Kurz im Palast des „letzten Diktators“

Alexander Lukaschenko und Sebastian Kurz in Minsk
Alexander Lukaschenko und Sebastian Kurz in MinskAPA/Außenministerium
  • Drucken

Tauwetter in Weißrussland? Alexander Lukaschenkos Außenminister deutet die Freilassung politischer Gefangener und Aussetzung der Todesstrafe an. Im Gegenzug würde die EU Sanktionen gegen den Autokraten aufheben.

Hier, im Palast der Unabhängigkeit in Minsk, den der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko vor zwei Jahren aus dem Boden stampfen ließ, entfaltet sich die sowjetische Protzarchitektur noch in voller Pracht: Mindestens 15 Meter ragt die Eingangshalle hoch, die Böden aus Marmor, an der Stuckdecke pompöse Kristallluster, die Glasfront verdeckt von elendslangen weißen Vorhängen.

Im ersten Stock huschen bildhübsche blonde Protokolldamen in grauen Kostümen im Stechschritt über die Flure. Und im tortenförmigen Kaminraum, einer Kitschorgie in Pastell, stehen Außenminister Wladimir Makei und Sebastian Kurz mit ihrer Entourage und warten. Alle schweigen, minutenlang. Denn ER soll bald kommen. Dann schlägt Makei die Hacken zusammen. ER ist da.

„Dobrij Djen“, sagt Lukaschenko leutselig zu seinem jungen Gast aus Wien, schüttelt ihm mit seiner riesigen Pranke die Hand und setzt zu einem kleinen Exkurs an. Makei, sein Außenminister, schreibt eilfertig mit. Bald nach seinem Amtsantritt, das ist nun auch schon 21 Jahre her, habe er den Westen analysiert, erklärt Lukaschenko. Und da sei es ihm vorgekommen, als fiele Belarus sozusagen in den Zuständigkeitsbereich Österreichs, und das wäre ihm auch ganz recht so.

Der charmante, vierschrötige Autokrat

„Sehr zufrieden“ sei er mit dem wirtschaftlichen Austausch, 500 Millionen Dollar hätten österreichische Firmen im Vorjahr in Belarus investiert, früher seien es sogar schon einmal 900 Millionen gewesen.

Der vierschrötige Autokrat von Minsk zeigt sich vor den österreichischen Besuchern von seiner charmanten Seite. „Ich will, dass der Westen eine neue Sicht auf Belarus bekommt“, erklärt er. Denn die Beziehungen befänden sich derzeit im Stadium der „Erwärmung“. Kurz und viele in der EU sehen das ähnlich. Die Ukraine-Krise hat eine Lücke für eine Annäherung an Belarus geöffnet. Lukaschenko, mit Russland zwar in der Eurasischen Wirtschaftsunion eng verbunden, war gar nicht erfreut über die Annexion der Krim. Auch in Belarus leben eine Million Russen, die Moskau eines Tages unter seinen ganz speziellen Schutz stellen könnte. Demonstrativ fuhr Lukaschenko im Vorjahr zur Angelobung des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko nach Kiew.

Eine Runde hoher Herren
Eine Runde hoher HerrenAPA/Außenministerium

Der weißrussische Herrscher nützte die Gelegenheit für eine geschickte Schaukelpolitik, verhielt sich einerseits trotz deutlicher kritischer Zwischentöne loyal gegenüber Russland im UN-Sicherheitsrat, versuchte andererseits aber, diplomatische Meter bei der EU zu machen. Als Gastgeber der Verhandlungen zur Beilegung des Kriegs in der Ostukraine schlüpfte Lukaschenko in die Rolle des Friedensstifters, empfing Putin, Merkel, Poroschenko und Hollande in seinem Minsker Palast.

