Ägypten: "Umfassende Revolution ist die einzige Lösung"

(c) REUTERS (Khaled Abdullah)
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Vom Exil aus arbeitet der oppositionelle Revolutionsrat an einem Regimewechsel in Kairo. Zwei seiner Mitglieder, darunter ein führender Muslimbruder, sprechen im "Presse"-Interview über ihre Kontakte zu ranghohen US-Politikern.

Ägyptens Oppositionelle flüchteten nach dem Militärputsch gegen Ex-Präsident Mohammed Mursi ins Ausland. Im Sommer 2014 gründeten sie den Ägyptischen Revolutionsrat. Am Rande eines Treffens des Revolutionsrats in Istanbul sprach „Die Presse“ mit zwei seiner Mitglieder: Gamal Heshmat, führender Muslimbruder und ehemaliger Parlamentsabgeordneter, und Waleed Sharaby, Ex-Sprecher der ägyptischen Richter.

Die Presse: Anfang 2015 trafen Sie und andere Mitglieder des Ägyptischen Revolutionsrats Persönlichkeiten aus dem Weißen Haus, aus dem US-Außenministerium sowie Mitglieder des Kongresses. Wie verliefen die Gespräche?

Gamal Heshmat: Wir haben unterstrichen, dass Abdel Fattah al-Sisi (Ägyptens Präsident; Anm.)weder Sicherheit noch Stabilität bringen wird. Er schafft die Bedingungen für das weitere Anwachsen von Terrorismus. Auch für unsere Gesprächspartner war Sisis Herrschaft keine langfristige Option.

Waleed Sharaby: Die Treffen waren sehr produktiv. Die Personen aus dem Weißen Haus wussten über die Menschenrechtsverletzungen in Ägypten Bescheid. Sie sahen in Sisi ebenfalls die Wurzel oder zumindest einen Teil des Problems. Allerdings bestand unter unseren Gesprächspartnern keine Einigkeit darüber, wie die Krise in Ägypten zu lösen ist.

Die USA unterstützen offiziell nach wie vor das ägyptische Regime – und nicht den Ägyptischen Revolutionsrat.

Sharaby: Wir streben keine Unterstützung der USA an. Unser Ziel ist, dass die USA ihre Unterstützung für Sisi beenden. Das Regime Sisis tötete mehr als 6000 friedliche Demonstranten, und zwar mit Waffen, die aus den USA stammen. In den Gefängnissen ermordeten sie politische Häftlinge.

Die USA werden ihre Beziehungen zu Ägypten kaum beenden, schließlich wollen sie nicht ihren Einfluss in Nahost verlieren.

Heshmat: Die USA haben durch ihre Zusammenarbeit mit arabischen Diktatoren, die ihre Bevölkerung unterdrückt haben, ohnehin viel Ansehen und Einfluss eingebüßt. Nur wenn die USA eine Demokratie unterstützen, können sie diesen Imageschaden beheben. Die jetzige staatliche Unterdrückung in Ägypten wird die dortigen Spannungen nur vergrößern. Das Hinnehmen des Militärputsches ist ein gefährlicher Präzedenzfall, der bereits Tore für weitere Staatsstreiche in Asien, Afrika und im Jemen geöffnet hat.

Einige meinen, der Ägyptische Revolutionsrat bestehe primär aus Muslimbrüdern.

Sharaby: An der Spitze des Rats stehen 13 Personen, zwei davon sind Muslimbrüder, der Rest gehört keiner politisch-islamischen Partei an – auch ich nicht. Es geht nicht um einen Kampf für oder gegen den Islam oder die Muslimbrüder, es geht um Demokratie und Transparenz.

Die ägyptische Bevölkerung ist gespalten. Jene, die Sisi unterstützen, sind aber einflussreicher.

Sharaby: In vielen Ländern gibt es eine ähnliche ideologische Spaltung der Bevölkerung. Aber in Ägypten hat das Militär Partei für eine Seite ergriffen. Das muss korrigiert werden. Wir brauchen eine Regierung, die für alle Menschen arbeitet. Der Revolutionsrat arbeitet mit allen politischen Parteien und Gruppen zusammen, um einen Konsens zu finden, der die Demokratie zurückholt.

Heshmat: Es gibt große Probleme – das Fehlen der Polizei auf den Straßen, die sinkende Lebensqualität, die Korruption. Diese wichtigen Themen werden alle Menschen an einen Tisch bringen.

Sisi organisierte eine Konferenz in Sharm El-Sheikh, um eine neue Stadt in der Nähe von Kairo zu errichten. Was halten Sie davon?

Sharaby: So will das Regime sein Image aufpolieren. Am Ende werden hauptsächlich ausländische Firmen davon profitieren.

Heshmat: Das Regime flieht vor der Realität. In allen Städten zerbröckelt die Infrastruktur, von den Straßen bis zur Gesundheitsversorgung. Dort bräuchte man das Geld.

Die koptische Kirche ist zurzeit optimistisch. Sie meint, dass Sisi das Land wieder einen kann. Kopten berichteten, dass sie von Mursi-Anhängern nach dem Militärputsch angegriffen wurden.

Heshmat: Wir denken, dass die Kopten auf das falsche Pferd gesetzt haben. Es ist trügerisch zu glauben, das Militär könne sie beschützen. Beweise belegen, dass mehrere Attacken auf die Kopten, etwa der Bombenanschlag auf die koptische Kirche in Alexandria im Jahr 2011 oder die Tötung demonstrierender Kopten Anfang 2012 vor der TV-Station in Maspero, dem Militärregime zuzurechnen sind. Viele Attentate auf die Kopten wurden vom Militär heimlich organisiert. Die Polizei griff nicht ein. Andererseits haben die Kopten eine weit zurückreichende Beziehung zur Muslimbruderschaft. Zum Beispiel war der politische Berater von Hassan al-Banna, dem Gründer der Muslimbrüder, ein Kopte. Wir pflegen in den Städten engen Kontakt zur koptischen Gemeinde.

Saudiarabien und andere Golfstaaten unterstützen das jetzige Regime.

Heshmat: Eine erfolgreiche islamische Demokratie in Ägypten, die Investitionen anzieht und den Ägyptern mehr Rechte garantiert, hätte den Einfluss und die Macht Saudiarabiens bedroht: Erstens wegen der Demokratie, zweitens weil Saudiarabien für sich beansprucht, die einzige Autorität im sunnitischen Islam zu sein.


Viele sagen: Nach dem Arabischen Frühling hat sich das System nicht geändert. Ist eine Änderung des Systems möglich?

Heshmat: Eine umfassende Revolution von innen ist die einzige Lösung. Eine teilweise Reform, wie wir sie versucht haben, hat nicht geklappt. Das Militär hat alles zunichte gemacht. Es hat keine politische Vision und glaubt nur an die Sprache des Gewehrs.

ZUR PERSON

Gamal Heshmat undWaleed Sharaby (rechts) gehören dem 13-köpfigen Ägyptischen Revolutionsrat an, der sich im Sommer 2014 in Istanbul formiert hat. Heshmat war Abgeordneter im Parlament. Er ist ein führender Muslimbruder. Sharaby fungierte vor seiner Flucht aus Ägypten als Sprecher der ägyptischen Richter. [ Stephan Schwarzer ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2015)

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