Kurz sieht in Ägypten Gegenmodell zum Kalifat

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Außenminister Kurz lotet in Kairo die Kooperation mit dem Regime Abdel Fatah al-Sisis aus, das mit eiserner Hand das Land im Griff hält. Neuerdings schwebt der Führung eine neue Revolution vor: eine „Revolution des Islam“.

Kairo. Auf dem Tahrir-Platz sind die Spuren der Revolution weitgehend beseitigt. Vergangen sind die Freudentänze, vertrocknet die Tränen und das Blut. Auf dem zentralen Platz in der Kairoer Innenstadt stockt der Verkehr wie eh und je, einen Steinwurf vom Nilufer entfernt scheint zumindest an der Oberfläche alles wieder im Lot.

In der ägyptischen Hauptstadt hat längst die große Ernüchterung eingesetzt, im Jahr fünf nach dem Volksaufstand gegen Hosni Mubarak. Nur die Graffiti an den Wänden einer Seitenstraße glorifizieren die Helden der Revolution, die „gebrannten Kinder der Protestbewegung“. In den Nebenstraßen künden indes mit Stacheldraht behauene Barrikaden davon, dass die Gefahr für die Machthaber trotz des repressiven Regimes nicht ganz gebannt ist. Vielen spukt die Revolution noch im Kopf herum, Gegnern ebenso wie Verfechtern – den einen als Schreckgespenst, den anderen als mehr oder weniger ferne Vision.

Kritik perlt in Kairo ab

Draußen in Heliopolis, dem von Boulevards und Grünanlagen gesäumten Nobelvorort in Flughafennähe, residiert im strikt abgeschotteten, orientalischen Präsidentenpalast der neue „Pharao“. Hier hat sich Mubarak bis zur letzten Minute verschanzt. Im einstigen Luxushotel hält heute sein Nachnachfolger Hof, auch er ein Mann des Militärs. Eine Pointe der Geschichte: Übergangspräsident Mohammed Mursi hatte Abdel Fatah al-Sisi zum Verteidigungsminister berufen, bis er ihn vor bald zwei Jahren, getragen von einer Welle des Missmuts der Mittelschicht, aus dem Amt fegte – nach weitläufiger Meinung des Auslands und der seither gnadenlos verfolgten Muslimbrüder ein Putsch, nach Ansicht vieler Sympathisanten des Arabischen Frühlings eine zweite Revolution.

Im Präsidentenpalast empfängt al-Sisi Staatsgäste wie Wladimir Putin, die Verständnis für die harte Hand des Regimes mit großem Pomp in Kairo aufbringen. Der ehemalige Feldmarschall selbst tritt unprätentiös auf. Routiniert, aber keineswegs indigniert nimmt er die Bedenken der westlichen Diplomaten zur Kenntnis, wie sie am Donnerstag auch Österreichs Außenminister, Sebastian Kurz, vorgebracht hat. Fast eineinhalb Stunden nahm sich der Präsident für den Termin frei, um durchaus weitschweifig seine Weltsicht darzulegen. Ob sich Ägyptens Präsident die Kritik an der Todesstrafe für Mursi und dessen Muslimbrüder, an der Drangsalierung der Regimegegner, an der Willkürjustiz gegen die Opposition auch wirklich zu Herzen nimmt, steht auf einem anderen Blatt. Schönreden, so Kurz' Eindruck, will er die Politik der eisernen Faust wenigstens nicht. Westliche Besucher vertröstet er.

Die Militärs fühlen sich im Recht, sie sehen sich intern und extern in der Region als Stabilitätsfaktor – und sie sehen sich durch die Avancen der ausländischen Besucher bestätigt, die Ägypten als Schlüsselstaat in der Region betrachten. „Wenn Ägypten stabil ist, ist es auch Europa“, so lautet das Credo al-Sisis.

Was denn die Alternative wäre, fragen Kurz, der Deutsche Frank-Walter Steinmeier und ihre EU-Außenministerkollegen unisono hinter vorgehaltener Hand. Eine Wiederkehr der Muslimbrüder, deren erster kurzzeitiger Machtübernahmeversuch grandios gescheitert ist? Der Westen baut auf die ägyptischen Generäle im Kampf gegen die Jihadisten des Islamischen Staats, die in Syrien, im Irak, in Libyen und inzwischen selbst auf dem Sinai ihr Unwesen treiben. Frei nach dem Motto „Der Diktator, den wir kennen, ist uns lieber als jeder Islamist“ setzen sie auf al-Sisi als „kleineres Übel“ für ihre Nahost-Politik, die jenseits der ägyptischen Grenzen im Chaos versinkt.

Sebastian Kurz stilisiert Ägypten gar zu einem „Gegenmodell zum Kalifat“ – und hofft darauf, dass dadurch der Migrationsdruck auf Europa abnimmt. Mit gigantomanischen Großprojekten, dem Ausbau des Suez-Kanals oder dem Bau einer neuen Hauptstadt in der Wüste, gespeist mit Geldern aus den Golfstaaten, versuchen die Militärs, das Land aus der Krise zu führen. Die Lage in dem 90-Millionen-Einwohner-Land ist fragil, die Übergangsphase laut Außenminister Sameh Shoukry noch nicht beendet.

Das Selbstbewusstsein der Kairoer Führung manifestiert sich nicht zuletzt auch bei der Pressekonferenz in der prachtvollen Dependance des Außenministeriums in der Nähe des Tahrir-Platzes. Eilends schaffen Protokollbeamte eine rot-weiß-rote Fahne herbei. Shoukry, seit den Tagen als UN-Botschafter in Wien ein Kenner der österreichischen Verhältnisse, preist die bilateralen Beziehungen mit Verweis auf die Ära Kreiskys und Muhammad Anwar as-Sadats. Mit diplomatischer Verve weist er die Kritik an der Todesstrafe für Mursi als „Einmischung in fremde Angelegenheiten“, als tief greifenden kulturellen Unterschied zum Westen zurück. Kurz beharrt auf fundamentale Meinungsdifferenzen. An eine Hinrichtung Mursis glaubt in Kairo ohnehin kaum einer. „Wer hat schon Interesse an einem Märtyrer?“

Pater schwärmt von Generälen

Mögen die jungen, idealistischen Demokratieaktivisten am Nilufer noch so sehr über Repressionen lamentieren, und über schlimmere Zustände als unter Mubarak, für Sebastian Kurz sind die Gespräche mit Koptenführern und Islamgelehrten an der renommierten al-Azhar-Universität Indikatoren für die Aufwärtsentwicklung unter al-Sisi. In der berühmten Hängenden Kirche im Koptenviertel schwärmt Pater Jakob geradezu vom Comeback der Generäle und einem neuen Sicherheitsgefühl für die christliche Minderheit.

Die al-Azhar-Universität wolle neuerdings eine neue, zeitgemäße Onlinestrategie gegen die IS-Terroristen forcieren, berichtet Kurz. Ägypten als Vorreiter eines moderaten Islam, gar eine Revolution des Islam – das schwebt demnach der Regierung in Kairo vor. Dies wäre dann tatsächlich eine ganz neue Lesart der Umwälzung in Ägypten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2015)

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