Der Front National suspendiert die Mitgliedschaft des Parteigründers Jean-Marie Le Pen. Der fordert nun seine Tochter und Parteichefin Marine auf, den Namen Le Pen zurückzulegen.
Paris. Jean-Marie Le Pen tobt. Der Exekutivrat des Front National (FN) hatte es tatsächlich gewagt und den Parteigründer schuldig gesprochen und verurteilt. Fast hätte es ihm die Sprache verschlagen – zumal die meisten in der Parteispitze ihm die Karriere verdanken, allen voran Marine Le Pen, die Tochter und Parteichefin. Die Partei hat nicht nur seine Mitgliedschaft suspendiert. Noch schlimmer wiegt die Drohung, ihm bei einem außerordentlichen Parteitag oder einer Mitgliederbefragung den Titel des Ehrenpräsidenten zu entziehen.
Die Parteileitung hat sich von Jean-Marie Le Pen distanziert: Die Partei könne „nicht alle Meinungen tolerieren“, sie missbillige darum die wiederholten Äußerungen von Jean-Marie Le Pen, namentlich jene im Blatt „Rivarol“. Der mehrfach wegen rassistischen und antisemitischen Äußerungen verurteilte Le Pen hatte dort erneut den Holocaust und die Gaskammern als „Detail“ der Geschichte des Zweiten Weltkriegs verharmlost und Verständnis für die Anhänger des damaligen Chefs der Kollaboration mit den Nazis, Marschall Pétain, geäußert. Auch beklagte er den schädlichen Einfluss von Homosexuellen in der FN-Führung.
Öffentliche Demütigung
Eine solche demonstrative und öffentliche Demütigung durch die Mitglieder des FN-Exekutivbüros hatte Le Pen nicht erwartet. Nicht von ihnen, nicht von seiner Tochter Marine, der er 2011 die Parteiführung anvertraut hatte. Er bezeichnet den Beschluss, ihn zu ächten, als Treuebruch. Dies sagt einiges aus über die Art und Weise, wie er den FN immer noch als Privateigentum und Familienbesitz betrachtet. Die Wut inspirierte ihn, er beschreibt die Disziplinarkommission als „Erschießungskommando der sieben Söldner“, als „Versammlung gekaufter Höflinge“. Er schäumte, die heutige FN-Spitze sei „schlimmer als die (konservative) UMP und der PS (Sozialisten), denn ein Feind kämpft von Angesicht zu Angesicht, hier aber habe ich meine Gegner im Rücken“.
Zumindest will sich der 86-Jährige für diese Schmach rächen. Er wünsche „bis auf Weiteres“ nicht mehr, dass seine Tochter, die er mittlerweile distanziert „Madame Marine Le Pen“ nennt, bei den Präsidentschaftswahlen von 2017 gewinne, erklärte er. Denn eine Präsidentin „mit solchen Moralvorstellungen“, das wäre ein Skandal an der Spitze des Staates. Auch er versteht es, seine Gegner zu demütigen: Marine Le Pen solle gefälligst heiraten und ihm den Familiennamen Le Pen zurückgeben. Er wolle keine verwandtschaftlichen Bande mit einer Person, die ihn derart verraten habe. Der Polit-Veteran spricht verbittert sogar von einem „Vatermord“.
Der Streit wird sich so schnell nicht legen, denn auch wenn laut Umfragen die große Mehrheit der FN-Wähler hinter Marine Le Pen steht, hat ihr Vater in der Partei zweifellos viele Anhänger, die seine Ansichten teilen. Sein langjähriger Kampfgefährte Bruno Gollnisch, den Jean-Marie Le Pen ursprünglich als Nachfolger designiert hatte, bevor dieser seiner Tochter Marine den Vorzug gab, möchte von der Parteileitung wissen, wo denn der Parteigründer gegen die offizielle Linie verstoßen habe.
Front quer durch die Familie
Die Trennlinien aber gehen quer durch die Partei und die Familie, und die politischen Gegner wie der konservative Ex-Minister Brice Hortefeux spotten, diese rechtsextreme Partei solle sich von „Front national“ in „Front familial“ umtaufen. Jean-Marie Le Pen dürfte seine Hoffnungen nun auf seine Enkelin Marion Marechal-Le Pen setzen. Die 25-jährige FN-Abgeordnete gilt als noch radikaler als ihre Tante und Parteichefin Marine Le Pen.
Die Schadenfreude aller FN-Gegner aber wird durch die Befürchtung getrübt, dass Marine Le Pen von der Abgrenzung politisch nur profitieren könne. Dies nützt ihrer Taktik, den FN salonfähig zu machen. Nicht wenige fragen sich heute in Frankreich, ob der ganze Medienwirbel nicht sogar absichtlich inszeniert oder wenigstens von der Parteileitung bewusst hochgespielt wird. Denn was die Öffentlichkeit von diesem Zwist am Ende in Erinnerung behält, ist die Distanzierung des FN von den historischen ideologischen Altlasten, die Jean-Marie Le Pen verkörpert.
In diesem Sinne hätte der Parteigründer seiner Tochter, die er nun so theatralisch verstößt, einen echten Gefallen erwiesen mit seinen umstrittenen Äußerungen und den früheren rassistischen Tiraden, für die er mehrfach gerichtlich verurteilt worden ist.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2015)