Russland entwickelt Groß-Flugzeugträger

Moskaus Möglichkeit: ein Supercarrier ähnlich diesem amerikanischen der
Moskaus Möglichkeit: ein Supercarrier ähnlich diesem amerikanischen der "Nimitz"-KlasseUS Navy
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Das staatliche Schiffsbauinstitut Krylow in Sankt Petersburg hat Pläne für einen "Supercarrier" nach Vorbild der US Navy fertiggestellt. Es wäre das erste derartige Schiff für Russland, doch der Bau könnte das Land überfordern.

Es ist ein Projekt, das zu seiner Umsetzung sicher zehn bis 15 Jahre dauern würde und daher aktuell angesichts des Zerwürfnisses zwischen dem Westen und Russland wegen der Ukraine-Krise keine besondere Rolle zu spielen scheint. Und dennoch: Das staatliche russische Marine- und Schiffsbauinstitut Krylow in Sankt Petersburg berichtet von einem nicht alltäglichen Großprojekt: Krylow habe die Entwürfe für einen neuen Flugzeugträger analog zu den riesigen "Supercarriers" der US-Marine fertig, sagte der Vizechef des Instituts, Waleri Poljakow. Das Schiff laufe als "Project 23000E", oder "Schtorm" (Sturm).

Man werde, enthüllte Poljakow im Gespräch mit dem Militärfachmagazin IHS "Jane's Defence", ein maßstabgetreues Modell der "Sturm" im Juli bei der Militärmesse "Maritime Defence Show 2015" in Sankt Petersburg vorstellen. Das Schiff sei für Operationen in fernen Meeresgebieten, für Angriffe auf Land- und Seeziele, den Schutz amphibischer Streitkräfte sowie für die Luftverteidigung und "operative Stabilität" von Marineverbänden ausgelegt.

Erste Modelle und Illustrationen

Ein Modell wurde von Krylow bereits gezeigt (auf schlechten Aufnahmen), in Militärforen tauchten auch schon Illustrationen auf, die die Richtung des Entwurfs andeuten, siehe die folgenden Bilder:

Modell des
Modell des "Sturm"KRSC/Jane's/Nikolai Novichkov
Modell des
Modell des "Sturm"KRSC/Novosti VPK/ Alexander Emeljanenkow
Modell des
Modell des "Sturm"KRSC/Novosti VPK/ Alexander Emeljanenkow
Modell des
Modell des "Sturm"KRSC/YouTube
Illustration des
Illustration des "Sturm"indiandefence.com
Illustration des
Illustration des "Sturm"indiandefence.com

Als Eckpunkte des Designs wurden genannt: eine Verdrängung von 90.000 bis 100.000 Tonnen, 330 Meter Länge bei 40 Meter Breite, elf Meter Tiefgang und eine Höchstgeschwindigkeit von 30 Knoten (55 km/h) bei einer durchgehenden autonomen Einsatzdauer von 120 Tagen. Die Crew solle 4000 bis 5000 Mann betragen. Vorerst sei ein herkömmlicher, nichtnuklearer Antrieb (etwa Diesel) avisiert; man könne aber auch einen nuklearen Antrieb konstruieren, meinte Poljakow.

Als Bewaffnung sei im Kern ein Geschwader von 80-90 Fluggeräten vorgesehen, primär Mehrzweckkampfjets Mikojan-Gurewitsch MiG-29K "Fulcrum-D" und eine trägertaugliche Variante des schweren, noch in Erprobung befindlichen Stealth-Mehrzweckkampfflugzeugs T-50 von Suchoi, ferner Frühwarnflugzeuge und Hubschrauber. Zusätzlich sprach der Institutsvize von hochmodernen Elektronik- und Radarsystemen, Torpedoabwehr, Luftabwehrraketen und einem dualen Flugdeck, man kann das auch an bereits bekannten Modellfotos sehen: Es ist ein Schräglandedeck mit zwei Bahnen wie bei den großen US-Trägern und vier Startpositionen. Eine Bahn ist eine ebene Katapultstartbahn, die zweite endet - anders als bei den Amerikanern - als Rampe (Ski-jump).

Ist Russland damit überfordert?

Sehr ungewöhnlich: Der Träger hat zwei statt bloß einer "Insel" (das sind die auffälligen Kommandotürme auf Trägern); das gibt es bisher nur bei den beiden in Bau befindlichen britischen Schiffen der Queen-Elizabeth-Klasse.

