Mazedonien: Europas vergessener Vorhof

(c) APA/EPA/VALDRIN XHEMAJ (VALDRIN XHEMAJ)
  • Drucken

In Mazedonien hat die Staatengemeinschaft kollektiv versagt. Die Union lässt den Beitrittskandidaten willentlich auflaufen.

Belgrad/Skopje. Nur kurz stand der vergessene EU-Anwärter im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit. Die Toten sind in Mazedonien gezählt, die Panzerfahrzeuge aus Kumanovo abgerollt. Doch wer oder was hinter dem rätselhaften Gewaltausbruch am Wochenende gestanden ist, ist noch immer ungewiss.

Wollten sich UÇK-Veteranen aus dem Kosovo das Machtvakuum in dem durch einen Abhörskandal gelähmten Vielvölkerstaat zunutze machen, wie von der Regierung suggeriert? Oder handelt es sich um ein von den Geheimdiensten mithilfe krimineller Söldner orchestriertes, aber aus dem Ruder gelaufenes Ablenkungsmanöver der tief im Skandalsumpf versinkenden Regierung, wie von der Opposition und einem früheren General behauptet? Nichts scheint in dem labilen Balkanstaat unmöglich.

Sicher ist, dass der Wirbel um die Kämpfe in Kumanovo der in Bedrängnis geratenen Regierung eine Atempause verschafft und der gegängelten Opposition vorläufig ihr Momentum genommen hat. Doch egal, wer hinter dem Blutvergießen stand. Nicht nur die EU wäre gut beraten, ihrem lang vernachlässigten Vorhof endlich mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Denn in Mazedonien hat die internationale Gemeinschaft kollektiv versagt.

Am Rand des Bürgerkriegs

Lang schien Mazedonien im Kriegsjahrzehnt der 1990er-Jahre den Zerfall Jugoslawiens als einziger Nachfolgestaat ohne Blutvergießen überstehen zu können. Doch 2001 drohten auch in dem Vielvölkerstaat die ethnischen Spannungen zu eskalieren. Scharmützel zwischen albanischen Aufständischen und Regierungstruppen ließen das Land wochenlang am Rand eines Bürgerkriegs taumeln. Es war damals die EU, die das Friedensabkommen von Ohrid forcierte: Nicht nur größere Rechte für die albanische Minderheit, sondern auch die Zusicherung einer EU- und Nato-Perspektive wussten das ethnisch und politisch geteilte Land zu befrieden.

Bereits 2005 erhielt Mazedonien den Status eines EU-Kandidaten. Doch beim Nato-Gipfel 2008 legte Griechenland wegen des Streits um den abgelehnten Landesnamen der Nachbarn ein Veto gegen deren Aufnahme ein. Seitdem tritt das Land auf der Stelle – und ist unter der Ägide des nationalpopulistischen Premiers, Nikola Gruevski, zu einer autoritär geführten Bananenrepublik verkümmert.

Ob bei Manipulationen von Wahlen, der Gängelung der Presse oder der Ausschaltung von politischen Gegnern durch düstere Geheimdienst-Machenschaften: Die Internationale Gemeinschaft beschränkt sich bei den Fehlentwicklungen in Europas vergessenem Hinterhof auf die Beobachterrolle eines fernen, aber ohnehin eher uninteressierten Onkels. Die OSZE pflegt jedem der zahlreichen Urnengänge gegen besseres Wissen stets die gewünschte Unbedenklichkeitsbescheinigung auszustellen. Brüssel beantragt zwar alljährlich pflichtschuldig die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, doch faktisch lässt die EU den Beitrittskandidaten am ausgestreckten Arm verhungern: Selbst in Griechenlands größter Krise versäumen es die EU-Partner, auf mehr Beweglichkeit im fatalen Namensstreit zu pochen.

Zur Untätigkeit gesellt sich Unwillen hinzu. Obwohl selbst die mitregierende Albaner-Partei die EU mehrmals zu einer aktiveren Vermittlerrolle aufforderte, beschränkte sich Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn bei seinen bisherigen Besuchen in Skopje auf die Rolle des vor allem nicht anecken wollenden Grüß-Gott-Onkels. Seine unverbindliche Aufforderung zum Dialog geht mit der widersinnigen Empfehlung einher, die Vorwürfe des Machtmissbrauchs von den zuständigen Institutionen überprüfen zu lassen – wohlwissend, dass Mazedoniens Justiz vollständig unter Regierungskontrolle steht.

Keine gelbe Karte für Gruevski

Weder grenzt sich Brüssel klar von den Fehlentwicklungen bei seinem Problemkind ab – und zeigt Gruevski mit der Aussetzung des Anwärterstatus zumindest die gelbe Karte. Noch werfen sich die EU-Partner für eine Aufhebung der griechischen Dauerblockade in die Bresche. Ob es die Angst vor der Zunahme des russischen Einflusses, fehlendes Interesse oder Konzeptlosigkeit ist: Eine Strategie ist beim EU-Gewurstel gegenüber dem labilsten Staat auf dem keineswegs gefestigten Westbalkan nicht zu erkennen.

AUF EINEN BLICK

In der Stadt Kumanovo im Norden Mazedoniens haben sich Sicherheitskräfte und bewaffnete Albaner am Wochenende Feuergefechte geliefert, mindestens 22 Menschen starben. 30 Personen wurden festgenommen. Die Regierung machte die albanische Nationale Befreiungsarmee (UCK) verantwortlich, deren Angehörige aus Mazedonien, dem Kosovo und Albanien stammen sollen. Nun geht die Angst vor neuer ethnischer Gewalt um. Der Kosovo schickte Polizeieinheiten an die Grenze.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

"Niemand will neuen Konflikt in Mazedonien"

Mazedoniens Außenminister Nikola Poposki weist Vergleiche zwischen dem Albaneraufstand 2001 und den jüngsten Gefechten in Kumanovo zurück. Von der EU verlangt er, den Beitrittsprozess des Landes wieder in Gang zu setzen.
Außenpolitik

Mazedonien taumelt in Bürgerkrieg

Nach blutigen Gefechten in Kumanovo wächst die Sorge vor der Destabilisierung der gesamten Region. Wird der EU-Kandidat der neuen ethnischen Spannungen nicht Herr oder ist er intern zerrüttet?
Außenpolitik

Mazedonien: Insgesamt 22 Tote bei Polizeieinsatz

Acht Polizisten wurden bei dem Einsatz gegen bewaffnete Albaner getötet. Auch 14 "Terroristen" wurden erschossen. Söldner sethen hinter den Kämpfen, vermutet ein Ex-General.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.