Tränen im Sicherheitsrat nach Video zum Einsatz von Chlorgas in Syrien

Civilians rush away from a site hit by what activists said was a barrel bomb dropped by forces loyal to Syria's President Bashar Al-Assad in Qastal Harami in the old city of Aleppo
Civilians rush away from a site hit by what activists said was a barrel bomb dropped by forces loyal to Syria's President Bashar Al-Assad in Qastal Harami in the old city of Aleppo(c) REUTERS
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Washington will Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen, Russland lehnt Untersuchung ab.

New York/Damaskus. Als die Helikopter kamen, saß Mohammed Tennari gerade vor dem Fernsehgerät. Der syrische Arzt hat sich an diesem Montagabend im März schon auf ein wenig Ruhe inmitten des Krieges eingestellt, der auch rund um seine Heimatstadt, Sarmin, in der nordsyrischen Provinz Idlib tobt. Dann aber hörte er den Lärm der Hubschrauber. Augenzeugen berichteten später, sie hätten einen dumpfen Aufprall wahrgenommen. Und dann habe sich dieser beißende Geruch verbreitet. Tennari hastete ins Spital.

Was sich dort wenig später abspielte, schilderte der 35-Jährige in der Nacht auf Freitag auch dem UN-Sicherheitsrat in New York in allen Details. „Es herrschte Chaos.“ Immer mehr Verletzte strömten ins Krankenhaus, bald waren es 120 Menschen, die längst nicht mehr in den Betten, sondern nur noch auf dem Boden Platz fanden. Sie schnappten nach Luft, einige übergaben sich. Vergiftungserscheinungen, so Tennari.

Dann war da diese sechsköpfige Familie: die Eltern, die Großmutter und drei Kinder im Alter von einem, zwei und drei Jahren. Verzweifelt versuchte Tennari sie zu reanimieren. Vergeblich. Kein Einziger der sechs überlebte. Todesursache? Mutmaßlich eine Vergiftung mit Chlorgas.

Kein Mandat zur Schuldzuweisung

Das jedenfalls ist der Vorwurf, den seit diesem 16.März Menschenrechtler, Oppositionsgruppen, Augenzeugen und auch Vertreter westlicher Staaten erheben. Die Chemiewaffenkontrollorganisation OPCW hat bereits vor Wochen angekündigt, die Hinweise zu prüfen. Aber wer ist der Schuldige? Das zu benennen ist nicht Teil des Mandats dieser Organisation. Die Sitzung des Sicherheitsrats haben die USA beantragt, um den Aufklärungsprozess zu beschleunigen.

„Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden“, sagte US-Botschafterin Samantha Power, die das Treffen als „sehr emotional“ beschrieb. Bei der Präsentation eines Videos, das zeigt, wie die Ärzte die Kinder zu retten versuchen, seien bei vielen UN-Botschaftern die Tränen geflossen, haben Sitzungsteilnehmer später erzählt. Power: „Wenn noch Augen trocken geblieben sind, habe ich das nicht gesehen.“

Für die westlichen Mächte im Sicherheitsrat deutet alles darauf hin, dass Regimetruppen für den Angriff verantwortlich sind. Alle Beweise sprächen dafür, dass die Angriffe von Hubschraubern ausgeführt worden seien, sagte Power – „und über Hubschrauber verfügt nur das Assad-Regime“. Syriens Verbündeter Russland erklärte dagegen, es gebe dafür keine ausreichenden Beweise. Moskau hat, mit Unterstützung von China, bisher alle Versuche blockiert, die Situation in Syrien an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu überweisen, um mögliche Kriegsverbrechen – also auch den Einsatz von Giftgas – untersuchen zu lassen.

OPCW hatte bereits im vergangenen Herbst bestätigt, dass Chlorgas „wiederholt und systematisch“ eingesetzt worden war. Nach einem Angriff mit dem chemischen Kampfstoff Sarin nahe Damaskus im August 2013 war Syrien der Chemiewaffenkonvention beigetreten und hatte der Vernichtung seiner Bestände zugestimmt. Chlorgas, das auch in der Industrieproduktion verwendet wird, ist als Substanz aber nicht verboten – wenngleich sein militärischer Einsatz durch das Abkommen untersagt wird.

Assad weiß von nichts

Das Regime von Syriens Präsident, Bashar al-Assad, hat bisher mantraartig alle Vorwürfe zurückgewiesen, Chlorgas eingesetzt zu haben. Assad selbst hat das Ende März in einem Interview mit einem US-Fernsehsender noch einmal betont; Chlorgas könne man überall kaufen. Es als Waffe einzusetzen sei aber schwer.

Das renommierte Institute for the Study of War in Washington lieferte in einem Report im Oktober aber eine ganz andere Einschätzung: Der Rückgriff auf Chlorgas, abgeworfen aus Helikoptern in Fassbomben, sei ein „Routineelement der Militärtaktik des Regimes“. Immer dort, wo die Regierungstruppen mit konventionellen Waffen den Aufständischen nichts mehr entgegensetzen könnten, komme es zum Einsatz. (raa)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2015)

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