Ägypten: Todesurteil für Ex-Präsident Mursi

File picture shows Egyptian Muslim Brotherhood then president-elect Mohamed Mursi speaking during his first televised address to the nation, in Cairo
File picture shows Egyptian Muslim Brotherhood then president-elect Mohamed Mursi speaking during his first televised address to the nation, in CairoREUTERS
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Mohammed Mursi wurde am Samstag zum Tode verurteilt. Ob er hingerichtet wird, entscheidet sich im Juni.

Kairo. „Nieder mit der Militärdiktatur“ und „Mursi ist unser Präsident“ skandierte die kleine Menge draußen vor den Toren der Polizeiakademie in Neu-Kairo. Drinnen im Saal reckte Ex-Staatschef Mohammed Mursi am Samstag im Angeklagtenkäfig seine Fäuste in die Höhe, als Richter Shaaban el-Shami ihn und 105 Mitangeklagte zum Tode verurteilte, darunter zahlreiche weitere Führungsmitglieder der Muslimbruderschaft. Das Gericht warf den Angeklagten vor, die zu Beginn des Arabischen Frühlings als politische Häftlinge hinter Gittern saßen, zusammen mit rund 20.000 Kriminellen am 28. Januar 2011 entkommen zu sein.

Der damalige Präsident, Hosni Mubarak, hatte gezielt die Gefängnistore öffnen lassen und die gesamte Polizei von den Straßen beordert, um seine aufständische Bevölkerung einzuschüchtern. Nach ägyptischem Recht müssen die Todesurteile jetzt dem ägyptischen Obermufti vorgelegt werden, der als Scharia-Experte ein Beratungsrecht hat. Das endgültige Verdikt soll am 2. Juni verkündigt werden. Es kann in einem Revisionsprozess angefochten werden. Dieses Massenurteil ist ein weiteres düsteres Vorzeichen für die innenpolitische Entwicklung am Nil. Nichts deutet darauf hin, dass das militärgestützte Regime die Unterdrückung aller Andersdenkenden lockern wird. Noch nie in seiner modernen Geschichte hat Ägyptens Justiz gegen einen früheren Präsidenten die Todesstrafe verhängt. Mubarak dagegen könnte bald freikommen, da ein Gericht seinen Prozess wegen der über 850 erschossenen Demonstranten einstellte und der Ex-Diktator seine dreijährige Haftstrafe für Unterschlagung demnächst abgesessen haben wird.

Weitere Urteile stehen aus. Gegen Mursi, der vom Militär im Juli 2013 gestürzt wurde, laufen insgesamt fünf Verfahren. Im ersten Prozess, in dem ihm Übergriffe seiner Anhänger vor dem Präsidentenpalast im November 2012 zur Last gelegt wurden, erhielt der Ex-Staatschef zwanzig Jahre Haft. In dem am Samstag abgeschlossenen zweiten Verfahren geht es um den Massenausbruch aus dem Gefängnis in Wadi Natrun im Januar 2011. Das dritte Verfahren dreht sich um Hochverrat und eine angebliche Verschwörung mit ausländischen Mächten, der Hamas, der Hisbollah sowie dem Iran, um Ägypten zu destabilisieren. Auch hier wurden am Samstag 16 der 36 Angeklagten zum Tode verurteilt. Mursis Strafmaß will das Gericht erst zu einem späteren Zeitpunkt bekannt geben.

Im vierten Verfahren, dessen Urteile noch ausstehen, geht es um angeblichen Geheimnisverrat des Präsidenten und zehn Mitangeklagter an den Sender al-Jazeera und an das Golfemirat Qatar. Im fünften Verfahren ist Mursi angeklagt, die Justiz beleidigt zu haben.

Sollte das endgültige Todesurteil gegen Mursi am 2. Juni verkündet werden, wäre das einen Tag vor dem Staatsbesuch von Ex-Feldmarschall Abdel Fatah al-Sisi in Deutschland. Die Reise, für die Ägypten monatelang in Berlin antichambriert hat, würde noch stärker durch die krassen Menschenrechtsverstöße des Regimes am Nil überschattet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2015)

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