Frankreich: Terrorist schoss sich unabsichtlich selbst ins Bein

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Ein 24-jähriger Informatikstudent flog auf, weil er die Rettung verständigte. Davor hatte der Jihadist vermutlich einen Mord verübt.

Paris. Haarscharf ist Paris allem Anschein nach einem weiteren terroristischen Anschlag entgangen. Wie Innenminister Bernard Cazeneuve erst am Mittwoch offiziell mitteilen konnte, ist der aus Algerien stammende 24-jährige Informatikstudent Sid Ahmed G. in Polizeigewahrsam genommen worden. Er liegt wegen einer Schussverletzung, die er sich selbst zugefügt haben soll, nach einer Operation in einem Krankenhaus im Pariser Zentrum. Laut dem Innenminister plante er Attentate auf christliche Kirchen in der Hauptstadtregion. Dass er diese Vorhaben nicht umsetzen konnte, ist allerdings dem Zufall zu verdanken.

Am Sonntagmorgen hatte die Notrufnummer der Ambulanz einen Anruf erhalten: Ein in einem Studentenheim im 13. Stadtbezirk im Süden von Paris wohnender junger Mann forderte dringend ärztliche Hilfe an. Er erklärte am Telefon, er sei bei einem Überfall am Bein verletzt worden und verliere viel Blut. Wie dies bei Schussverletzungen aber die Regel ist, hat die Ambulanz umgehend die Polizei eingeschaltet.

Waffenarsenal im Kofferraum

Die Polizei staunte bei der Überprüfung der Identität des Verletzten nicht schlecht. Dessen Name steht nämlich mit dem Vermerk „S“ (für Sicherheitsproblem) auf der Liste der wegen Terrorismus in Verdacht geratenen Personen, die polizeilich überwacht werden.

Von Sid Ahmed G. war den Behörden bekannt, dass er bereits zweimal vergeblich versucht hat, sich nach Syrien abzusetzen, um sich dort dem Jihad anzuschließen. Noch Anfang des Jahres war er nach einem mehrtägigen Aufenthalt in der Türkei bei der Rückkehr nach Frankreich festgenommen und nach einem Verhör mangels stichhaltiger Anklagepunkte wieder auf freien Fuß gesetzt worden.

Seine Schussverletzung aber wurde ihm nun am Sonntag zum Verhängnis. Die Polizisten mussten nur den Blutspuren folgen, um ein Auto zu finden, in dessen Kofferraum sie ein ganzes Waffenarsenal (eine Kalaschnikow, zwei automatische Pistolen, Munition, schusssichere Westen und diverse Mobiltelefone) sowie offenbar auch Hinweise für Anschlagspläne auf Kirchen entdeckten.

Auch im Zimmer des Verdächtigen wurden Dokumente gefunden, die seine Kontakte zu radikalen Islamisten belegen. Die Polizei, die ihre Festnahme zunächst geheim hielt, begann sofort nach eventuellen Komplizen zu fanden. In Saint-Dizier bei Nancy in Ostfrankreich, wo der 1991 in Algerien geborenen Sid Ahmed G. früher gewohnt hatte, wurde seine Freundin zur Einvernahme abgeführt und ihre Wohnung durchsucht.

Erst mit Verzögerung stellte die Polizei eine Verbindung zu einem rätselhaften Mord her. Ebenfalls am Sonntagmorgen war nämlich eine junge Frau, die 32-jährige Gymnastiklehrerin Aurélie C., in Villejuif, am südlichen Stadtrand von Paris, erschossen in ihrem Auto aufgefunden worden. Ihr Fahrzeug war in Brand gesteckt worden, der aber schnell gelöscht werden konnte. Darin aber fand man DNA-Spuren des mutmaßlichen Jihadisten, der wenig später noch am selben Tag verletzt festgenommen wurde.

Erstes Angriffsziel war Villejuife

Der Verdacht liegt jetzt nahe, dass er erfolglos versucht hat, das Auto dieser jungen Frau zu stehlen, um es für ein Attentat zu verwenden. Aurélie C. war Mutter einer fünfjährigen Tochter, sie war aus Caudry in Nordfrankreich für einen Kurs nach Paris gekommen, ihr Weg kreuzte zufällig den eines skrupellosen Terroristen. Offen ist nur noch, wie dieser zu seiner Schussverletzung gekommen ist.

Sehr beruhigend ist es nicht für die französische Bevölkerung, dass die Attentatspläne wahrscheinlich nur durch eine Reihe glücklicher Umstände vereitelt worden sind. Entsprechend betroffen reagierten bereits Vertreter der katholischen Kirche.

Bisher standen bereits die meisten Synagogen und einige Moscheen unter Polizeischutz, aber nur sehr wenige Kirchen wie die Pariser Kathedrale Notre-Dame. Wie inzwischen der Bischof von Créteil, Michel Santier, bestätigt hat, sollte offenbar eine Kirche beim Rathaus in Villejuif das erste Angriffsziel des Terroristen sein.

Valls ruft Franzosen zu Einheit auf

Seit Jänner, seit den Attentaten auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ und den jüdischen Supermarkt Hyper Casher, herrscht in Frankreich höchste Alarmstufe. Premierminister Manuel Valls sprach von einer präzedenzlosen terroristischen Bedrohung und appellierte an die Solidarität, wie sie in der eindrücklichen Großkundgebung am 11. Jänner zum Ausdruck gebracht worden sei: „Die Terroristen bedrohen uns, um uns zu spalten, unsere Antwort kann nur in unserer Einheit und Entschlossenheit bestehen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2015)

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