HMS
HMS "Queen Elizabeth" im Rosyth Dockyard, Schottland, Juli 2014, man sieht gut die zwei InselnMinistry of Defence

Dieses Großprojekt, von dem bereits der Kommandeur der russischen Marine, Admiral Viktor Tschirkow, vor einigen Monaten sprach (man deutete sogar mehr als 100 Fluggeräte an Bord an), ist unter Beobachtern indes auf Skepsis gestoßen. Es beginnt damit, dass Russland nicht genug Erfahrung mit dem Bau von Flugzeugträgern, speziell großen, gemacht hat.

Jene der "Moskwa"- bzw. der "Kiew"-Klasse (insgesamt sechs) zu Sowjetzeiten waren kleine Hubschrauberträger bzw. schwer bewaffnete Hybride (auch mit Seeziel-Marschflugkörpern, Kanonen, Torpedos, Fla-Raketen) aus Kreuzer und Träger ("Flugdeckkreuzer") mit 17.500 Tonnen bzw. 45.000 Tonnen Verdrängung; im Falle der Kiew-Klasse waren neben 16 Hubschraubern zwölf der nie ausgereiften, moderat kampfwertigen Senkrechtstarter Jak-36 "Forger" von Jakoklew an Bord. Alle diese Schiffe wurden entweder verschrottet oder verkauft.

Die Novorossiysk, ein sowjetischer Flugdeckkreuzer der Kiew-Klasse: Man erkennt im Bugbereich u. a. Seezielraketen, auf dem Flugdeck
Die Novorossiysk, ein sowjetischer Flugdeckkreuzer der Kiew-Klasse: Man erkennt im Bugbereich u. a. Seezielraketen, auf dem Flugdeck "Forger"-Senkrechtstarter NATO/Archiv

Der einzige heute aktive Träger der russischen Flotte, die "Admiral Kusnezow" (siehe Video), gebaut in den 1980ern, ist zwar etwas über 305 Meter lang, aber kommt voll beladen nur auf etwa 61.000 Tonnen Verdrängung und hat aktuell nur 20 bis 35 Flugzeuge und Helikopter an Bord (Platz wäre für 40 bis 50). Die insgesamt derzeit zehn aktiven US-Supercarrier der "Nimitz"-Klasse hingegen verdrängen 100.000 bis 106.000 Tonnen bei rund 90 Flugzeugen und Hubschraubern, außerdem sind sie atombetrieben.

>>> Nettes Video von der Kusnezow (mit Suchoi Su-33 "Flanker-D"):

Das einzige Schwesterschiff der Kusnezow, die "Riga" bzw. später "Warjag", wurde wegen des Kollaps der UdSSR nie fertig, verblieb in ihrer Werft in der Ukraine und wurde an eine chinesische Firma verkauft. Die wollte sie vorgeblich zu einem Hotel und Restaurant umbauen, war aber eine Tarnfirma des Militärs, und so wurde das Schiff zu Chinas erstem Flugzeugträger um- und fertiggebaut, der dann 2012 als "Liaoning" in Dienst gestellt wurde. Mittlerweile baut China schon an einem zweiten Träger.

Ältere Aufnahme einer MiG-29K (eigentlich KUB) auf der
Ältere Aufnahme einer MiG-29K (eigentlich KUB) auf der "Kusnezow"MiG

Supercarrier sind übrigens nicht exakt definiert, in der Regel versteht man heute darunter Flugzeugträger mit mehr als 70.000 bis 75.000 Tonnen Verdrängung (voll). Man nimmt es nicht immer genau, so gelten auch die beiden neuen Briten-Träger mit ihren rund 70.000 Tonnen als Supercarrier, manchmal ist der Begriff ein "PR-Etikett", denn auch die Liaoning (66.500 t) und sogar die Kusnezow findet sich auf mancher Supercarrierliste.

Eine letzte Aufwallung der Sowjetunion

Mitte/Ende der 1980er hatte die UdSSR zwar in einer letzten Aufwallung tatsächlich ein Großträger-Projekt gestartet, es war die "Uljanowsk", ein zur Nimitz-Klasse ziemlich analoges Schiff, wenn auch etwas kleiner (75.000 bis 85.000 t) und mit weniger Fluggeräten (etwa 60). Das Ende der UdSSR stoppte den Bau aber in der Frühphase. Siehe hier eine schöne Grafik (auf Russisch).

