Der geplante Feldzug der IS-Extremisten

(c) REUTERS (STRINGER/IRAQ)
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Der Islamische Staat ist nach einem genauen Plan vorgegangen, um Kontrolle über Gebiete in Syrien und im Irak zu erlangen, legen neue Dokumente nahe. Ein Video im Internet soll die Ermordung von Christen in Libyen zeigen.

Nun haben wir es schriftlich. Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) ist auf dem Reißbrett entstanden. Hadsch Bakr, ein ehemaliger irakischer Offizier aus der Armee Saddam Husseins, legte schon vor Jahren den Grundstein für die heute so gefürchtete Islamistengruppe. In detaillierten Plänen entwarf er die komplexe Struktur eines staatsähnlichen Gebildes, das dem für Diktaturen so bezeichnenden Sicherheitswahn entspricht. Es ist ein System der totalen Überwachung, in dem jeder jeden bespitzelt und in dem Entführungen, Folter, Morde und Erpressungen wichtige integrale Bestandteile sind, wie der „Spiegel“ in der aktuellen Ausgabe berichtet und sich dabei auf die bisher unbekannten Dokumente aus dem Besitz Hadsch Bakrs beruft.

Der Ex-Offizier und IS-Stratege war im Jänner 2014 in Nordsyrien erschossen worden, seine Unterlagen sind in die Hände rivalisierender Rebellen gefallen. 2003 war Hadsch Bakr arbeitslos und frustriert, nachdem Paul Bremer, der damalige Chef der US-Verwaltung im Irak, die Armee aufgelöst hatte. Der entlassene Militär lernte später Abu Musab al-Zarqawi kennen, den „Schlächter des Iraks“ und al-Qaida-Führer, der für unzählige Attentate verantwortlich ist.

Systematische Säuberungen

Hadsch Bakr soll von 2006 bis 2008 in Abu Ghraib und im amerikanischen Camp Bucca inhaftiert gewesen sein, in dem auch der selbst ernannte IS-Kalif Abu Bakr al-Baghdadi einsaß. In den Führungszirkeln der Miliz befinden sich einige Offiziere, die unter Saddam Hussein dienten und Geheimdienst- oder Sicherheitsspezialisten sind. Von systematischer Überwachung, Folter und gezielten Morden erfuhr man spätestens 2013. „Wurde ein Freund oder Kollege von den maskierten Männern verhaftet, wusste man sofort, dass man zu verschwinden hat“, erzählte Mohammed, ein Revolutionsaktivist. „Denn unter Folter wurden gezielt Namen erpresst, und wenig später brach dann der IS die Tür bei den Betreffenden ein.“ Es ist die Strategie der „systematischen Säuberung“, die von allen totalitären Regimes angewandt wird, um die Macht zu sichern.

Als entscheidenden ersten Schritt sah Hadsch Bakr die Entsendung einer Vorhut nach Syrien. Sie sollte das Fundament für die IS-Terrormiliz legen. In Städten Nordsyriens wurden Missionsbüros eröffnet, die ohne IS-Stempel firmieren. Geheime Wohnungen wurden gemietet, um dort Waffen und Kämpfer unterzubringen. Ende 2012 soll es bereits einige Militärcamps gegeben haben.

Die IS-Vorhut hatte zuerst einmal nichts anderes zu tun als zu spionieren. Wie viele Moscheen gab es in einer Stadt, wie islamisch waren die Imame, und welche Familien hatten das Sagen in den Orten? Die IS-Spione sollten gezielt in diese Familien einheiraten. Gleichzeitig galt es auch, militärische Informationen zu sammeln: Wie stark waren die anderen Rebellengruppen, welche Waffen hatten sie, wo lagen ihre Checkpoints und Verteidigungsstellungen? Mit diesen Kenntnissen konnte die IS-Terrorgruppe einen Ort nach dem anderen einnehmen. Die Kämpfer der ersten Stunde sollen vornehmlich aus dem Ausland gekommen sein: junge Männer aus Saudiarabien, dem Jemen oder Tunesien. Ohne heimatliche Bindung konnten sie schnell an Brennpunkte verlegt werden. Syrer sollen erst zu einem späteren Zeitpunkt rekrutiert worden sein. 2013 klagten andere Rebellengruppen über Mangel an Waffen und Ressourcen. Die IS-Terrormiliz hatte beides und zahlte obendrein einen guten Sold an ihre Kämpfer. Loyalität ist im Bürgerkrieg in Syrien kaufbar.

Für Hadsch Bakrs Hegemoniestrategie gab es aber Anfang 2014 einen herben Rückschlag. Die IS-Miliz stand am Rande der Auslöschung. Einige Rebellengruppen hatten genug von den IS-Extremisten, sie vertrieben sie in einer gemeinsamen Offensive innerhalb nur einer Woche aus weiten Teilen Nordsyriens. Aus Angst vor großen Verlusten verzichtete man aber darauf, mit der IS-Konkurrenz ganz aufzuräumen. Auch hatten andere radikal-islamistische Gruppen Ressentiments, gegen ihre „Glaubensbrüder“ zu kämpfen. Die IS-Miliz kannte in der Folge dagegen kein Pardon und konnte aufgrund der Zögerlichkeit ihrer Gegner einige Städte, wie etwa den Grenzort Jarablous, einnehmen und generell ihre Stellungen verfestigen.

Brutales Enthauptungsvideo

Wie brutal die IS-Extremisten vorgehen, zeigte am Sonntag ein weiteres Video im Internet. Es soll die Ermordung von rund 20 äthiopischen Christen in Libyen zeigen. Die Opfer sind auf zwei Orte in zwei Gruppen aufgeteilt. Man sieht die Meeresküste und eine Wüstenlandschaft. Mehrere Angehörige der ersten Gruppe werden aus nächster Nähe von hinten erschossen, jene der zweiten Gruppe mit einem Messer enthauptet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2015)

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