Trauer in Warschau um das "Gewissen der Nation"

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Der Tod des Ex-Außenministers und Präsidentenberaters Władysław Bartoszewski hinterlässt eine tiefe Lücke. Polens Elite lobte am Wochenende das Werk des Verstorbenen. Doch bei der nationalen Rechten war er umstritten.

Warschau. Die Flaggen des Präsidentenpalasts in der Warschauer Altstadt stehen auf Halbmast. Polen trauert um Władysław Bartoszewski, den Präsidentenberater, vor allem aber den großen Intellektuellen und Außenpolitiker.

„Die Flaggen auf Halbmast zu setzen war das Einzige, was ich tun konnte“, sagte Staatspräsident Bronisław Komorowski am Wochenende fassungslos und traurig. Bartoszewski sei ein „mustergültiger polnischer Patriot gewesen“, sagte Komorowski. „Er ist von uns gegangen, so wie er gelebt hat: sehr schnell und immer im Aktivdienst am Vaterland.“

Nicht nur Präsident Komorowski, sondern auch zahlreiche andere polnische und internationale Politiker zeigten sich am Wochenende über den Tod Bartoszewskis bestürzt. Polen trauert um eine wichtige Persönlichkeit, einen Mann, der in ganz Europa als moralische Autorität gegolten hat.

Noch am Freitagmittag hatte er ein deutsch-polnisches Ministertreffen für heute Montag vorbereitet. Doch am selben Abend wurde er nach einem Herzinfarkt ins Spital eingeliefert, wo er kurz darauf verstarb. Bis zuletzt war der 93-Jährige Regierungsbeauftragter für internationale Beziehungen gewesen, vor allem für das noch immer von der nationalsozialistischen Besatzungszeit und der Shoah belastete Verhältnis zwischen Polen und Deutschland.

Öffentlich aufgetreten war er zum letzten Mal erst vor wenigen Tagen anlässlich des 72. Jahrestags des Warschauer Ghettoaufstands. Bartoszewski schlug seine Zuhörer mit fester Stimme in Bann, mahnte und forderte, so wie immer. Bartoszewski war einer der letzten heute noch lebenden polnischen Auschwitz-Häftlinge. 1941 war der im Untergrund aktive Student von den Deutschen gefasst und als politischer Häftling in das KZ deportiert worden. Nach seiner Freilassung 1942 schloss er sich der Untergrundarmee AK an und war Mitglied der Zegota, einer Organisation, die unter Lebensgefahr Juden versteckte.

Für seine Teilnahme am Warschauer Aufstand von 1944 saß Bartoszewski zur Zeit des Stalinismus in Polen zynischerweise jahrelang im Gefängnis. In den Fünfzigerjahren wurde er Journalist und schrieb zuerst für die linksliberale katholische Intellektuellenzeitung „Tygodnik Prowszechny“, später arbeitete er für Radio Free Europe. Nach der Verhängung des Kriegsrechts wurde er Ende 1981 interniert.

Als Botschafter in Wien

Nach der Wende wurde der ehemalige Dissident von Premierminister Tadeusz Mazowiecki zum Botschafter Polens in Wien berufen. 1995 ernannte ihn Präsident Lech Walesa zum Außenminister in der postkommunistischen Regierung Józef Oleksy. Denselben Posten hatte Bartoszewski danach auch in der Regierung von Jerzy Buzek inne. Er gestaltete damit als unabhängiger Denker das Polen-Bild im Ausland in den Neunzigerjahren wesentlich mit und machte sich einen Namen als prinzipientreuer polnischer Patriot, aber auch weltoffener Vermittler.

Humor und tiefe Demut

Nicht alle Kräfte in Polen schätzen diese Unvoreingenommenheit Bartoszewskis: „Jeder Tod ist traurig; ich werde deshalb seine politischen Ansichten der letzten Jahre nicht kommentieren“, giftete am Wochenende Mariusz Błaszczak, der Fraktionschef der rechtsnationalen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Bei persönlichen Treffen sprach Bartoszewski wie ein Buch und war mit Zwischenfragen kaum zu stoppen. Dabei zeigte er Humor, aber immer auch tiefe Demut vor dem Leben. (flü)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2015)

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