Alle diese Träger indes waren überdies in der damaligen ukrainischen Sowjetrepublik gebaut worden, nämlich in der Werft von Nikolajew/Mykolajiw in der Nähe von Odessa. Was zunächst heißt: "Eines der größten Probleme Russlands gleich von Anfang an ist, dass es selbst keine Erfahrung mit dem Trägerbau hat, weil eben alle von den Ukrainern gebaut wurden", sagt der Marine-Experte Dimitri Gorenburg (CMA Corporation, Virginia, USA).

Konzept der
Konzept der "Uljanowsk"indiandefence.com

Ausnahme: Ein Schiff der Kiew-Klasse, die 1996 ausgemusterte "Admiral Gorschkow", wurde 2004 an Indien verkauft. Vor der Lieferung erwarteten sich die Inder freilich eine tüchtige Überholung, eine Kampfwertsteigerung und Reduktion auf einen reinen Träger (die Anti-Schiff-Komponente und ähnliches wurden entfernt), und das erfolgte unter viel hin und her in der Werft von "Sewmasch" in Sewerodwinsk (Kreis Archangelsk) an der Küste des Weißen Meeres. 2013 wurde das Schiff nach Indien überstellt und ist dort als INS "Vikramaditya" mit 30 MiG-29K und sechs Hubschraubern im Dienst.

Doch zurück zur Sache mit der Ukraine: Im heutigen Russland gibt es angeblich kein Trockendock, das groß genug für den Bau der "Sturm"-Klasse wäre. Man müsste entweder ein neues Dock bauen oder, weit komplizierter und unwahrscheinlich, zwei kleinere Hälften trocken bauen und sie dann schwimmend zusammensetzen, das könnte ebenfalls bei Sewmasch am Weißen Meer gelingen, wo es ein passendes Tiefwasserbecken gebe, so Gorenburg. Der größte russische Schiffsbaukonzern stellt unter anderem U-Boote her (er ist der einzige Atom-U-Boot-Erzeuger im Land), aber auch Ölförderinseln, Fischereischiffe, Schlepper und so weiter (zur Homepage).

Um die neuen Superträger also tatsächlich umzusetzen, wird es in Russland einer enormen wirtschaftlichen, finanziellen, ingenieurstechnischen und industriellen  Anstrengung bedürfen, die sich das Land unter Umständen nicht leisten kann. Tatsächlich war auch Krylow bemüht, das Projekt noch nicht als Anzeichen eines unmittelbar bevorstehenden Baus gelten zu lassen. Dennoch merkt man vor dem politischen Hintergrund die generelle Stoßrichtung des Projekts - auch angesichts von neuen Seemächten wie Indien und China, die ebenfalls auf Flugzeugträger und die damit mögliche Projektion von Macht, die Sicherung von geostrategischen Einflusssphären und Handelsrouten setzen.

Ausdruck neuen Seekriegskonzepts

Das "Sturm"-Konzept ist im übrigen auch Ausdruck eines geänderten Seekriegskonzeptes: Die sowjetischen Träger bis hin zur aktuellen Kusnezow waren und sind vorrangig defensive Schiffe, zur Verteidigung der Küstengebiete und der eigenen U-Boot-Flotte gegen Trägerkampfgruppen, daher auch ihre starke, kreuzerähnliche Bewaffnung etwa mit Anti-Schiff-Raketen. Offensive und weiter reichende Aktionen gegenüber etwa US- und Nato-Schiffen hätte man vor allem landgestützten schweren Bombern mit Marschflugkörpern überlassen.

Die Supercarrier der US Navy hingegen haben keine autonome Anti-Schiff-/U-Jagd-Bewaffnung und überlassen all das ihren Flugzeugen, und ihren Eigenschutz (von einigen Fla-Raketenwerfern und Maschinenkanonen abgesehen) im wesentlichen den "Escorts", also den begleitenden Kreuzern und Zerstörern. Die Rolle dieser Großträger ist weit offensiver als jene der russischen Träger; die "Sturm"-Klasse wäre diesbezüglich eine Übernahme der US-Doktrin.

Drei US-Trägerkampfgruppen anno 2006 im Pazifik: USS Kitty Hawk (mittlerweile ausgemustert), Abraham Lincoln und Ronald Reagan samt Eskortschiffen
Drei US-Trägerkampfgruppen anno 2006 im Pazifik: USS Kitty Hawk (mittlerweile ausgemustert), Abraham Lincoln und Ronald Reagan samt Eskortschiffen(c) U.S. Navy/Todd Cichonowicz

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