Zehn verlorene Jahre in der Asylpolitik

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Mit mehr Koordination, einer eigenen Agentur und mit geringen materiellen Mitteln versucht die EU seit Jahren, der Migrationsströme über das Mittelmeer Herr zu werden. Erfolglos.

Es war im Herbst 2004: Die EU-Innenminister trafen sich zum Thema Flüchtlingspolitik. Pläne wurden geschmiedet: Eine breite Mehrheit der Minister sprach sich für neue Anlaufstellen in Nordafrika aus. Der Sturm auf Europa sollte schon vor dem Mittelmeer abgefangen und teilweise zurückgelenkt werden. Pilotprojekte waren in Libyen, Tunesien, Algerien, Marokko und Mauretanien geplant. Es ging auch um Solidarität mit Italien, auf dessen vorgelagerter Insel Lampedusa sich gerade ein Flüchtlingsdrama abspielte. Aber eine Einigung kam nicht zustande. Zu groß waren die Ängste. Frankreichs Innenminister Dominique de Villepin warnte, die Anlaufstellen könnten sich bald zu Auffanglagern entwickeln und eine Sogwirkung erzeugen.

Im gleichen Jahr wurde die EU-Grenzschutzagentur Frontex gegründet. Eigentlich sollte sich die Koordinationsstelle mit dem Standort Warschau auf die neue, lange Ostgrenze der Union konzentrieren. Doch die dramatische Situation im Mittelmeer lenkte ihre Aktivitäten bald Richtung Süden. Ausreichend Mittel und Material hatte sie für eine solche Flüchtlingswelle allerdings nicht zur Verfügung. Die EU-Regierungen waren stets zu neuen Krisentreffen rund um Flüchtlingswellen bereit, ging es um einen finanziellen Beitrag, um Schiffe oder Hubschrauber oder um die solidarische Aufnahme der Neuankommenden, reduzierte sich ihr politischer Wille meist auf null. 2007 spitzte sich die Lage für Frontex deshalb so zu, dass sie ihre Operationen im Mittelmeer, mit der die Fluchtwellen von Afrika Richtung Malta, Lampedusa und Kanarische Inseln eingedämmt werden sollten, vorübergehend einstellen musste. Der damals zuständige EU-Kommissar, Franco Frattini, beklagte, dass die Mitgliedstaaten ihre Zusagen nicht eingehalten hätten. Von 115 versprochenen Booten stünden nur 20 zur Verfügung, von 25 Hubschraubern gar nur drei.

Ob aus dem Irak, aus Nigeria, Afghanistan, Syrien – wo immer es in den vergangenen zehn Jahren Konflikte gab, setzte sich eine Masse an Menschen in Bewegung. Der Großteil verblieb in der Region, aber ein gewichtiger Teil versuchte die Flucht nach Europa. Die EU-Staaten rangen sich in den vergangenen zehn Jahren zwar immer wieder halbherzig zu gemeinsamen Grenzschutzmaßnahmen durch, doch dem menschlichen Drama im Mittelmeer stellten sie noch weniger entgegen. „Das Mittelmeer ist voller Toter“, kritisierte der italienische Innenminister Giuliano Amato 2007. Aber er fand mit seinem dramatischen Appell kein Gehör. Kaum ein EU-Innenministertreffen ging vorbei, ohne dass eine bessere Koordination in der Flüchtlingspolitik angekündigt wurde. Die Ergebnisse aber blieben bescheiden.

Versuche wurden unternommen, mit den Herkunftsländern zu verhandeln. Aber weder den immer neuen Fluchtwellen noch den immer neuen humanitären Katastrophen konnte damit entgegengewirkt werden. Zu instabil und unzuverlässig waren die jeweiligen Regierungen in Nordafrika. Nur ein Beispiel von vielen: Afrikanische Flüchtlinge, die von spanischen Sicherheitskräften in den Exklaven Ceuta und Melilla aufgegriffen und an die marokkanische Polizei übergeben wurden, landeten wenige Tage später hunderte Kilometer südlich, mitten in der Wüste. Sie wurden dort einfach ausgesetzt. Auch Kinder, Frauen und Kranke waren dabei. Sie wurden von der privaten Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen gerettet. Auch Frontex kam in Verdacht, eher darauf zu achten, Flüchtlinge abzuschrecken, ihre Boote im Meer abzudrängen, statt ihnen ein ordentliches Asylverfahren zu ermöglichen.

Höhere Zäune, neuer Schutzwall

Den Spagat zwischen Grenzschutz und humanitärer Verpflichtung gegenüber verfolgten Menschen schafften die EU-Staaten in den vergangenen zehn Jahren immer schlechter. Spanien verstärkte seine Zäune in seinen nordafrikanischen Exklaven. Griechenland baute einen neuen Schutzwall an der Grenze zur Türkei. Gleichzeitig nahmen die Nachrichten von katastrophalen Zuständen in Asyl-Aufnahmezentren zu.

2013 fasste sich Italien ein Herz. Nachdem 400 Menschen im Mittelmeer ertranken, rief die Regierung in Rom die Operation Mare Nostrum ins Leben. Luftwaffe, Carabinieri und Zoll organisierten eine Aufsicht vor der italienischen Küste, die zur Hauptaufgabe hatte, in Seenot geratene Menschen zu retten. Zehntausende Menschen wurden aus dem Meer gefischt. Doch im Oktober des Vorjahrs lief die Operation aus. Sie war zu kostspielig, und außerdem fühlte sich die Regierung in Rom von den EU-Partnern in Stich gelassen. Der kleinste gemeinsame Nenner für eine Nachfolge war Triton, eine Operation von Frontex mit einer Finanzierung von 2,9 Millionen Euro pro Monat. Das ist rund ein Drittel der finanziellen Mittel von Mare Nostrum. Die Aufgabe: Die Grenzen sollen überwacht und gegen Schlepper soll vorgegangen werden. Die aktive Hilfe für Flüchtlinge steht nicht auf der Agenda.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2015)

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