Deutschland: Chaostage bei der „Alternative“

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GER Bremer B�rgerschaftswahl 10 05 2015 B�rgerschaft Bremen GER Bremer B�rgerschaftswahl 2015(c) imago/nph (imago stock&people)
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Der Macht- und Richtungsstreit bei der Protestpartei Alternative für Deutschland steuert auf Showdown zu. Hauen und stechen zwischen Realos und Fundis.

Wien/Berlin. Im EU-Parlament in Straßburg könnte sich heute das Schicksal einer Partei entscheiden, die sich vor zwei Jahren angeschickt hat, sich als Sammelbecken frustrierter bürgerlicher Wähler rechts von der Kanzlerpartei CDU/CSU zu positionieren. Die Pressekonferenz von Bernd Lucke, einem der drei Sprecher der Alternative für Deutschland (AfD), und seiner Getreuen hatte ein Geraune in den eigenen Reihen in Gang gesetzt: Würde der EU-Abgeordnete seiner Partei ein Ultimatum stellen, würde er einen letzten Appell zur Geschlossenheit an sie richten – oder würde er, enerviert von dem lustvollen Hauen und Stechen unter den Parteifreunden, einen Schlussstrich ziehen?

Als Lucke am vorletzten Wochenende in Bremen um den Einzug der AfD in die Bürgerschaft – das Landesparlament des Stadtstaats – bangte, zirkulierten bereits Gerüchte über eine Abspaltung, die schnell Schlagzeilen machten. „Plant Lucke den Parteiaustritt?“, lautete der Lauftext in einem Nachrichtensender. Der 52-Jährige blieb nach außenhin ruhig, doch noch in der Nacht setzte der Hamburger Volkswirtschaftsprofessor eines seiner gefürchteten Rundmails ab.

„Karrieristen, Querulanten, Intriganten“

Darin klagte er über „Karrieristen, Querulanten und Intriganten“, über den „schleichenden Erosionsprozess“ bürgerlicher Mitglieder und eine ideologische Radikalisierung – die Zunahme deutschnationaler, antiislamischer, antikapitalistischer und antiamerikanischer Elemente. „Die AfD ist in einer schweren Krise“, konstatierte der Parteigründer, der vor etwas mehr als zwei Jahren die AfD aus der Taufe gehoben hatte und bei den Bundestagswahlen ein paar Monate später nur knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte. Bei den EU-Wahlen und mehreren Landtagswahlen erzielten er und seine Mitstreiter in der Folge jedoch teils beachtliche Resultate.

Je größer die Erfolge, desto schärfer wurden allerdings auch die Gegensätze zwischen dem wirtschaftsliberalen und dem rechtskonservativen Lager. Hatte Lucke anfangs vor allem den Austritt aus dem Euro im Sinn, strebten andere bald ein breiteres Themenspektrum an. So sympathisierte ein Teil der Parteielite offen mit der Protestbewegung Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands), die unter anderem gegen Zuwanderung Front macht. AfD-Mitgründer Alexander Gauland bezeichnete die Wutbürger als „natürliche Verbündete“.

Der Parteitag in Bremen im Februar kittete die Risse lediglich notdürftig. Der Konsens über die Parteistruktur kaschierte das Misstrauen zwischen den Strömungen, insbesondere zwischen dem Pedanten Lucke und der Pastorentochter Petry, nur zeitweilig. Ein weiterer Parteitag in Kassel Mitte Juni soll die Führungstroika plangemäß erst auf ein Duo verschlanken, bis Lucke Ende des Jahres den alleinigen Parteivorsitz übernehmen soll – zumindest nach seinem eigenen Masterplan.

Kontrollfreak versus Putschistin

Seither eskaliert der Richtungsstreit zwischen Realos und Fundis, der fatal an die Anfänge der Grünen erinnert. Die eine Seite verdächtigt die andere des Komplotts. Konrad Adam, einstweilen noch dritter Ko-Sprecher der AfD, brachte die Spekulation über den Rücktritt Luckes in Umlauf, was der indessen prompt dementierte. Als Sekundant Luckes trat Hans-Olaf Henkel in den Ring, ehedem Vorsitzender des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Aus Protest gegen die zunehmende Dominanz der Nationalkonservativen erklärte er als Vize seinen Rücktritt aus dem AfD-Vorstand, die Petrys, Gaulands und Adams schmähte er als „Rechtsideologen, Spinner und Pleitiers“. „Wir müssen die Partei von diesen Elementen säubern.“

In Mails und Interviews richten die Protagonisten einander ihre Missachtung aus, der Tonfall lässt bürgerliche Manieren vermissen. Lucke gilt den einen als „Kontrollfreak“, der die Partei nach „Gutsherrenart“ führt; an Petry klebt das Etikett „Putschistin“, die ihre Sympathisanten aufwiegelt. Vor dem möglichen heutigen Showdown setzte Petry die Akzente: „Die Partei lässt sich nicht erpressen. Niemand ist unersetzlich.“ Während die AfD sich selbst zerfleischt, feierte die FDP beim Parteitag unter dem Motto „German Mut“ neulich ein kleines Comeback. Die Chaostage bei der „Alternative“ beflügeln die Liberalen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2015)

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