"Bin nicht mehr der letzte Diktator Europas"

„Ich bin nicht mehr der letzte Diktator Europas“, sagte Lukaschenko neulich kichernd in einem Interview und spielte dabei auf seinen russischen Amtskollegen Putin an. „Es gibt Dikatoren, die ein bisschen schlimmer sind, nicht?“. Plötzlich war Lukaschenko kein Paria mehr: Die Menschenrechtsverletzungen, die Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Belarus, all das wog nicht mehr so schwer. Im Februar kam der derzeitige Ratsvorsitzende der EU, Lettlands Außenminister, nach Minsk und stellte ein Tauwetter in Aussicht.

Kurz ist nun der zweite EU-Außenminister seit den Präsidentenwahlen 2010, der Belarus besucht. Seit Lukaschenko damals sieben von neun Präsidentschaftskandidaten hinter Gitter werfen und Demonstrationen blutig niederschlagen ließ, herrschte Eiszeit zwischen ihm und Brüssel. Immer noch sind er und 200 seiner Gefolgsleute mit Einreise- und Kontosperren belegt. Im Vorjahr strich die EU Außenminister Makei und 23 andere von der Liste. Umgekehrt öffnete Lukaschenko die Gefängnistore für einen Dissidenten frei, Ales Bjaljazki. Ein diplomatisches Menuett der Annäherung setzte ein. Belarus wurde zum EU-Gipfel der östlichen Partnerschaft am 21. Mai nach Riga eingeladen. Dort sollen formal auch Visa-Liberalisierungen beschlossen werden.

Ein Sanktionenumgehungs-Schleichweg

Ein großes wirtschaftliches Zugeständnis haben die Europäer Lukschenko bereits gemacht: Ihm soll nun gestattet werden, Eurobonds, Anleihen in Euro, zu begeben. Er kann das Geld brauchen: Die Ukrainekrise und der Rubelverfall drücken auf die weißrussische Wirtschaft. Dazu kommt politischer Druck aus der russischen Führung, die Minsk drängt, Gegensanktionen gegen die EU mitzutragen. Doch Belarus legt sich quer und hilft europäischen Lebensmittelproduzenten, die russischen Sanktionen zu umgehen. Aus Weißrussland kam zuletzt etwa auffallend viel Mozzarella nach Russland.

Putin schmeckt das gar nicht, er ließ unter fadenscheinigen Gründen bereits einige weißrussische Produkte mit Importsperren belegen. In Minsk geht die Angst vor weiteren Strafaktionen vor. Es ist ein Drahtseilakt, den Lukaschenko zwischen Russland und Europa versucht. Immer wieder setzt Lukaschenko Signale, um sich von Moskau zu distanzieren. Der 61-Jährige wird auch nicht an der großen Feier zum Ende des Zweiten Weltkrieg am 9. Mai teilnehmen. Er wird seine eigene Zeremonie in Minsk abhalten. Die blitzsauberen achtspurigen Bouleveards, die das Zentrum der weißrussischen Hauptstadt durchziehen, sind bereits mit Fähnchen gesäumt. Doch immer wieder rudert Lukaschenko auch wieder zurück. Er braucht den großen russischen Bruder als Handelspartner, die Hälfte der Exporte gehen in den Osten.

Sebastian Kurz vor weißrussischen Gardisten
Sebastian Kurz vor weißrussischen GardistenAPA/Außenministerium

Ambivalent bleiben auch die Europäer. Bei aller Betonung auf Realpolitik, ganz sausen lassen wollen sie ihre "werteorientierte" Außenpolitik gegenüber Minsk nicht. Drei politische Gefangene, nach anderer Zählung sieben, sitzen immer noch in weißrussischen Kerkern ein, darunter der ehemalige Präsidentschaftskandidat, Mikolaj Statkevich. Kurz verlangte am Montag in Minsk ihre Freilassung, so wie er auch die Abschaffung der Todesstrafe forderte. Explizit schlug er Lukaschenko ein Moratorium der Todesstrafe vor, damit Belarus dem Europarat beitreten kann.

