Ein Fünfjahresplan für Chinas Volksgesundheit

(c) REUTERS (DAVID GRAY)
  • Drucken

Peking macht Ernst mit der Gesundheitsreform: Innerhalb der nächsten fünf Jahre soll sich die Zahl der Ärzte verdoppeln. Der weltweiten Gesundheitsindustrie winken Milliardengeschäfte.

Peking. Lange Wartezeiten, horrende Arzneimittelkosten – und wer endlich drankommt, muss dem Arzt häufig dann auch noch sogenannte Hongbaos zustecken, kleine rote Tüten mit Bargeld, die normalerweise Kindern zum chinesischen Neujahrsfest geschenkt werden. So sieht der Alltag in den meisten Praxen und Krankenhäusern Chinas aus.

Haben in den meisten europäischen Ländern unter allen Berufsgruppen Politiker, Journalisten und Versicherungsvertreter den schlechtesten Ruf, sind es in China Ärzte und anderes medizinisches Personal. Immer wieder kommt es in der Volksrepublik zu gewaltsamen Übergriffen von frustrierten Patienten auf Ärzte. Kein Wunder, dass sich in den vergangenen Jahren immer weniger junge Leute in der Volksrepublik für den Arztberuf entschieden haben. „Der Ärztemangel gefährdet die soziale Stabilität“, sagt Yu Dezhi vom National Health Development Research Center (NHDRC) in Peking, einem staatlichen Institut für Gesundheitsforschung.

Diesem Problem will die chinesische Führung nun Abhilfe schaffen. Sie hat angekündigt, die Ärztedichte innerhalb der nächsten fünf Jahre zu verdoppeln. Bis 2020 sollen auf 1000 Menschen zwei statt bislang ein Allgemeinmediziner kommen. Der „Fünfjahresplan“ sieht unter anderem eine gigantische Ausbildungsoffensive vor sowie eine Neuregelung der Ärztevergütung mit deutlich höheren staatlich festgelegten Löhnen. Sämtliche 1,3 Milliarden Chinesen sollen bis spätestens 2020 über eine staatliche Krankenversicherung verfügen.

Mao schickte einst „Barfuß-Doktoren“

Dabei war die Volksrepublik schon einmal weiter. In den Jahren bis 1976 unter Mao war die städtische Bevölkerung über die jeweilige Arbeitseinheit in den Staatsbetrieben abgedeckt. Für die Menschen auf dem Land schickte Mao „Barfuß-Doktoren“ – rudimentär ausgebildete Ärzte, die die Bauernfamilien mit dem Nötigsten versorgten. Zu Beginn der 1980er-Jahre liberalisierte Chinas Führung im Zuge von Wirtschaftsreformen auch das Gesundheitssystem. Diese marktwirtschaftlichen Reformen hatten verheerende Folgen: Wer kein staatlicher Angestellter mehr war, fiel aus der Versorgung heraus. Mit dem Aufstieg von Chinas Privatsektor betraf das immer mehr Menschen.

Zugleich hielten die staatlichen Gehälter der Ärzte nicht mit dem allgemein wachsenden Lohnniveau mit. Viele Ärzte sahen sich gezwungen, neue Einnahmequellen zu finden. Fortan verschrieben sie überteuerte und in vielen Fällen auch unnötige Medikamente und Behandlungen – was die Kosten für die Patienten in die Höhe trieb. Einige Krankenhäuser generierten bis zu 90 Prozent der Einnahmen aus fragwürdigen Verschreibungen. Auf dem Land brach in vielen Regionen die medizinische Versorgung komplett zusammen, weil Ärzte in die Städte abwanderten, wo sie bei vermögenden Privatpatienten mehr verdienen konnten.

Mit dieser Praxis räumt Chinas Führung nun auf. Ihre Kalkulation: Sobald flächendeckend jeder Bürger wieder mit einer Krankenversicherung ausgestattet ist, nehmen Kliniken und Praxen auch wieder jeden Patienten auf. Vieles ist auch schon geschehen. Mussten vor 15 Jahren rund 75 Prozent der Menschen für ihre Gesundheitskosten selbst aufkommen, liegt der Anteil heute bei unter fünf Prozent. Damit hat China innerhalb weniger Jahre fast eine Milliarde Menschen krankenversichert. Quantitativ handelt es sich dabei um die größte Sozialreform der Menschheitsgeschichte.

Selbstbehalt bei Arztkosten geplant

Das zeigt sich auch bei den staatlichen Gesundheitsausgaben: Die Summe hat sich in den vergangenen fünf Jahren auf heute rund 400 Milliarden Euro mehr als vervierfacht. Sie sollen bis 2020 die Billionengrenze überschreiten. „Der weltweiten Gesundheitsindustrie winken Milliardengeschäfte“, vermutet Gesundheitsexperte Yu. Ein komplett staatlich finanziertes Gesundheitssystem lehnt die chinesische Regierung aber ab. „Chinas Ziel ist die 80-Prozent-Marke“, sagt Yu. Mehr aber nicht. Würde der Staat alle Kosten übernehmen, würden die Leute ständig zum Arzt laufen, sagt Yu. So viel Geld wolle die chinesische Führung dann doch nicht ausgeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Peking investiert 43 Milliarden Euro in Pakistan

Chinesischer Präsident Xi auf seinem ersten Staatsbesuch in Pakistan.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.