Wien: Demonstration gegen die "Lüge des Völkermords"

Eine Frau betet für die armenischen Opfer des Osmanischen Reiches im Jahr 2015. Die Türkei und auch viele Türken wehren sich gegen den Begriff
Eine Frau betet für die armenischen Opfer des Osmanischen Reiches im Jahr 2015. Die Türkei und auch viele Türken wehren sich gegen den Begriff "Völkermord". (c) REUTERS
  • Drucken

Alle "Enkel der Osmanen" seien aufgerufen in Wien gegen einen Beschluss des Nationalrats zu demonstrieren, der den Türken "Völkermord" an Armeniern vorwirft.

Die „Plattform der türkischen Vereine“ hat zu einer Demonstration gegen die „Lügen des Völkermords“ am Freitag, dem offiziellen Gedenktag in Armenien, in Wien aufgerufen. Der Protestmarsch – angemeldet für 5000 Personen – soll um 18 Uhr am Christian-Broda-Platz (Westbahnhof) beginnen und in der Folge am Ballhausplatz enden. Wie in sozialen Medien angekündigt wird, wollen die Teilnehmer gegen den „schockierenden Beschluss“ des österreichischen Parlaments protestieren. Damit würde das türkische Volk und seine Vorfahren als Mörder bezeichnet. Eingeladen seien „alle Enkel der Osmanen“.

Auch die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die der türkischen Regierungspartei AKP nahestehen soll, ruft auf ihrer Facebook-Seite zur Teilnahme auf. Bereits im Vorfeld der Völkermord-Debatte hieß es in einer Aussendung der UETD-Wien: „Jedermann hat heute eine Vielzahl von Informationsmaterial zur Verfügung. Zudem hat 2006 der damalige Ministerpräsident Erdoğan die Offenlegung der türkischen Archive veranlasst und dieses ebenfals aus armenischer Seite gefordert. Bis heute hat Armenien auf diese Einladung nicht reagiert." Die UETD fordert die gründliche Aufklärung des Themas durch Historiker "aus einer objektiven Perspektive". Die Union Europäisch Türkischer Demokraten in Österreich appelliert in diesem Zusammenhang an die Bundesregierung, von einer vorschnellen und türkeifeindlichen Einstellung abzusehen.“

Kurz: Nationalrat-Beschluss ist zu respektieren

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat am Donnerstag betont: "Die Erklärung des österreichischen Parlaments ist zu respektieren. Jetzt gilt es, in die Zukunft zu schauen und an einer Aussöhnung zwischen Türken und Armeniern zu arbeiten", so Kurz gegenüber der Austria Presse Agentur.

Nach Angaben eines Sprechers telefonierte Kurz am Donnerstag mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu. Dabei informierte er diesen, dass die Erklärung zu den Armeniern von allen Nationalratsparteien getragen worden sei. Zudem habe sich die Erklärung auch kritisch mit der Rolle des mit dem Osmanischen Reich im Ersten Weltkrieg verbündeten Österreich-Ungarn und somit auch mit der österreichischen Geschichte auseinandergesetzt.

Die jüngste Abberufung des türkischen Botschafters aus Österreich ist die vorläufig letzte Episode in den seit beinahe seit 500 Jahre bestehenden, wechselvollen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Die Türkenbelagerungen, die Rolle der beiden Kriegsmächte im Ersten Weltkrieg und politische Eklats prägen das kollektive Gedächtnis und die Diplomatie bis heute.

Der Konflikt

Nach Darstellung der Armenier starben 1915 bis zu 1,5 Millionen Armenier im Zuge einer gezielten Vernichtungskampagne der Regierung des Osmanischen Reiches. Die Türkei bestreitet dagegen, dass es sich um einen Völkermord handelte und spricht von einigen Hunderttausend Toten infolge von Kämpfen und Hungersnöten während des Krieges. Das Europaparlament bezeichnet die Ereignisse schon seit 1987 offiziell als Völkermord. Vorige Woche forderte das EU-Parlament die Türkei auf, den Genozid an den Armeniern anzuerkennen. Die EU-Kommission vermeidet dagegen den Begriff Völkermord.

Die offizielle türkische Geschichtsschreibung sieht die Türken hingegen immer noch als Opfer radikaler Armenier. Laut dem türkischen Historiker Hikmet Özdemir sind "insgesamt 570.000 Türken von armenischer Hand" gestorben. In absoluten Zahlen seien "vielleicht weniger Armenier als Türken" gestorben. Dass die Regierung des Osmanischen Reiches die Vernichtung der Armenier beabsichtigt habe, dafür gebe es keinen Beleg. Ihre Deportation sei aus militärischen Gründen notwendig gewesen.

(duö/Red.)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Völkermord an Armeniern: Fischer verweist auf Parlamentk=/home/politik/aussenpolitik/4709072/index.do&direct=4709072g
Außenpolitik

Völkermord an Armeniern: Fischer verweist auf Parlament

Der Bundespräsident selbst vermeidet die Verwendung des Begriffs "Völkermord".
Völkermord-Rede: "Türkisches Volk wird Gauck nicht verzeihen"
Außenpolitik

Völkermord-Rede: "Türkisches Volk wird Gauck nicht verzeihen"

Der deutsche Präsident bezeichnete das Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren erstmals klar als Völkermord.
KUNDGEBUNG ´MARCH FOR JUSTICE´ ANL. 100. JAHRESTAG DES BEGINNS DES GENOZIDS AN DEN ARMENIERN IN WIEN
Außenpolitik

Armenier-Völkermord: Keine Zwischenfälle bei Veranstaltungen

Zum 100. Jahrestag des Völkermords an Armeniern im Osmanischen Reich fand in Wien ein Gedenkmarsch statt. Gleichzeitig gab es eine Pro-Türkei-Demo.
German President Gauck makes a speech during an Ecumenical service marking the 100th anniversary of the mass killings of 1.5 million Armenians by Ottoman Turkish forces at the cathedral in Berlin
Außenpolitik

Türkei: Empörung über Gauck und Bundestag

Medien schäumten über Völkermord-Aussagen aus Deutschland. Die offizielle Politik hielt sich zunächst in ihren Reaktionen zurück, um das Gallipoli-Gedenken nicht zu konterkarieren.
Recep Tayyip Erdogan ließ sein Beileid ausrichten.
Außenpolitik

Erdogan gedenkt "aller osmanischer Armenier mit Respekt"

Der türkische Präsident veröffentlichte eine Botschaft. Zur Gedenkfeier in Armenien erschienen etwa Wladimir Putin und Francois Hollande.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.