Vor öffentlichen Zugeständnissen hütet sich die weißrussische Führung. Es ist nicht ihr Stil, in die Knie zu gehen. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Kurz wand sich Makei, der übrigens die Diplomatische Akademie in Wien absolviert hat und blendend Deutsch spricht, zunächst mit diplomatischen Floskeln, um dann doch zu sagen: „Wir werden konkrete Schritte setzen.“ In Minsk kann man hören, dass das Parlament ein Moratorium der Todesstrafe vorbereitet. Es ist auch die Rede davon, dass Lukaschenko auf Gnadengesuche der politischen Gefangenen wartet, was freilich Schuldeingeständnisse voraussetzen würde.

Bei seiner weißrussischen Mission bringt Kurz erneut seine Friedensidee für die Region aufs Tapet. „Es darf kein Blockdenken geben. Kein Entweder-oder zwischen Russland und Europa, sondern ein Sowohl-als-auch“, sagt er in Minsk. Ihm schwebt eine große Freihandelszone vor, die von Lissabon bis Wladiwostok reicht. „Für die Ukraine muss es möglich sein, gute wirtschaftliche Beziehungen zur EU und zu Russland zu haben. Und unter umgekehrten Zeichen soll Belarus Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion sein können und sich gleichzeitig der EU annähern.“

Österreich als Großinvestor

Das diplomatische Engagement wird nicht zum Schaden österreichischer Unternehmen sein, die schon jetzt zu den größten europäischen Investoren in dem Zehn-Millionen-Einwohner-Staat gehören. Raiffeisen und die Telekom Austria freuen sich über gute Geschäfte, ebenso wie etwa Kapsch, das ein lukratives Straßenmautsystem in Weißrussland aufgebaut hat. Die Spielregeln sind klar in dem postsowjetischen System: Gibt es Probleme, löst man sie auf politischer Ebene, am besten ganz oben, beim Präsidenten. Rechtssicherheit sieht anders aus. Doch die Korruption, darüber sind sich die Geschäftsleute einig, ist in Weißrussland deutlich weniger ausgeprägt als in der Ukraine oder in Russland.

Minsk, Unabhängigkeitsplatz
Minsk, UnabhängigkeitsplatzWikipedia/zedlik

Die Österreicher punkten mit ihrem Know-how, auch mit ihrer Erfahrung, sie genießen einen guten Ruf, seit die Voest noch vor dem Zerfall der Sowjetunion in Schlobin ein Stahlwerk aufbaute. Doch die Konkurrenz schläft nicht. Nach 2010, nach der Verschärfung der EU-Sanktionen gegen Minsk, wandte sich Lukaschenko zunächst stärker Russland zu. Mittlerweile fürchtet er, dass sich russische Oligarchen im Land einkaufen, sträubt sich auch deshalb gegen Privatisierungen.

Auch die Türken und die Golfstaaten drängen in den Markt, besonders aggressiv aber die Chinesen, die mit großzügigen Vorfinanzierungen von Deals locken. Am 10. Mai wird der chinesische Präsident Xi Jinping in Minsk erwartet.

Fühler in alle Richtungen

Lukaschenko streckt derzeit seine Fühler in alle Richtungen aus, um die Abhängigkeit von Moskau zu minimieren. Und davon will auch Österreich profitieren, politisch und wirtschaftlich.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Kurz in Moskau: „Russland läuft keinem hinterher“

Österreichs Außenminister Sebastian Kurz bekennt sich zu EU-Sanktionen gegen Russland. Gastgeber Lawrow bleibt cool. Er bittet nicht darum, dass Wien für Ende der Strafmaßnahmen stimmt.
Außenminister Sebastian Kurz zu Gast bei Russlands Außenminister Sergej Lawrow.
Außenpolitik

Kurz wirft russischen Medien Propaganda vor

Der Außenminister weist in Moskau das Medienbild eines allzu russland-freundlichen Österreich zurück. Sein Amtskollege Lawrow will ihm wegen der Aufhebung der Sanktionen "nicht hinterherlaufen".

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.