offenbar dem Einfluss „politischer Lobbys“ – sprich armenischer Kreise – erlegen sei. Wenn es wirklich dazu kommen sollte, dass „in der Geschichte erlittene Schmerzen“ zu einer Verurteilung ganzer Gesellschaften führten, dann habe der Vatikan mehr zu verlieren als alle anderen, fügte Görmez mit Blick auf die teilweise recht blutige Geschichte von Auseinandersetzungen im Namen der Kirche hinzu. „Die haltlosen Vorwürfe“ des Papstes gegen die Türken richteten sich auch gegen die „Moral des Zusammenlebens“.

Zwei Monate vor der türkischen Parlamentswahl am 7. Juni ergibt sich für Davutoğlu und dessen Regierungspartei AKP aus den Äußerungen von Franziskus die Chance, sich vor den Wählern als Opfer zu präsentieren: „Die Türkei wird von äußeren Feinden attackiert“ lautet die unausgesprochene Parole.

Diese Sicht der Dinge passt zur AKP-Wahlstrategie. Seit ihrer Gründung im Jahr 2001 hat die islamisch-konservative Partei sich stets als Angegriffene vorgestellt. Zunächst dienten Säkularisten und Militärs als Feindbild – teilweise zu Recht, weil diese Kräfte in den ersten Jahren der AKP-Regierung versuchten, die demokratisch gewählte Führung in Ankara mit undemokratischen Mitteln unter Druck zu setzen. Seit einiger Zeit spielt die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen für die AKP die Rolle des Buhmanns: Gülens Anhängern wird vorgeworfen, den türkischen Staatsapparat unterwandert zu haben, um die AKP zu stürzen.

Die unliebsame Papstäußerung verstärkt das Bild einer Regierung, die sich unfairen Attacken ausgesetzt fühlt. Der Verweis auf Islamfeindlichkeit in Europa rundet den Eindruck ab: Am Mittwoch befasst das EU-Parlament sich mit einer Resolution zur Armenierfrage.

Legt nun auch Obama nach?

Die Warnung Ankaras vor einer Vertiefung von Spannungen zwischen christlicher und islamischer Welt könnte aber noch einem anderen Zweck dienen: Ankara will verhindern, dass auch US-Präsident Barack Obama von einem Völkermord spricht.

Wie jedes Jahr am Jahrestag des Beginns der Massaker an den Armeniern (24. April) steht eine Erklärung des Präsidenten zu dem Thema an. In den vergangenen Jahren hat Obama mit Rücksicht auf den Nato-Verbündeten Türkei das Wort „Völkermord“ stets vermieden, obwohl er vor seiner Wahl zum Präsidenten erklärt hat, er halte die Verbrechen von 1915 für einen Genozid.

Die klare Stellungnahme des Papstes verstärkt nun den Druck auf Obama, auch als Präsident öffentlich von einem Völkermord zu sprechen. Der armenische Verband Anca in den USA forderte Obama bereits auf, es dem Papst gleichzutun und das von der Türkei abgelehnte Wort zu verwenden. Mehrere Senatoren und Abgeordneten des US-Repräsentantenhauses appellierten ebenfalls an den Präsidenten.

„Wird Obama wie der Papst ,Völkermord‘ sagen?“, fragte die türkische Onlinezeitung „Radikal“ am Montag. Ankara ist aus gutem Grund nervös: Sollte Obama dem Beispiel des Papstes folgen, wären die türkischen Bemühungen, eine breite internationale Anerkennung des Genozids zu verhindern, endgültig gescheitert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2015)

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