Dalai-Lama-Vertrauter: "Österreich könnte in Tibet vermitteln"

Kelsang Gyaltsen
Kelsang Gyaltsen(c) Stanislav Jenis
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Kelsang Gyaltsen, Europa-Beauftragter des Dalai-Lama, erklärt, wieso das religiöse Oberhaupt Tibets nicht mehr wiedergeboren werden will - und wieso er trotz chinesischer Repression Hoffnungen in KP-Chef Xi Jinping setzt.

Die Presse: Warum will der Dalai-Lama nicht mehr wiedergeboren werden?

Kelsang Gyaltsen: Wir Tibeter glauben, dass Dalai-Lamas geboren werden, um dem tibetischen Volk zu helfen und es auf den Pfad der Tugend zu bringen. Wenn aber seine Reinkarnation den Menschen nicht hilft, dann wird er nicht wiedergeboren. Deshalb hat der Dalai-Lama (der seit 1959 im indischen Exil lebt, Anm.) klargemacht, dass er aufgrund der aktuellen politischen Lage in Tibet nur außerhalb Chinas wiedergeboren werden könnte. Zudem ist er überzeugt, dass in der modernen Welt politische und religiöse Institutionen getrennt sein sollten, er zog sich ja 2011 offiziell aus der Politik zurück. Chinas Regierung aber will die religiöse Institution nutzen, um ihre eigene Herrschaft in Tibet zu festigen (die KP will nach dem Tod des Dalai-Lamas offenbar einen ihr genehmen Dalai-Lama inthronisieren, Anm.).

Mit dem Tod des Dalai-Lama würde also de facto seine religiöse Institution enden.

Der Dalai Lama hat selbst gesagt: Mit meinem Rücktritt von den politischen Ämtern gebe ich nicht nur meine politische Verantwortung für das Geschehen in Tibet ab, sondern beende auch eine fast 400 Jahre alte Tradition, in der der Dalai-Lama sowohl politisches als auch geistiges Oberhaupt ist. Aber der Dalai-Lama (79) erfreut sich bester Gesundheit, für definitive Antworten zu seiner Wiedergeburt und Nachfolge ist noch Zeit. Mit 90 wird er sich wohl noch einmal offiziell dazu äußern.

China hat ein neues Weißbuch zu Tibet veröffentlicht, mit heftigen Attacken gegen den Dalai-Lama. Befürchten Sie noch mehr Repression?

Eigentlich hoffen wir, dass sich unter der Führung Xi Jinpings die Situation langfristig verbessert. Xis Vater war ein führender chinesischer Funktionär in Tibet, er gehörte zu den ganz wenigen, die unserem Volk wohlgesinnt waren. Er kannte den 14. Dalai-Lama gut. Mit dem verstorbenen Panchen Lama verband ihn sogar eine enge Freundschaft. Wir hören, dass Xi auf Widerstand in der Partei stößt, wenn es um Tibet geht.

Sie glauben also, dass Xi persönlich zu Zugeständnissen bereit wäre?

Die Entscheidungsabläufe innerhalb der Partei sind sehr geheimnisvoll, undurchsichtig. Wir glauben, dass Xi Jinping für eine versöhnlichere Tibet-Politik wäre, aber dass er derzeit andere Probleme hat: seine Antikorruptionskampagnen oder der interne Machtkampf, der unseren Informationen zufolge sehr intensiv ist.

137 Tibeter haben sich als Protest gegen China verbrannt. China wirft dem Dalai-Lama vor, die Menschen dazu anzustiften.

Das ist absurd. Die Selbstverbrennungen – die letzte war am 16. April – sind ein verzweifelter Protest gegen die Repression Chinas. Unsere Kultur, unsere Sprache, unsere Religion werden mit Füßen getreten. Es findet eine kulturelle Vergewaltigung statt: Jetzt will die Regierung auch noch Klöster zu Propagandazentren umfunktionieren. Die Polizeipräsenz und die Überwachung werden immer massiver. Man sagt, dass es in Lhasa mehr Kameras gibt als Fenster, mehr Polizei als Menschen. Die Menschen dürfen sich nicht frei bewegen: Wenn ein Tibeter etwa zu den heiligen Stätten nach Lhasa will, braucht er fünf bis sechs Genehmigungen – und selbst diese bekommt er meist nicht. Zermürbend sind die Dauerpropagandakampagnen, die den Dalai-Lama als Separatisten verteufeln. Deshalb fordern wir ja, dass eine unabhängige, internationale Untersuchungsgruppe nach Tibet reist und die Selbstverbrennungen untersucht. Aber Peking will das nicht.

Gibt es Kontakte zur KP-Regierung?

Ich würde nicht sagen, dass es direkte Kontakte zu offiziellen Stellen gibt. Aber der Dalai-Lama versucht seit Jahren, mit Chinesen im Ausland zusammenzukommen, auch während seiner Auslandsaufenthalte: Es gibt ja überall viele chinesische Studenten, viele Geschäftsleute, viele Chinesen, die reisen. In den vergangenen Jahren haben diese Begegnungen stark zugenommen. Und viele Chinesen besuchen den Dalai-Lama. Wir wissen, dass einige dieser Besucher enge Kontakte zur Führung in Peking haben. Deshalb kann man von informellen Kanälen des Informationsaustausches sprechen.

Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus diesem Austausch?

Ich nicht sicher, ob das Weißbuch das letzte Wort der Führung ist. Bezeichnend ist, dass der Staatschef mit keinem Wort zitiert wird. Vielleicht wurde das Buch von den Hardlinern herausgegeben, um vorbeugend Konsultationen zu verhindern. Andererseits zeigt das Weißbuch, wie groß das gegenseitige Misstrauen ist: Seit 30 Jahre sagen wir, dass wir keine Unabhängigkeit wollen, sondern eine wahre Autonomie. Trotzdem wird uns Separatismus vorgeworfen. Um Vertrauen wieder aufzubauen, muss eine dritte Partei vermitteln.

Sehen Sie Österreich als Vermittler?

Österreichs Regierung könnte diese Rolle übernehmen, allein oder innerhalb einer EU-Vermittlung. Ich bin überzeugt, dass auch viele andere EU-Regierung eigentlich dazu bereit wären. Nur wissen sie nicht, wie China reagieren wird. Das bremst sie.

Treffen Sie in Wien Regierungsmitglieder?

Ich werde Parlamentarier treffen und auch Regierungsvertreter. Ich hoffe, dass ich Diplomaten treffen kann, die für Asien und für unsere Themen zuständig sind. Namen will ich nicht nennen. Für uns ist vor allem ein offenes Gespräch wichtig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2015)

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